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dpa/ARTE France/Medienwerkstatt Wien Heinrich Himmler

Reichsführer-SS: "Fixierten seine Zunge mit Faden und Nadel": Die letzten Stunden vor Himmlers Selbstmord

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Heinrich Himmler war wohl der schlimmste Schreibtischtäter des Dritten Reiches. Für seine Taten verantworten wollte er sich jedoch nicht. Stattdessen brachte er sich während eines Verhöres durch britische Soldaten am 23. Mai 1945 selbst um.

Nein, die letzten Wochen der Nazi-Herrschaft in Deutschland waren keine schöne Zeit für Heinrich Himmler. Adolf Hitlers „Tausendjähriges Reich“ lag nach nur zwölf Jahren vernichtend geschlagen am Boden, war von gegnerischen Truppen größtenteils besetzt und sah einer äußerst ungewissen Zukunft entgegen. Aber das schlimmste für Heinrich Himmler war wohl die Tatsache, dass er bei seinem „Führer“ in Ungnade gefallen war.

Der allseits gefürchtete Reichsführer SS, Reichsinnenminister, Chef der Polizei und des Ersatzheeres sowie Herr über die Konzentrations- und Vernichtungslager hatte nämlich hinter Hitlers Rücken in der letzten Stunde vor der endgültigen Niederlage noch Friedensfühler in Richtung Westmächte ausgestreckt. Als Hitler davon durch eine Nachricht in der britischen BBC erfuhr, tobt er in seinem Bunker unter der Berliner Reichskanzlei. Kapitulation kam für ihn nicht in Frage – eher sollten noch zehn- oder hunderttausende Zivilisten und Soldaten sterben.

Himmler sah das anders. Er wollte den Friedensschluss mit den Westallliierten aber nicht aus humanitären Gründen, sondern einzig, um sein eigenes Leben zu retten. Er wusste, dass er ganz oben auf der Liste mit Kriegsverbrechern stand, die zur Fahndung ausgeschrieben waren und abgeurteilt werden sollten.

Spannend, aber gerade keine Zeit?

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Ernsthaft glaubte er, dass der Oberbefehlshaber der Westalliierten, General Dwight D. Eisenhower, mit ihm in Augenhöhe Verhandlungen aufnehmen würde, damit die Deutschen gemeinsam mit den Amerikanern und Briten gegen die Rote Armee vorgehen würden. Eisenhower dachte natürlich überhaupt nicht daran. Warum hätte er das auch tun sollen? Deutschland hatte den Krieg unwiderruflich verloren, Himmler hatte absolut nichts mehr zu bieten.

Der „Anhimmler“ war schockiert wegen Hitlers Gunst-Entzug

Für Himmler aber war wohl der größte Schock, dass Hitler ihn nach dem Bekanntwerden des Verhandlungsangebots von seinen Ämtern enthob. Er hatte stets damit gerechnet, im Falle eines Ablebens des „Führers“ selbst an die erste Stelle des Dritten Reichs zu rücken. Doch dort saß nun Großadmiral Karl Dönitz, den Hitler in seinem „Politischen Testament“ einen Tag vor seinem Selbstmord am 30. April zum neuen Reichspräsidenten ernannt hatte.

Doch Himmler, von Kritikern unter der Hand auch gerne „Reichsheini“ oder – weil er Hitler bis zur Imitation nachahmte – auch „Anhimmler“ genannt, wusste, dass es von nun an nur noch um eins ging: um sein Leben.

Aus Berlin war er schon seit Wochen geflüchtet. Eine Weile hatte er sich mit einer Erkältung in seinem Hauptquartier in Hohenlychen ins Bett gelegt, während täglich tausende Menschen starben. Einen Tag vor dem Tod des „Führers“ begab er sich am 29. April in das Quartier von Dönitz, der im schleswig-holsteinischen Plön residierte. Hier erfuhr er von der Nachfolgeregelung und bot sich Dönitz nach einem kurzen Schockmoment weiter als Innenminister an.

In den kommenden Tagen tauchte er immer wieder unaufgefordert in Plön auf – bis Dönitz, der von einer Zusammenarbeit mit dem schwer diskreditierten Himmler nichts wissen wollte, ihm endgültig klarmachte, dass er ein Mann ohne jedes Amt sei. Er entließ ihn mit den Worten: „Jeder, der einmal ein Verräter war, wird auch weiterhin bereit sein zum Verrat“.

Der brutalste Massenmörder Nazi-Deutschlands

Der neue Außenminister Graf Schwerin von Krosigk riet ihm, sich schnurstracks in das Hauptquartier des britischen Oberbefehlshabers General Montgomery zu begeben und sich seiner Verantwortung zu stellen. Davon aber wollte Himmler nichts wissen. Er sah aber ein, dass es für ihn nur noch eine Chance gab, um zu überleben: Er musste untertauchen.

