Musiker in der Corona-Zeit: Matthias Kirschnereit
by Dagmar PenzlinDie Corona-Pandemie hat das Leben vieler Menschen auf den Kopf gestellt. Für Musikerinnen und Musiker gilt das besonders, weil ihr Alltag sich oft von Grund auf geändert hat. Und das nun schon seit mehr als zwei Monaten: Wie geht es ihnen damit? Der Hamburger Pianist Matthias Kirschnereit ist familiär gefordert, zugleich ringt er weiterhin mit den großen Kompositionen.
Das Klavierspiel gibt Matthias Kirschnereit Kraft und Inspiration gerade in dieser Zeit, erzählt er: "Die Arbeit zu Hause am Instrument ist eigentlich das Nobelste. Und man spielt ja nicht nur, wenn man ein Konzert im Nacken hat und übt mit einem gewissen Druck auf einen Termin hin. Es geht ja auch darum, Musik zu erfahren und zu leben."
Küchenchef und Musikprofessor
Zugleich ist der Pianist als Vater zweier schulpflichtiger Kinder gefragt und bereitet täglich drei bis vier Mahlzeiten vor: "Ich bin zu Hause der Küchenchef. Das macht mir auch große Freude. Ich bin auch derjenige, der einkauft, und nun mittlerweile immer mit Maske unterwegs ist."
Der Hamburger Musiker kommt bisher ohne Existenzsorgen durch die Corona-Pandemie. Der 58-Jährige ist Professor an der Musikhochschule Rostock und unterrichtet hin und wieder online: "Ich streame oder telefoniere und organisiere. Aber der Tag zerrinnt - es ist wie verhext. Ich habe ein bisschen die Sorge nach diesen Wochen, nach diesen Monaten des Shutdowns, wo ich mir eigentlich vorgenommen hatte, mit einer gewissen Läuterung rauszugehen: mehr Tagebuch geschrieben zu haben, mehr Yoga gemacht zu haben, ein gutes Buch gelesen zu haben - ich hab' Sorge, dass das Alles nur in Ansätzen gewesen sein wird."
Abendstunden am Flügel
Ganz in seinem Element ist der Musiker mit dem graugewellten Haar an seinem Fügel im heimischen Übezimmer. Wenn abends Ruhe einkehrt, taucht er ein in Klangwelten: "Ich bin auch ein Abend- oder Nachtarbeiter und sitze gern abends mit einem Glas Wein oder einem Bierchen am Flügel," erzählt der Pianist. Ich kann mich manchmal abends besser konzentrieren, die Gedanken sind fokussierter. Interessanterweise: Was man abends geschafft hat, kann sich über Nacht im Gehirn festsetzen.“
Vom Zauber zum klammen Gefühl
Zu Hause bleiben - über Wochen. Für Matthias Kirschnereit ist das höchst ungewöhnlich. Sonst gibt er rund 50 Konzerte im Jahr. Für ihn sei das eine große Umstellung, sagt er: "Die hatte in den ersten Wochen auch einen gewissen Zauber inne - man ist unglaublich viel zu Hause, nimmt sich viele Dinge vor, zu denen man sonst nicht gekommen ist. Und jetzt mit der Zeit überkommt mich manchmal so ein klammes Gefühl."
Wer Kirschnereits Internet-Kalender anguckt, liest bis in den August hinein ein Wort immer wieder: Abgesagt! Das ist eine Tatsache, die Kirschnereit Sorgen bereitet: "So viele abgesagte Konzerte! Und auch als künstlerischer Leiter des Festivals Gezeitenkonzerte in Ostfriesland, das wir für 2020 komplett abgesagt haben, macht man sich schon Gedanken: Wie soll das alles weitergehen?"
Kreative Ideen für alternative Konzerte
Aktuell wartet der Musiker insbesondere als Festivalleiter auf verbindliche Regeln, wie Konzerte jetzt ablaufen können. Ideen für die Gezeitenkonzerte hat er bereits: "Dass wir im Schlosspark Menschen mit Kopfhörern umherwandeln lassen oder dass wir in einer großen Kirche mit Abstand Bach-Violinsonaten hören etc. Also da warte ich, denn in meiner Kreativität brodelt es. Und ich möchte Corona zum Trotz das eine oder andere live verwirklichen."
Sein großer Wunsch ist, dass es nach der Corona-Pandemie wieder viele schöne Konzerte geben wird: "Ich hoffe, dass alle danach lechzen und dass das bald wieder der Fall sein wird."