Mit dem 2:0 beim VfL Wolfsburg hat Borussia Dortmund vor dem Bundesliga-Kracher gegen Bayern München den Druck auf den Tabellenführer hochgehalten. Wie schon eine Woche zuvor traf erneut Raphael Guerreiro. Der 26-Jährige ist aus der Elf von Trainer Lucien Favre längst nicht mehr wegzudenken.
Trainer Lucien Favre war nach dem Spiel voll des Lobes über seinen Torjäger, der in den letzten neun Ligaspielen stolze sechsmal getroffen hat. "Er spürt einfach den Fußball", schwärmte er: "Er ist vor dem Tor sehr geschickt, hat einen sehr guten Schuss." Und er wisse, wann er in den freien Raum durchstarten müsse: "Bei der Aktion vor dem 1:0 sieht man, wie er aufhört zu laufen. Aber dann spürt er: Es geht weiter. Also läuft er weiter in den Strafraum."
Ein Lob, das eigentlich mehr zu einem Stürmer der Marke Erling Haaland passen würde. Doch der Norweger, der - gefühlt zum ersten Mal in seiner Zeit in Dortmund - frei vor dem Tor ein Luftloch trat, hatte in diesem Fall unfreiwillig die "Vorlage" zum Führungstreffer gegen die Wölfe geliefert. Hinter ihm lauerte nämlich bereits Raphael Guerreiro und schob den Ball unbedrängt über die Linie.
Was Favre von seiner Position an der Seitenlinie ausmachte, lässt sich erst nach mehrmaligem Sichten der Highlights auf DAZN untermauern. Tatsächlich: Als Achraf Hakimi den Ball von Julian Brandt durchgesteckt bekommt und sich in Richtung Strafraum dreht, ist im Hintergrund für den Bruchteil einer Sekunde Guerreiro zu sehen, wie er winkt und in Position läuft. Um es mit Favre zu sagen: Er "spürt" die Situation.
Raphael Guerreiro beim BVB: Die Allzweckwaffe wird zum Torjäger
Acht Treffer in der laufenden Liga-Saison hat Guerreiro bereits verbucht. Dabei sind seine Instinkte als Torjäger eigentlich nur ein Bonus, schließlich hat sich der Portugiese und Europameister von 2016 derzeit im 3-4-3-System der Schwarz-Gelben auf dem linken Flügel festgespielt. Als Bindeglied zwischen Abwehr und Angriff, Sportdirektor Michael Zorc bezeichnete ihn nach der Partie sogar als "Außenverteidiger" und betonte schon nach dem 4:0 gegen Schalke 04, als Guerreiro doppelt traf: "Diese Position ist seine beste, sie ist wie für ihn gemacht."
Damit wird man Guerreiro allerdings nicht ganz gerecht. Schließlich scheint eher umgekehrt fast jede Position auf dem Spielfeld für ihn gemacht zu sein. Schließlich kam er in seinen mittlerweile knapp vier Jahren in Dortmund nicht nur als Linksverteidiger zum Einsatz, sondern auch im linken Mittelfeld, als Flügelstürmer und zentral auf der Sechs oder Acht. "Raphael ist viel zu schlau und viel zu flexibel, um auf eine Position festgelegt zu werden", wusste schon Thomas Tuchel 2016, und lobte dessen Abschluss- und Vorbereitungsqualitäten: "Deshalb kann er alles spielen bei uns."
Dessen ist sich auch Favre bewusst, und so gibt er seinem Allrounder auf links die Freiheiten, sein Spiel je nach Situation zu interpretieren. Anders als Pendant Hakimi, der aufgrund seiner explosiven Schnelligkeit fast exklusiv die Außenbahn besetzt, taucht Guerreiro auch mal im Zentrum auf, oder eben vor dem Tor. Seine Fähigkeiten im Dribbling und im Kombinationsspiel machen ihn zum idealen Partner von Vordermann Julian Brandt, der ebenfalls nicht so leicht festzunageln ist.
Raphael Guerreiro: Seine Statistiken der aktuellen Saison 2019/20
Wettbewerb
Einsätze
Einsatzminuten
Tore
Vorlagen
Gelbe Karten
Bundesliga
22
1.772
8
3
2
Champions League
8
548
1
1
Supercup
1
75
1
Raphael Guerreiro: Wartet gegen die Bayern das Duell mit Thomas Müller?
Zudem ist Guerreiro enorm einsatzfreudig, arbeitet viel nach hinten mit und hat Anteil daran, dass der BVB in fünf der letzten sechs Ligaspiele kein Gegentor kassierte. "Er hat alles spielerisch gelöst", lobte Zorc nach dem Wolfsburg-Spiel, "das war außerordentlich gut." In dieser Hinsicht hat Guerreiro klare Vorteile gegenüber Konkurrent Nico Schulz. Für Favre ist er unverzichtbar: In der Rückrunde spielte Guerreiro immer von Beginn an - und bis zur Corona-Zwangspause immer über die vollen 90 Minuten. Erst gegen Schalke und Wolfsburg durfte er jeweils nach verrichteter Arbeit ein paar Minuten früher zum Duschen.
Schließlich wird er im Spitzenspiel gegen Bayern München (Dienstag, 18.30 Uhr im Liveticker) wieder gefordert sein. Auf der linken Flanke vielleicht gegen den schnellen Kingsley Coman, oder aber gegen Thomas Müller, der seine Rolle bei den Bayern bekanntlich ähnlich kreativ-anarchisch ausleben darf. Und offensiv mit den zuletzt so ausgeprägten Torjägerqualitäten: Gegen Schalke traf er einmal präzise ins lange Eck, einmal nach Doppelpass artistisch per Außenrist. Gegen die Wölfe bewies er, dass er auch einfach richtig stehen kann.
Sieben Monate ist es her, dass Guerreiro seinen Vertrag beim BVB vorzeitig bis 2023 verlängerte - und sich dabei gegen Lockrufe von Paris Saint-Germain und seinen früheren Förderer Tuchel entschied. Damals kam er hauptsächlich hinten links in der Viererkette zum Einsatz, konnte sein offensives Potenzial also nicht voll ausschöpfen. Dass es so gut laufen würde, dass er mittlerweile in Gerüchten aus Spanien sogar mit Real Madrid in Verbindung gebracht wird, damit konnte er eigentlich nicht rechnen. Aber vielleicht spürte er ja damals schon, wie es in Dortmund weitergehen würde.
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