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Das Lachen ist ihr vergangen: Sabine Kirschner will ihren Laden nicht verlieren. © Thomas Sehr

Zu viel der Krisen: Sabine Kirschner kämpft um ihre „Reise Ecke“

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Lange schafft Sabine Kirschner es nicht mehr. Dann muss sie ihr geliebtes Reisebüro in Garmisch-Partenkirchen zusperren. Tochter Leah startete nun eine Online-Rettungsaktion. Die Resonanz überwältigt beide: Mehr als 6000 Euro sind schon eingegangen.

Garmisch-Partenkirchen – Drei Tage lang hat Sabine Kirschner nur geweint. Wahrscheinlich waren’s in Summe mehr. Doch in den drei Tagen, nachdem sie beim Jobcenter die Grundsicherung beantragt hat, da flossen die Tränen quasi pausenlos. So lange hat sie gebraucht, um das alles zu begreifen. Sie, die seit 15 Jahren ihr Reisebüro am Josefsplatz in Garmisch-Partenkirchen leitet. Sie, die aus dem gesunden Mittelstand kommt. Sie braucht plötzlich Hartz IV. „Das ist alles eine Katastrophe.“

Eine Sabine Kirschner, die nicht lacht, die „brutale Existenzängste“ plagen, der die Tränen kommen, wenn sie über die Zukunft spricht – so kennt man sie nicht. Gute Laune und Optimismus gehören zu ihr. „Ich bin ein grundpositiver Mensch.“ Hart wird diese Eigenschaft gerade auf die Probe gestellt. Genauso wenig passt es zu der 55-Jährigen, um finanzielle Hilfe zu bitten, nach einem Rettungsschirm für Reisebüros zu rufen. Jetzt tut sie es. Sie befürchtet, dass sie und ihre Kollegen vergessen werden, weil die Großen ihrer und anderer Branchen lauter schreien. Ohne Hilfe weiß sie nicht, wie es weitergehen soll. Mit ihrem Laden, den sie als ihr Leben bezeichnet. „Ich will ihn nicht verlieren.“

Seit 30 Jahren arbeitet Kirschner für „Die Reise Ecke“ an der Griesstraße, 2005 hat sie das Geschäft übernommen. Einige Katastrophen und damit verbundene Reise-Tourismus-Krisen hat sie erlebt. Die Terroranschläge auf das World Trade Center 2001, den Tsunami in Thailand um Weihnachten 2004. „Ich dachte, es kann nicht schlimmer kommen.“ Dann kam Corona. Nein, erst die Thomas-Cook-Pleite vor einigen Monaten. Die gab es ja auch noch. Sie fraß Rücklagen auf. „Das haben wir gerade noch gestemmt bekommen.“

Dann kam Corona. Nur wenige wissen, was die Pandemie und die Maßnahmen dagegen für Reisebüros bedeuten. Sie leben ausschließlich von Provisionen. Reiseveranstalter wie TUI überweisen pro gebuchtem Angebot einen Prozentsatz an Kirschner und Co. Manche bezahlen bei Eingang der Buchung, manche, sobald der Kunde seine Reise startet. In der Corona-Realität bedeutet das: Tausende Euro an Provisionen musste Kirschner zurückzahlen, andere bekommt sie nicht. Seit Oktober haben sie und viele Kollegen damit nichts verdient. Denn im Herbst kamen die ersten Buchungen für das Frühjahr 2020, viele für die Osterferien.

Wie viel sie bislang verloren hat, schätzt Kirschner nur. „Mehrere Zehntausend Euro.“ Genau hat sie all die Rückerstattungen und ausgebliebenen Provisionen nicht zusammengerechnet. „Sonst verfalle ich in tiefste Depressionen.“

Das Drama begann mit dem Shutdown am 16. März, drei Tage vor Kirschners Geburtstag. Nach wie vor ist sie mit Rückabwicklungen beschäftigt. Viel Zeit verbringt sie mit Telefonieren und Beraten. Ihre Kunden haben viele Fragen, etwa zu gebuchten Sommerreisen. Storniert hat diese noch niemand. Denn aktuell gilt die Reisewarnung nur bis 14. Juni. Wer den Urlaub jetzt absagt, muss die Stornogebühren – meist zwischen 30 und 40 Prozent – bezahlen.

Einige Kunden melden sich auch einfach so bei Kirschner, fragen, wie es ihr geht. Viele betreut sie seit Jahren, zum Teil stellte sie für die Großeltern, die Kinder und jetzt die Enkel Reisen zusammen. Manche kommen vorbei, bringen aufmunternde Worte, gute Wünsche mit. Und das Versprechen: Wir bleiben dir treu. „Das baut total auf.“

Am Ende aber braucht sie etwas, das sie verkaufen kann. Urlaub in Deutschland hilft ihrer Branche wenig. Quasi niemand geht in ein Reisebüro mit der Bitte „Such’ mir doch ein Hotel im Bayerischen Wald“. Mit Flugreisen und Kreuzfahrten verdienen Reisebüros ihr Geld. Wann dieses Geschäft wieder anläuft, weiß niemand.

Für die Herbstferien hat Kirschner aktuell null Buchungen. Länger als zwei, maximal drei Monate wird sie ohne Rettungsschirm nicht durchhalten. „Bevor ich auch noch an meine Rente gehe, muss ich zusperren.“ Der allerletzte Schritt. „Ich gebe alles, dass ich überlebe.“

Seit ein paar Tagen kann sie dabei jeder unterstützen. Tochter Leah Kirschner (23) startete eine Aktion für ihre Mutter. Auf der Online-Plattform „Go Fund Me“ schildert sie die Situation und hofft auf Spenden unter dem Titel „Rettet meine Mama und ihre Reise-Ecke“. Die Resonanz bislang – enorm. 6185 Euro kamen bis Sonntagmittag von 80 Spendern zusammen. Mama und Tochter können es kaum fassen. Mit einem Teil davon will die Garmisch-Partenkirchnerin die Miete für ihren Laden bezahlen, die die Hausbesitzerin ihr für die schwierige Zeit erlassen hat.

Kirschner ist überwältigt von so viel Hilfsbereitschaft. Ihr kommen wieder die Tränen. Dabei wollte ihre Tochter genau das verhindern. Aktiv wurde sie, „weil sie mich nicht mehr weinen sehen konnte“.

Wer spenden möchte,

kann dies unter www.gofundme. com/rettet-meine-mama-und-ihre-reise-ecke tun.