Abgasskandal
BGH urteilt: Volkswagen muss klagenden Dieselkäufern Schadensersatz zahlen
Käufer manipulierter Dieselautos haben grundsätzlich Anspruch auf Schadensersatz. Laut BGH können sie ihr Fahrzeug zurückgeben und von VW den Kaufpreis teilweise zurückverlangen.
by Frank Matthias DrostBerlin. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Volkswagen AG (VW) im Dieselskandal wegen sittenwidriger Schädigung zu Schadensersatz an einen Automobilbesitzer verurteilt (VI ZR 252/19). VW muss den Kauf eines gebrauchten Dieselfahrzeugs rückabwickeln, den Kaufpreis erstatten, sowie Verzugszinsen zahlen.
Allerdings muss von dem Kaufpreis ein Entgelt für die Nutzung des Fahrzeugs abgezogen werden. „Wir haben das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz im Wesentlichen bestätigt“, sagte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe.
Es ist das erste höchstrichterliche Urteil im Dieselskandal. Die Anleger reagierten darauf zunächst kaum: Das VW-Papier notierte nach der Urteilsverkündigung 0,3 Prozent im Minus.
Geklagt hatte in dem konkreten Fall ein Mann aus Rheinland-Pfalz. Er hatte im Januar 2014 einen gebrauchten VW-Sharan 2.0 TDI des Typs EA 189 für 31.490 Euro von einem Autohändler erworben. Bei Erwerb betrug der Kilometerstand 20.000. Der Klage auf Rückabwicklung gab der BGH jetzt statt unter Berücksichtigung eines Nutzungsentgelts.
Dabei orientierte sich der BGH am Entscheid des Oberlandesgerichts Koblenz. Das Gericht hatte VW verurteilt, das Fahrzeug zurückzunehmen und 25.616 Euro zu zahlen. Als Nutzungsentschädigung wurde dabei ein Betrag von knapp 5.900 Euro festgesetzt.
Wegen dieses Entscheids ging der Kläger in Revision. Da er sich getäuscht sah, wollte er keine Nutzungsentschädigung zahlen. Dazu ist er allerdings verpflichtet, urteilte der BGH nun.
Verbraucheranwälte freut das Urteil trotzdem. „Das ist das erste Mal, dass das oberste deutsche Zivilgericht im Streit um unzulässige Diesel-Manipulationen Rechtssicherheit für Millionen Verbraucher schafft – ein Meilenstein“, freut sich Claus Goldenstein, Inhaber der Kanzlei Goldenstein & Partner, die den Dieselfahrer vor dem BGH vertrat.
Das sieht Sven Bode, Gründer des Rechtsdienstleisters MyRight ähnlich: „Viele Gerichte hatten ja zu Beginn des Dieselskandals Zweifel, ob die Manipulation von Abgaswerten als vorsätzliche sittenwidrige Täuschung zu werten ist. Der BGH hat das bejaht und gibt dem Verbraucher damit natürlich ein scharfes Schwert in die Hand.“ VW sieht das Urteil des BGH als Schlusspunkt an und will die anhängigen Verfahren zeitnah beenden.
Präzedenzfall für tausende Klagen
Mit manipulierten Dieselmotoren hatte VW dafür gesorgt, dass Fahrzeuge in Testsituationen weniger Schadstoffe ausstießen als im normalen Straßenverkehr. Viele Verbraucher setzten sich gegen diese Abgastricks juristisch zur Wehr.
Die Rechtsstreitigkeiten belasten die deutschen Gerichte bis heute enorm. Dabei haben sich bereits rund 240.000 Fahrzeughalter in einer Musterfeststellungsklage der Verbraucherschützer mit VW geeinigt. Weitere 63.000 Urteile sind auf Land- und Oberlandesgerichtsebene ergangen. „Mehrere Zehntausend Verfahren“, konkretere Angaben macht Volkswagen nicht, endeten durch Vergleich.
Aus dem Schneider ist der Autokonzern damit aber noch nicht. Weitere 60.000 Verfahren sind allerdings noch anhängig. Für die hat das Urteil schon Präzedenzcharakter, auch wenn die Verfahren nicht im Detail identisch sind.
