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Besser Pappkameraden als gar keine Fans? Borussia Mönchengladbach glaubt an einen Effekt.

Der zwölfte Mann: Spielentscheider oder Einbildung?

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Wenn es auf dem Rasen nicht so läuft, wie es laufen soll, hilft in diesen Corona-Zeiten auch der sogenannte zwölfte Mann nicht weiter. Statt Emotionen von den Rängen präsentiert die Fußball-Bundesliga "Geisterspiele" in leeren Stadien. "Das ist ein Nachteil im Moment", sagt HSV-Trainer Dieter Hecking. Beim torlosen Unentschieden im Zweitliga-Spitzenspiel gegen Arminia Bielefeld hätten die 57.000 im Volksparkstadion gefehlt, "die wir normalerweise gehabt hätten. Das Publikum hätte uns in der Endphase nochmal richtig angetrieben." Von Heimvorteil kann keine Rede sein. Aber gibt es den überhaupt? Sportpsychologe Bernd Strauß hat Zweifel.

Stimmung ohne Einfluss auf Ergebnisse

"Wenn es um das Resultat von Fußballspielen geht, bringen die Zuschauer und deren Anzahl nichts", sagt der Professor von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Über Jahre haben er und seine Kollegen die Ergebnisse von 600.000 Spielen untersucht, Phasen des Spiels mit viel Stimmung im Vergleich zu denen mit wenig Stimmung ausgewertet, und keinen Beleg dafür gefunden, dass Teams erfolgreicher sind, wenn sie von ihren Fans angefeuert werden.

"Natürlich haben die Zuschauer auf einzelne Aspekte einen Einfluss", sagt Strauß im NDR Sportclub und nennt in diesem Zusammenhang Einsatz und Laufbereitschaft.

80 Prozent sind Zufall

Deshalb aber auf einen Heimvorteil als Ganzes oder gar ein Konzept zu schließen, sei nicht zu belegen. Die Bedeutung sinke kontinuierlich seit zehn, 15 Jahren. "Die Anzahl der Heimsiege liegt in dieser Saison bis zum 25. Spieltag bei 43 Prozent." Der Vorteil zeige sich bestenfalls punktuell. In der Vertrautheit, zu Hause antreten zu können beispielsweise, die Bedingungen zu kennen und seine Routinen zu haben. Dass ein schwächeres Team dem Favoriten ein Bein stellt, schließe das nicht aus. "Häufig wird aber unterschätzt, dass der Zufallsanteil im Fußball sehr hoch ist", so Strauß. Mathematisch gesehen, spiele der Zufall in 80 Prozent der Spielszenen eine mehr oder minder große Rolle.

Druck als Antrieb oder Bremse

Ist die Rechnung, wonach gute Stimmung auf den Rängen gleichbedeutend mit Erfolg auf dem Platz ist, also nur eine Illusion? "Es kann hilfreich sein, zu Hause zu spielen. Genauso kann es aber auch einen erheblichen Druck auslösen", sagt der Sportpsychologe und nennt die immense Erwartungshaltung, die die eigenen Zuschauer aufbauen können. "Für manch einen ist die Situation jetzt sogar einfacher", sagt Weltmeister Mats Hummels. Der Dortmunder kennt Spieler von beiden Enden des Psychogramms: "Sportler, die in Drucksituationen nachlassen - und die, die noch ein paar Prozent drauflegen.“

Trainer beschwören Macht der Fans

"Manche leiden regelrecht darunter, dass die Atmosphäre fehlt", sagt Hummels. "Sie tragen uns durch die Saison und haben einen großen Anteil an unserem Punktestand", hat Robin Dutt einmal gesagt, als er noch Trainer von Werder Bremen war. Und auch der Ex-Hannoveraner Mirko Slomka ("Die Fans haben gemerkt, dass die Jungs ihre Unterstützung brauchen") und Schalkes David Wagner ("Wir brauchen die Stimmung, wir brauchen die Energie") beschwören die positive Wirkung der Anfeuerungen von den Rängen. Strauß dagegen bezieht sich auf die Daten seiner Untersuchung, wenn er den Einfluss der Fans als "Kontroll-Illusion", also als deutlich überbewertet bezeichnet.

Der zwölfte Mann kann nichts ausrichten

Die Bundesliga-Restsaison wird jedenfalls vor leeren Rängen stattfinden und laut Frankfurts Sportdirektor Fredi Bobic vermutlich skurril und torreicher verlaufen, auch weil die Spieler, so Strauß, "wegen der Corona-Situation viele ungewohnte Dinge beachten müssen und anfällig für Fehler sein werden". Der zwölfte Mann, der in Bremen sogar als Fan-Bier vertrieben wird, kann derweil - wo immer er zuschaut - wie schon zuvor nichts ausrichten. Er ist vorerst nicht mehr als pure Nostalgie.