Sondersitzung wegen Ramelow

Bund und Länder planen weitere Lockerungen

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Der thüringische Ministerpräsident Ramelow will Beschränkungen nur noch auf lokaler Ebene einsetzen.(Foto: picture alliance/dpa)

Thüringens Ministerpräsident Ramelow kündigt einen Verzicht auf landesweite Beschränkungen im Kampf gegen das Coronavirus an. Selbst Ramelows Koalitionspartner kritisiert das. Nun wird sogar eine Sitzung des Corona-Kabinetts abgesagt. Es gebe "dringenden Gesprächsbedarf".

Die für heute geplante Sitzung des Corona-Kabinetts der Bundesregierung ist kurzfristig abgesagt worden. Grund ist nach RTL- und ntv-Informationen bestehender "dringender Gesprächsbedarf" zwischen Bund und Ländern nach dem Vorstoß des thüringischen Ministerpräsidenten Thüringens Bodo Ramelow von der Linken. Die Teilnehmer seien von den weitgehenden Lockerungsplänen aus Erfurt überrascht, daher sei die Beschlussvorlage für die Kabinettssitzung überholt. Das Treffen werde am Mittwoch im Rahmen der wöchentlichen Kabinettssitzung nachgeholt.

Stattdessen wurde nun eine Telefonkonferenz mit den Chefs von Kanzleramt und Staatskanzleien anberaumt. Deren Beschlussvorlage, die RTL und ntv vorliegt, sieht vor, dass die Kontaktbeschränkungen bundesweit erheblich gelockert werden können.

Ramelow hatte am Wochenende angekündigt, dass er in Thüringen vom 6. Juni an auf die allgemeine, landesweit gültige Corona-Schutzvorschriften verzichten will. Damit würden landesweite Regeln zu Mindestabständen, dem Tragen von Mund-Nasen-Schutz sowie Kontaktbeschränkungen nicht mehr gelten. Anstatt dieser Vorgaben soll es dann regionale Maßnahmen abhängig vom Infektionsgeschehen vor Ort geben. Dafür ist ein Grenzwert von 35 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche im Gespräch. Über die Details soll am Dienstag in einer Kabinettssitzung beraten werden. Sachsens Sozialministerin Köpping kündigte an, Thüringens Beispiel folgen zu wollen.

"Verheerendes Signal"

Ramelows Vorstoß hatte heftigen Widerspruch von verschiedenen Seiten hervorgerufen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn etwa sagte der "Bild"-Zeitung: "Es darf in keinem Fall der Eindruck entstehen, die Pandemie wäre schon vorbei". Zwar gebe es Regionen, in denen tagelang keine Neuinfektionen gemeldet würden. Andererseits gebe es lokale und regionale Ausbrüche, die schnelles Eingreifen erforderlich machten. Die Verantwortung dafür liege bei den Ländern, so der CDU-Politiker.

In einer Videokonferenz des CDU-Präsidiums war am Vormittag von einem "verheerenden" Signal die Rede, wie es aus Teilnehmerkreisen hieß. Man sei von den Plänen Ramelows überrascht worden. Kritik kam demnach etwa vom saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans und von NRW-Regierungschef Armin Laschet.

Kritik kam auch vom Koalitionspartner: Der Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sagte, es gebe noch viele Menschen, die besonders gefährdet seien. "Da ist so eine Alles-geht-Botschaft, auch wenn wir alle eine Rückkehr zur Normalität wollen, verkehrt und zu leichtsinnig", sagte er im "ntv Frühstart". Es gebe weder eine Therapie noch ein Medikament oder einen Impfstoff gegen Covid-19. "Deswegen sollten auch gerade Personen in Spitzenpositionen, wie ein Ministerpräsident, eher bremsen als den Beschleuniger geben."

Doch auch in Thüringen herrscht keineswegs Einigkeit in der rot-rot-grünen Koalition über Ramelows Vorstoß. Grünen-Umweltministerin Anja Siegesmund warnte vor zu forschen Corona-Lockerungen. "Der Lockdown verlangt uns allen viel ab", twitterte sie. "Wir müssen aber aufpassen, dass wir angesichts des erfolgreichen Pandemiemanagements nicht leichtsinnig werden und überdrehen." Sie sprach sich dafür aus, zunächst Kindergärten und Schulen voll zu öffnen und dann in Abstimmung mit den anderen Ländern weitere Schritte abzustimmen. "Das ist der Weg", betonte die Ministerin.

"Müssen überlegen, wie wir als Nachbar damit umgehen"

Linke-Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch verteidigte dagegen die Lockerung der allgemeinen Corona-Beschränkungen in Thüringen. Ramelow wolle weder Abstandsregeln noch Maskenpflicht abschaffen, sondern bei den Auflagen regionalisieren, sagte er im Deutschlandfunk. Er gehe davon aus, dass Ramelow und seine Regierung dabei "äußerst aufmerksam bleiben". Bartsch betonte zugleich, es dürfe "keinen Lockerungswettlauf" unter den Bundesländern geben.

Der Leiter der bayerischen Staatskanzlei, Florian Herrmann, hatte daraufhin der "Bild"-Zeitung gesagt, das Nachbarland werde "zu einem Gefahrenherd für wieder steigende Infektionszahlen in ganz Deutschland". Die Thüringer Pläne seien "ein hochgefährliches Experiment für alle Menschen in diesem Land". Herrmann verwies darauf, dass der Landkreis Sonneberg, einer der beiden Corona-Hotspots in Thüringen, direkt an Bayern angrenze. "Wir müssen uns nun überlegen, wie wir als Nachbar damit umgehen", sagte der CSU-Politiker.

Bartsch wies die Warnungen aus Bayern zurück. Er verstehe nicht, dass diejenigen, die das höchste Infektionsgeschehen und die meisten Infizierten hätten, "Ramelow vorwerfen, dass er sozusagen gefährdet". Es gebe eine "erhebliche Differenz" zwischen den Zahlen in Bayern und Thüringen. Die Äußerungen Herrmanns seien "einigermaßen ungehörig". Mit Blick auf die Landkreise mit den sehr hohen Infektionszahlen verwies Bartsch auf die Aussage Ramelows, dass dort "mit größter Konsequenz" gehandelt werden müsse.