BGH-Urteil im Abgas-Skandal: Diesel-Prozess: VW rechnet mit Teil-Niederlage - was es für VW-Besitzer bedeutet
by FOCUS OnlineHeute spricht der Bundesgerichtshof ein wegweisendes Urteil für Käufer von manipulierten Diesel-Fahrzeugen. Es wird rund 60.000 Verfahren zugunsten der Kläger beschleunigen. Wahrscheinlich bleibt VW aber eine bittere Kröte erspart.
Nach außen hin gibt sich Volkswagen entspannt. Wenn der BGH am heutigen Montag seine Entscheidung verkündet (VI ZR 252/19), weiß der Konzern bereits, dass wesentliche Punkte nicht zu seinen Gunsten entschieden werden. In der der mündlichen Verhandlung hatten die Richter dies angedeutet. "Von einem Urteil erwarten wir Klarheit, wie der BGH bestimmte Rechtsfragen in zahlreichen VW-Verfahren beurteilt. Dies kann die zügige Beendigung vieler noch laufender Verfahren erleichtern. Anlass für neue Klagen wird es kaum geben. Gründe dafür sind die hohe Annahmequote für die Vergleiche im Musterfeststellungsverfahren und die Verjährung von Ansprüchen, die nicht zur Musterfeststellungsklage angemeldet wurden", so der Konzern.
Kläger bekommt Kaufpreis für manipulierten VW erstattet
In dem Prozess geht es um einen manipulierten VW Sharan, der im Jahr 2014 als Gebrauchtwagen bei einem freien Händler gekauft wurde. "Im Juni 2019 sprach das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 25.616 Euro nebst Zinsen für die Rückgabe seines manipulierten PKW zu. Zu diesem Zeitpunkt war es das erste stattgegebene Urteil eines deutschen Oberlandesgerichts im Abgasskandal gegen die Volkswagen AG", so die Kanzlei Goldenstein & Partner, die den Kläger vertritt.
Warum das BGH-Urteil im Abgasskandal so wichtig ist
Das BGH-Urteil hat nun Signalwirkung für alle noch laufenden oder neuen Prozesse. Mit ihren Urteilen geben die obersten deutschen Zivilrichter in aller Regel die Linie vor, an der sich untere Instanzen orientieren. Rechtsexperten erwarten von dem Urteil zwei wesentliche Feststellungen:
- Volkswagen muss Schadensersatz für manipulierte Dieselautos leisten und die Autos zurücknehmen. Aus Sicht der Richter dürfte schon durch den ungewollten Vertragsschluss - also den Kauf des Autos ohne Kenntnis der Abgas-Trickserei - ein Schaden entstanden sein. Ob das Auto voll nutzbar war oder nicht, habe letztlich vom Zufall abgehangen - nämlich davon, ob und wann die illegale Software-Funktion entdeckt wird und welche Folgen das hat.
- Der Kläger muss sich allerdings vom erstatteten Kaufpreis eine Nutzungsentschädigung abziehen lassen für die Zeit, in der er den Wagen gefahren hat. Die Höhe ist abhängig davon, wieviel Kilometer der Besitzer bereits im Verhältnis zur erwarteten Gesamtlaufleistung des Wagens zurückgelegt hat. Je niedriger die Richter diese Gesamtlaufleistung ansetzen, desto besser für VW, denn umso weniger vom Kaufpreis muss der Konzern zurückerstatten.
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Nutzungsentschädigung ist für Volkswagen entscheidend
"Die Höhe der Nutzungsentschädigung berechnet sich aus dem Anteil der bisher zurückgelegten Kilometer an der maximalen Laufleistung jedes Fahrzeuges. Letztere wird in der Regel mit etwa 250.000 bis 350.000 Kilometern beziffert. Hat ein Auto also 150.000 Kilometer zurückgelegt und es wird eine Maximalleistung von 300.000 Kilometern angenommen, wird eine Nutzungsentschädigung von 50 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises von der Entschädigungssumme abgezogen. Der Kläger bekäme folglich nur die Hälfte des Kaufpreises", so die Kanzlei Goldenstein & Partner.
