Die neue dänische Test-Offensive
In Dänemark kann sich nun jeder Erwachsene auf das Coronavirus testen lassen, auch ohne Symptome. Das Land hat inzwischen deutlich mehr Testkapazitäten als Verdachtsfälle. In Deutschland wäre die Lage theoretisch ähnlich.
Ein gelbes Schild am Straßenrand weist Fußgängern den Weg zu den weißen Zelten – hier geht es zum Covid-19-Testcenter. In einem Vorzelt sorgen rote Abstandsmarkierungen dafür, dass bei einer eventuellen Schlangenbildung die Richtlinien eingehalten werden. An diesem sonnigen Morgen befinden sich allerdings nur zwei Personen im Vorzelt.
Mads, ein 27-jähriger Unternehmer aus Aarhus, hat vor ein paar Tagen einen Termin gebucht. Er ist pünktlich um 9.30 Uhr dran. Er scannt seine Krankenversicherungskarte und stellt sich auf ein Viereck, das mit schwarz-gelbem Klebeband auf dem Boden markiert ist.
Ein freundlicher junger Mann in Sicherheitsanzug mit Handschuhen, blauer Maske und Visier fragt ihn, ob er Symptome habe. Als Mads die Frage mit „Nein“ beantwortet, wird der Virustest durchgeführt. Keine zwei Minuten später ist er wieder auf dem Weg nach Hause. Das Ergebnis gibt es innerhalb von 72 Stunden online.
Quelle: Kim Bowman
Die weißen Zelte des Testcenters in Vejlby-Risskov in Aarhus laufen auf Hochtouren. In Verbindung mit der zweiten Lockerungsphase der Corona-Restriktionen verfolgt Dänemark eine neue Teststrategie. Seit einer Woche kann sich jeder, der mag, einen Testtermin buchen, ohne Symptome der Infektionskrankheit zu haben.
Der Virustest wird dann in den weißen Zelten durchgeführt, die in 16 dänischen Städten verteilt sind. In den ersten Tagen galt das Angebot nur für Bürger zwischen 18 und 25 Jahren, inzwischen wurde es auf die übrigen erwachsenen Altersstufen erweitert.
Bisher war es nur mit einer Überweisung vom Arzt oder Arbeitgeber möglich, getestet zu werden – wenn man etwa Symptome aufwies, engen Kontakt mit einer positiv-getesteten Person hatte oder im Gesundheitswesen arbeitet. Aber damit wurden die Testkapazitäten nicht ausgelastet – weshalb man nun auch das symptomfreie Testen zulässt. Dänemark kann pro Woche rund 140.000 Tests durchführen – bei einer Einwohnerzahl von sechs Millionen.
Auf Deutschland umgerechnet wäre das eine wöchentliche Testkapazität von 1,8 Millionen. In Deutschland gibt es laut Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) derzeit eine Testkapazität von rund 800.000 wöchentlich, diese wird aber derzeit nur zur Hälfte ausgeschöpft. Eine ähnliche Situation wie in Dänemark.
Dort kann nun jeder, der möchte, einen Test einfach online auf der Webseite www.coronaprover.dk bestellen. Man meldet sich mit seinen digitalen Logindaten an, der Nem-ID, die unter anderem auf der jeweiligen Sozialversicherungsnummer beruht, sucht sich das gewünschte Testcenter aus und bekommt die freien Zeiten angezeigt. Ein Klick und der Test ist gebucht – vorausgesetzt man ist symptomfrei. Hat man Krankheitssymptome, soll man sich weiterhin isolieren und bei seinem Hausarzt anrufen, um eine Überweisung zu bekommen.