„Wir können auf Basis des Urteils für jeden unserer 21.000 Mandanten das Ergebnis seiner Klage valide ermitteln“, sagt Christian Brade, Projektleiter der Kanzlei Goldenstein & Partner. Bei MyRight sind derzeit drei Sammelklagen mit 35.000 Kunden anhängig. „Da geht es um ähnlich gelagerte Fälle, so dass das Urteil in großen Teilen übertragen werden kann“, sagt Bode.
Der Streitwert beläuft sich auf rund eine Milliarde Euro. „Nach Vorlage des Urteils werden wir sehen, ob wir uns gegebenenfalls mit VW gütlich einigen können“, erklärt Bode. „Alternativ können wir das auch in Tausende Einzelklagen überführen.“
Die Bereitschaft sich zu einigen, ist offensichtlich da. VW sei bestrebt, die anhängigen Verfahren im Einvernehmen mit den Klägern zeitnah zu beenden, heißt es beim Automobilkonzern. Zum Ende des Jahres sollten die meisten Verfahren beendet sein. Im Kern will VW den betroffenen Kunden wohl Vergleiche anbieten, die Einmalzahlungen beinhalten.
Dabei ist dem Autohersteller nicht daran gelegen, die Fahrzeuge zurückzunehmen. Im Einzelfall muss der Kläger sehen, mit welcher Variante er besser dasteht.
Nicht für alle Verbraucher rechnet sich eine Rückabwicklung, denn die Erstattung reicht oft nicht für den Kauf eines vergleichbaren Neufahrzeugs. Entscheidend ist darum vor allem die Höhe der Nutzungsentschädigung. „Der BGH hat keinen Modus vorgegeben, wie der Nutzungsersatz zu berechnen ist“, bemerkt Bode von MyRight. Das sei jetzt den unteren Instanzen vorbehalten.
So berechnet man die Nutzungsentschädigung
Als Faustformel wird der Bruttoverkaufspreis multipliziert mit der Anzahl der gefahrenen Kilometer dividiert durch die erwartbare Gesamtleistung. Kostete also beispielsweise ein manipuliertes Fahrzeug beim Kauf 32.000 Euro und fuhr bislang 150.000 Kilometer bei einer geschätzten Gesamtlaufleistung von 300.000 Kilometers liegt der Nutzungsersatz bei 16.000 Euro. Bei Rückgabe des Fahrzeugs würde der Verbraucher diesen Betrag erhalten.
Doch auch nach dem BGH-Urteil sind einige Fragen nicht geklärt. Zum Beispiel die Frage der Verjährung.
VW informierte die Öffentlichkeit im September 2015 über die Abschalteinrichtungen. Ab wann sind Klagen verjährt? VW geht davon aus, dass alle Ansprüche ab dem 1. Januar 2019 verjährt sind. Von den noch 60.000 anhängigen Verfahren wurden in rund 10.000 Fällen die Klagen ab 2019 erhoben.
Ungeklärt ist auch weiterhin, ob VW zur Zahlung von sogenannten Deliktzinsen verpflichtet wird. Einige Gerichte sind der Auffassung, dass VW aufgrund der bewussten Täuschung des Käufers Zinsen auf den Kaufpreis zu leisten hat, andere nicht. Der BGH wird sich mit dieser Thematik im Juli beschäftigen.
Während die VW-Anwälte betonen, dass den Klägern keine Deliktzinsen zustehen, sehen das Klägeranwälte anders. „Da VW vorsätzlich manipuliert hat, ist der Weg nach unserer Auffassung für Deliktzinsen frei. Diese könnten sich auf bis zu vier Prozent auf den Kaufpreis ab Zahlung belaufen“, sagt Brade. Über einen mehrjährigen Zeitraum können da erhebliche Summen zusammenkommen, die für den Kläger eine Art Ausgleich für die jeweils zu zahlende Nutzungsentschädigung darstellen können.
Mit dem neuen Urteil ist aber längst nicht alles entschieden. Andere Fallkonstellationen wird sich der BGH in weiteren Verfahren genauer ansehen – zum Beispiel, ob VW-Kunden auch dann Schadensersatz zusteht, wenn sie ihr Auto erst nach Bekanntwerden des Dieselskandals gekauft haben.
Die drei nächsten Verhandlungen zu VW-Klagen haben die Karlsruher Richter für Mitte und Ende Juli angesetzt.
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