Längere Vorbereitungen dafür hatte er offenbar anders als andere Nazi-Führer nicht in Gang gesetzt. Sein größtes Problem war, dass sein Gesicht allenthalben bekannt war. Jeder Deutsche kannte es und viele der in der Gegend stationierten ausländischen Soldaten auch. Heinrich Himmler galt, spätestens seit die Verbrechen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern mit deren Befreiung in ihrem ganzen Ausmaß bekannt geworden waren, als der brutalste Massenmörder Nazi-Deutschlands.

Mit Augenklappe machte sich Himmler auf die Flucht

Er besorgte sich die Uniform eines Feldwebels der Geheimen Feldpolizei und die dazugehörigen Papiere auf den Namen Heinrich Hitzinger. Er entfernte sein kleines Bärtchen, setzte sich eine Klappe über das linke Auge, besorgte sich aber nicht einmal eine neue Brille. Die neue Identität stellte sich als Fehler heraus, denn Mitglieder der Geheimen Feldpolizei galten bei den Briten als automatisch zu verhaften.

Gemeinsam mit einer Entourage aus vermutlich sieben Personen begab er sich auf die Flucht. Dazu gehörten unter anderem Himmlers persönlicher Referent Rudolf Brandt, sein Leibarzt, SS-Brigadeführer Karl Gebhardt, sein Sekretär Werner Grothmann und der Chef von Himmlers Leibwache, SS-Sturmbannführer Heinz Macher.

Es gehört zu den Merkwürdigkeiten der sehr weit gestreuten Geschichtsschreibung des Dritten Reiches, dass es ausgerechnet über die letzten Tage eines der führenden Männer der NS-Diktatur relativ wenig gesicherte Informationen gibt. In der der Standard-Biographie des Historikers Peter Longerich nehmen seine letzten Tage kaum eine Seite – von mehr als 1000 – ein.

Bekannt ist laut der Website deathcamps.org, die verfügbare Quellen wie Erinnerungen beteiligter englischer Soldaten auswertete, dass Himmler sich mit seiner Begleitung vom 7. bis zum 11. Mai auf einem Bauernhof in Satrup in der Nähe von Flensburg, wo Dönitz inzwischen sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte, aufhielt.

 

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Drei russische Soldaten griffen den ehemaligen Reichsführer SS auf

Der weitere Weg der Gruppe könnte so ausgesehen haben: über Delve und Friedrichstadt an der Elbe sowie Marne bis nach Brunsbüttel und Neuhaus. Da das Ziel der Gruppe Bayern war, bewegte sie sich vermutlich langsam und vorsichtig weiter Richtung Süden. In der von den Briten besetzten Gegend herrschte großes Chaos, weil sich hier viele deutsche Soldaten aufhielten.

Am 18. Mai erreichte die Gruppe Bremervörde und versteckte sich bis zum 22. Mai in einem Bauernhaus in der dortigen Waldstraße. Die wahrscheinlichste Variante lautet, dass Himmler gemeinsam mit Macher und Grothmann schließlich am 22. Mai von drei russischen Soldaten, die aus einem Kriegsgefangenenlager befreit worden waren und nun an einer Brücke in Minstedt, etwa 20 Kilometer südlich von Bremervörde, Posten standen, auf ihrem weiteren Weg aufgegriffen wurden.

Himmler und die zwei anderen wurden demnach festgenommen und über Nacht in einer Mühle in Bremervörde festgehalten. Am nächsten Tag wurden sie den Engländern übergeben. Sie wurden per LKW in das Lager Kolkhagen, am Rande des Dorfes Barnstedt südlich von Lüneburg gebracht. Nach einem kurzen Zwischenstopp im Hauptquartier der 45. Feldpolizeiabteilung in Zeven traf der Transport gegen 18.30 Uhr in Kolkhagen ein.

Etwa eine halbe Stunde später wurden die drei Männer auf ihr ausdrückliches Verlangen dem Lagerkommandanten Captain Thomas Selvester vorgestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt war keinem der beteiligten britischen Soldaten klar, welch dicker Fisch ihnen ins Netz gegangen war.