Die Anwälte verweisen auf einige Urteile von Landgerichten, in denen die Kläger zunächst keine Nutzungsentschädigung zahlen mussten. Solche sehr verbraucherfreundlichen Urteile dürften allerdings keinen Bestand haben, wenn das BGH eine Nutzungsentschädigung grundsätzlich bejaht.
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63.000 Urteile sind bis heute auf Landgerichts- und Oberlandesgerichtsebene ergangen, sagt VW. Nur auf OLG-Ebene seien es 1000 gewesen - und das meistens zugunsten von Volkswagen. 60.000 Verfahren seien noch anhängig. Diese dürften nach dem BGH-Urteil dann schnell zugunsten der Kläger entschieden werden. Diesel-Anwälte und Rechtsdienstleister erwarten aber nach dem Grundsatz-Urteil eine neue Klagewelle, die auch andere Autohersteller betreffen könnte. Tatsächlich ist eine regelrechte Klageindustrie entstanden, die hohe Umsätze mit Gebühren und Provisionen macht.
Diesel-Drama ist für VW noch lange nicht beendet
Mit dem BGH-Urteil sind ohnehin noch nicht alle juristischen Fragen geklärt. So hat das Urteil keine Auswirkungen für die Fälle, in denen die Kläger einen Wagen erst nach Bekanntwerden des Abgas-Skandals im Jahr 2015 gekauft haben. Auch bei Leasing-Fällen sowie wenn die Kläger statt einer Rückabwicklung des Vertrags eine Minderung des Kaufpreises wollen, ist die Situation noch nicht geklärt. Das dickste Problem für Volkswagen, aber auch für andere bereits vom Kraftfahrt-Bundesamt zu verpflichtenden Diesel-Rückrufen verdonnerten Hersteller wie Daimler, kommt ohnehin erst noch - vom Europäischen Gerichtshof.
EuGH-Urteil zu Abschalteinrichtung bedroht diverse Hersteller
Der EuGH muss darüber entscheiden, ob Abschalteinrichtungen bei Diesel-Motoren, darunter auch das berühmte "Thermofenster", mit dem Gesetz vereinbar sind. Ein Gutachten der Staatsanwaltschaft hat das kürzlich klar verneint. Abschaltungen der Abgasreinigungen zum Motorschutz seien nur erlaubt, wenn dem Fahrzeug dadurch ein unmittelbarer Schaden drohe. Das würde bedeuten, dass neben den Betrugs-Dieseln vom Typ EA189 noch hunderttausende andere Diesel-Autos von Volkswagen, Audi, Skoda und Seat, aber auch von anderen Herstellern wie Mercedes, Volvo oder Renault nicht mit der entsprechenden Abgas-Steuerung in den Verkehr gebracht hätten werden dürfen.
Nach Informationen von FOCUS Online verfuhren deutsche, aber wohl auch andere europäische Zulassungsbehörden bei Fahrzeugen der Abgasnorm Euro 5 und frühen Euro 6-Norm grundsätzlich so, dass Abschalteinrichtungen zum Motorschutz genehmigt wurden, wenn Autohersteller dies als technisch oder physikalisch notwendig begründeten - also auch in solchen Fällen, bei denen es nur um vorzeitigen Verschleiß ging. Wenn dies genehmigt wurde, aber womöglich nicht im Einklang mit dem EU-Recht stand, hätten die Hersteller in diesen Fällen zwar nicht bewusst betrogen, wie es bei der Prüfstands-Manipulation von VW der Fall war. Juristen sprechen von einem "Verbotsirrtum", der aber die Hersteller nicht von der Haftung entbindet. Illegal wären Diesel mit "Thermofenster" nämlich trotzdem - und die Hersteller entsprechend schadensersatzpflichtig.
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