Seit Beginn der Pandemie wurde immer wieder kritisiert, dass in Dänemark nicht genügend getestet wurde und es somit eine hohe Dunkelziffer von Infizierten geben könnte. „Bis jetzt haben wir den Zugang zu Tests recht streng gesteuert, aber jetzt haben wir die Kapazität, den Einzelnen selbst bewerten zu lassen, ob man getestet werden möchte“, sagt Gesundheitsminister Magnus Heunicke in einer Pressemitteilung. Es solle nun „wesentlich mehr und breit“ in der Bevölkerung getestet werden, da es entscheidend sei, versteckte Infektionen aufzuspüren: „Jede einzelne Infektionskette ist eine zu viel und kann potenziell zu mehreren werden.“
Deswegen fordert der Gesundheitsminister alle, die auch nur den geringsten Verdacht haben, mit Covid-19 angesteckt sein zu können, dazu auf, sich testen zu lassen. Am Dienstag hatten bereits um die 4500 Dänen zwischen 18 und 25 Jahren online einen Termin gemacht. „Warum nicht, wenn doch jetzt die Möglichkeit besteht“, sagte die 25-jährige Magdalena.
Christian, ein 22-jähriger Erzieher aus Aarhus, ist bereits mit einer versteckten Infektionsgefahr in Berührung gekommen. Seine Kollegin wurde positiv auf das Coronavirus getestet, obwohl sie keine Symptome hatte. Nun müssen die Kollegen auch alle untersucht werden um sicherzugehen, dass sie die Infektion nicht weitertragen.
Christian hat sich den Test selbst online bestellt, „schließlich will man mit seinen Lieben kein Risiko eingehen“, erklärt er. Deswegen wird er auch unabhängig des Ergebnisses nach dem Test weiterhin die Corona-Richtlinien befolgen: „Ich bin nicht in der Risikogruppe, aber man passt ja genauso auf alle anderen auf, deswegen würde es keinen Sinn machen, wenn man sich benehmen würde, als wäre alles gut.“
Quelle: Kim Bowman
Experten warnen bei der Strategie des symptomfreien Testens vor der Gefahr einer falschen Geborgenheit, denn ein negativer Test ist lediglich eine Momentaufnahme. Arzt und Journalist Peter Geisling erklärt in den Nachrichten des Senders „Danmarks Radio“, es dürfe absolut nicht geschehen, dass negativ getestete Personen nun meinen, sie könnten sich „benehmen wie sie wollen“. Schließlich sei es auch möglich, sich zehn Sekunden nach dem durchgeführten Virustest anzustecken.
In einem Artikel zu der neuen Teststrategie in der Tageszeitung „Berlingske“ wird außerdem auf das Risiko eines falschen negativen Testergebnisses aufmerksam gemacht. Eine Expertengruppe der Gesundheitsbehörde weise darauf hin, dass es schwierig sei, Personen ohne Symptome zu testen, weil es „die Möglichkeit verringert, Virusmaterial auf dem Wattestäbchen zu fangen“. Somit könne das Ergebnis eines Virustests negativ ausfallen, obwohl eine Infektion vorliegt.
Quelle: Kim Bowman
In einem Gespräch mit dem soeben getesteten Patrick vor dem Testzelt in Aarhus kommt die Thematik zum Vorschein. Auf die Frage, ob er sich in Zukunft anders verhalten würde, wenn das Testergebnis keine Infektion nachweist, antwortet der 29-Jährige: „Wahrscheinlich schon, ja.“ Er würde sich wohl eher mit Leuten treffen, nun wo er beweisen kann, dass der Test negativ war. „Ich würde mich sicherer fühlen.“
Er erzählt weiter, dass er diese Geborgenheit nicht nur unmittelbar nach dem Virustest haben würde: „Da bin ich wahrscheinlich etwas naiv, aber so lange die Reproduktionszahl unter eins ist, weiß man ja, dass es jeden Tag weniger und weniger Infizierte gibt. Wenn ich es jetzt nicht habe und das Risiko, dass ich mich anstecke, Tag für Tag geringer wird, dann würde ich diese Sicherheit wahrscheinlich noch eine Weile, wenn nicht die ganze Zeit, behalten.“
Die meisten Befragten sagten allerdings, dass sie sich nach dem Test nicht anders verhalten würden als zuvor. Mads, der anfangs erwähnte Unternehmer, teilt die Meinung vieler Dänen, die sich in den vergangenen Tagen online und offline zu der neuen Teststrategie geäußert haben – eine wirkliche Sicherheit würde erst der Antikörpertest bieten. Leider ist dieser noch nicht für alle zugänglich.