„Klein, krank aussehend und schäbig gekleidet“

Selvester, erstaunt über das ungewöhnliche Ansinnen, ihn zu sprechen, beschrieb die Szene später so: „Der erste Mann, der mein Büro betrat, war klein, krank aussehend und schäbig gekleidet, wurde aber sofort von zwei anderen Männer begleitet“. Selvester ließ die beiden anderen Männer hinausbringen, um sich mit dem dritten alleine zu unterhalten. Als dieser die Augenklappe abnahm und eine Brille aufsetzte, erkannte sein überraschtes Gegenüber, wen er vor sich hatte. Himmler nannte mit sehr leiser Stimme seinen Namen.

Um die Identität des Gefangenen einwandfrei zu bestätigen, musste dieser zunächst eine Unterschriftenprobe machen. Danach folgte eine Leibesvisitation, die einen Hinweis ergab, dass Himmler Gift bei sich hatte. Selvester beschrieb die Szene so: „In seinem Jackett fand ich eine kleine Messinghülse, ähnlich einer Patronenhülse, die eine kleine Glasphiole enthielt. Ich erkannte die Bedeutung des Stückes, fragte Himmler aber dennoch, was sie enthielt“.

Himmler habe behauptet, dass es sich um Medizin gegen Magenkrämpfe handelte, doch Sevester war klar, dass es sich tatsächlich um Gift handelte. Er setzte seine Untersuchung fort und fand eine weitere Hülse, allerdings ohne Phiole. Er folgerte daraus, dass diese irgendwo an Himmlers Körper versteckt sein musste.

Himmler wurde gründlich am ganzen Körper untersucht

Sevester erinnerte sich weiter: „Als Himmlers Kleidung vollständig abgelegt und untersucht worden war, wurden alle seine Körperöffnungen untersucht, sein Haar gekämmt und jedes mögliche Versteck inspiziert, aber keine Phiole gefunden“. Dann forderte er den Gefangenen auf, den Mund zu öffnen, „weil ich daran dachte, dass eine im Mund verborgene Phiole eine noch zu bedauernde Reaktion auslösen könnte, wenn wir versuchen würden, diese zu entfernen“.

Aber es wurde nichts gefunden und als Himmler ein Käsebrot und Tee gereicht wurden, empfanden die anwesenden Engländer auch seine Art zu essen als völlig normal. Am nächsten Tag, dem 23. Mai, wurde Himmler in das Hauptquartier des britischen Sicherheitsdienstes in Lüneburg, das in der Uelzener Straße 31 a untergebracht war, überführt. Hier wurde er am Abend erneut einer genauen Leibesvisitation unterzogen, für die er sich wiederum ausziehen musste.

Die Untersuchung nahm diesmal der Militärarzt Captain C. J. Wells vor, der von drei Soldaten assistiert wurde. Bei der Untersuchung von Himmlers Mund entdeckte der Arzt im Unterkiefer eine Glaskapsel und forderte Himmler auf, näher ins Licht zu rücken, damit er sie besser sehen konnte. Plötzlich biss Himmler zu und zerstörte so die mit Zyankali gefüllte Kapsel.

Himmler fiel zu Boden oder wurde zu Boden geworfen. Jemand schrie: „Der Scheißkerl beißt uns“. Sofort verbreitete sich der Geruch von Blausäure im Raum.

„Dieses üble Ding hörte um 23.14 Uhr auf zu atmen“

Einer der anwesenden Soldaten, Major Norman Whittaker, beschrieb die dann folgende Szene in seinem Tagebuch: „Wir stellten den alten Scheißkerl sofort aufrecht und steckten seinen Mund in eine Wasserschüssel, um das Gift auszuwaschen. Es kam schreckliches Stöhnen und Grunzen von dem Schwein.“

Himmlers Zunge wurde mit Faden und Nadel fixiert, um zu verhindern, dass er das Gift schluckte und Wiederbelebungsversuche wurden in Gang gesetzt. Aber es war zu spät, er war bereits tot. Whittaker: „Es war eine verlorene Schlacht, und dieses üble Ding hörte um 23.14 Uhr auf zu atmen“.

Von Himmler wurde eine Totenmaske angefertigt und am übernächsten Tag eine Autopsie durchgeführt. Außerdem sollen das Gehirn und Teile des Skeletts entnommen worden sein. Am frühen Morgen des 26. Mai 1945 brachten vier britische Soldaten die Überreste in einen Wald und begruben sie an einer unbekannten Stelle. Anders als Adolf Hitler fand er somit sofort die letzte Ruhe.

Die Leiche des „Führers“ dagegen wurde zehnmal umgebettet, seine Asche erst 1970 von sowjetischen Soldaten von der Schweinebrücke in den kleinen Dörfchen Biederitz in Sachsen-Anhalt in das Flüsschen Ehle gestreut. Gemeinsam hatten beide, dass sie sich für ihre zahllosen Verbrechen nicht der Verantwortung stellen wollten.

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