Sozialpolitik

Union und SPD ringen im Bundestag um die Grundrente – Sachverständige äußern Zweifel an dem Gesetz

Eine Anhörung im Bundestag soll Klärung im Grundrenten-Streit zwischen Union und SPD bringen. Sachverständige kritisieren das Gesetz.

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Hubertus Heil

Das Regierungsbündnis streitet über die Pläne de Arbeitsministers.(Foto: dpa)

Berlin. Die Bundestagsausschüsse sind der Maschinenraum der parlamentarischen Gesetzgebung. Sehen die dort versammelten Fachpolitiker besonderen Beratungsbedarf, laden sie zu einer öffentlichen Anhörung. Ihre Fragen an Sachverständige und Interessenvertreter schaffen es in der Wahrnehmung allerdings selten über ein Fachpublikum hinaus.

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales etwa hielt in diesem Jahr bereits sechs Anhörungen ab, eine trug den Titel „Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze“. Wenn die Abgeordneten an diesem Montag im Sitzungssaal des Paul-Löbe-Hauses Platz nehmen, wird das Echo in der Öffentlichkeit größer sein: Dann geht es um die Grundrente – und um die Stabilität der Großen Koalition.

Das Regierungsbündnis hat den Streit über die Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) trotz eines Machtworts von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und des Kabinettsbeschlusses im Februar nie wirklich beilegen können. Bei der Anhörung dürfte sich der Konflikt zwischen Union und SPD auf offener Bühne entladen.

Die Bundestagsfraktion von CDU und CSU sieht erheblichen Änderungsbedarf bei Heils Gesetzentwurf, die Sozialdemokraten werfen dem Koalitionspartner dagegen Blockade vor.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warnte im Vorfeld der Anhörung davor, die geplante Aufwertung der Rentenansprüche von langjährigen Geringverdienern weiter zu verzögern. „Ich appelliere an die Union, ihren Widerstand gegen die Grundrente endlich aufzugeben“, sagte Mützenich den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. „Man kann nicht auf der einen Seite Balkonreden über Beschäftigte mit geringen Einkommen in wichtigen Berufen halten und dann diese von einem Rechtsanspruch im Alter ausschließen.“

Unterstützung erhalten die Sozialdemokraten vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). In der DGB-Stellungnahme für die Anhörung heißt es: „Indiskutabel sind Versuche mehrerer prominenter Mitglieder von CDU und CSU, mit Verweis auf die Kosten der Coronakrise die von ihnen ohnehin abgelehnte Grundrente doch noch stoppen zu wollen.“

Streit zwischen den Koalitionspartnern

Die Grundrente steht zwar im Koalitionsvertrag, allerdings interpretierte Heil die Passage auf eine Weise, die der Union überhaupt nicht passte. CDU und CSU schwebte ein Modell vor, bei dem Empfänger von Grundsicherung im Alter einen Teil ihrer Rentenansprüche zusätzlich ausgezahlt bekommen sollten. Der Arbeitsminister wollte die Leistung dagegen nicht in der Sozialhilfe, sondern bei der Rentenversicherung ansiedeln.

Fast ein Jahr zankte sich die Koalition, am Ende setzte sich die SPD weitgehend durch: Die Rentenversicherung soll Renten von Geringverdienern, die mindestens 33 Jahre Beitragszeit für Beschäftigung, Erziehung oder Pflege von Angehörigen vorweisen können, automatisch hochstufen. Statt der von der Union verlangten umfassenden Vermögensprüfung soll nur anhand des Einkommens geprüft werden, ob Anspruch auf Grundrente besteht.

Die Unionsfraktion im Bundestag pocht nun im parlamentarischen Verfahren auf Änderungen und will das Gesetz erst dann zur Abstimmung stellen, wenn Probleme bei der technischen Umsetzung der Grundrente ausgeräumt sind und ein Finanzierungskonzept vorliegt. Doch SPD-Fraktionschef Mützenich lässt das erneute Aufbäumen der Union kalt: „Es wird ihr nichts nützen. Die Grundrente wird kommen. Punkt.“

So einfach ist es aber nicht, das sieht auch die zuständige Fachbehörde so. Die Deutsche Rentenversicherung warnt schon seit Monaten vor Ungereimtheiten in Heils Entwurf. In ihrer Stellungnahme für die Anhörung beklagt sie erneut einen „hohen Bürokratieaufwand“ bei der Einkommensprüfung und weist auf Klärungsbedarf bei „verfassungs- und datenschutzrechtlichen Fragen“ hin, etwa bei der Berücksichtigung von Partnereinkommen.

Die Behörde schickte Union und SPD kürzlich auch Änderungsvorschläge. Kapitaleinkünfte etwa sollten nicht mehr angerechnet werden, der Blick auf Partnereinkommen müsste ebenfalls entfallen. Doch CDU und CSU dürften das kaum mittragen, weil es ihre Position noch weiter verwässern würde.

Kritik von Sachverständigen

Auch einige der geladenen Sachverständigen sparen nicht mit Kritik. Der Ökonom Martin Werding, Experte für öffentliche Finanzen, hat nach eigenem Bekunden „massive Zweifel“, dass die Zeit für eine Entscheidung über die Grundrente reif ist. Nicht nur wegen der handwerklichen Probleme des Gesetzentwurfs, sondern auch wegen der Finanzlage.

„Momentan werden die Perspektiven für die kurz- bis mittelfristige Entwicklung der Rentenfinanzen auch durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie und ihrer Bekämpfung eingetrübt“, schreibt Werding in seiner Stellungnahme.

Die größte Herausforderung sei aber „die akute Phase der demografischen Alterung, die mit den Renteneintritten der geburtenstarken Jahrgänge 1954 bis 1969 derzeit bereits anläuft und sich bis in die 2030er-Jahre immer weiter entfaltet“.

Nach Ansicht des Kölner Wirtschaftswissenschaftlers Eckart Bomsdorf führt der Koalitionskompromiss dazu, dass die neue Leistung „auf sehr komplexe, für die einzelnen Personen kaum nachvollziehbare Weise“ berechnet werde. „Manche werden die Grundrente als Mogelpackung empfinden.“

Enttäuschungspotenzial lauert auch bei der Auszahlung: Das Gesetz soll Anfang 2021 in Kraft treten, so will es Heil. Allerdings stellt sich sein Ministerium schon darauf ein, dass die Grundrente erst rückwirkend ausgezahlt wird. Wegen der aufwendigen Vorarbeiten der Rentenversicherung könnte demnach frühestens ab Sommer 2021 ein Teil der Anspruchsberechtigten die Leistung erhalten.

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