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Kurz gegen Merkel lautet das Match. Was sind die Argumente?
© EPA/KAMIL ZIHNIOGLU

EU-Corona-Rettungsschirm: Hilfe ohne Rückzahlung?

Deutschland und Frankreich wollen Milliardenhilfen schenken, Österreich hätte lieber Kredite.

Emmanuel Macron und Angela Merkel sind mit einem ambitionierten Plan vorangegangen: Um die verheerenden Folgen der Corona-Krise abzufedern, sollen 500 Milliarden Euro gemeinsam auf dem Kapitalmarkt aufgenommen werden. Und als Finanzhilfen an gebeutelte Gebiete fließen. Prompt kam Widerspruch von den selbst ernannten "Sparsamen Vier", Österreich, Dänemark, Niederlande und Schweden, wo man unter anderem fordert, die Hilfen als Kredit zu vergeben.

Die Ökonomen Karl Aiginger und Heike Lehner sagen zu beiden Positionen: Ja, aber.

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Karl Aiginger.© Bild: APA/GEORG HOCHMUTH

Es bräuchte noch mehr Geld

Deutschland und Frankreich sind wieder Musterknaben. Sie schlagen einen Wiederaufbauplan von 500 Mrd. Euro vor. Und ob es Kredite oder Zuschüsse sein sollen, streiten jetzt die anderen. Vier kleine Länder basteln an Bedingungen und ziehen sich den Zorn Italiens zu. Das ist alles nicht meine Perspektive. Erstens ist der Plan nicht groß. 500 Mrd. Euro sind weniger als ein halbes Prozent der Wirtschaftsleistung; wenn die Umsetzung drei Jahre braucht dann ist das noch weniger.

Mehr wäre es, wenn es nur Italien bekäme, und für die Anfangskosten von Reformen genützt würde. Klima, Bekämpfung von Ungleichheit, neue Firmen im Süden. Ob Kredite oder Zuschüsse verblasst in dieser Sicht. Wenn damit noch heuer Solartankstellen, Gebäudeisolierung, Müllbeseitigung begonnen, Subventionen für landwirtschaftliche Latifundien und Öl gestrichen wird, kann man das Geld schenken. Oder zinsfrei auf 80 Jahre vergeben, was dasselbe ist.

Und 2.000 Milliarden Euro –wie es das EU-Parlament will - wären besser als 500 Milliarden. Der Punkt ist also: Wie schafft man, dass Länder – und das gilt auch für Frankreich und Belgien – das Geld in der Krise nutzen, um das zu erledigen was sie immer versäumt haben?

Reformieren, Subventionen für düngemittelintensive Landwirtschaft und Transport streichen, und gesünderes Leben, Chancengerechtigkeit und Digitalisierung stärken. Dazu braucht es Richtlinien, die alle akzeptieren. Mit dem Green Deal wurde ein Beginn gemacht, ihn jetzt aufzuschieben wie Merkel und Macron das ihrer Wirtschaftslobby heimlich oder offen versprechen, steigert die Zahl der Klimatoten, die schon heute viel höher ist als die Verkehrstoten. Wer soll kontrollieren, dass Zuschüsse nicht verschwendet werden und in Korruptionskanäle fließt?

Das Europäische Semester wäre eine Chance, eine Expertenkommission beim europäischen Parlament ein zweite, eine dritte wäre eine gemischte Kommission z. B. Italiener plus Landsleute, die im Ausland andere Regeln gelernt haben. Auch der Wiederaufbauplan nach dem Zweiten Weltkrieg, von dem ja der Name kopiert wurde, hatte diese Mischung von nationaler und internationaler Kontrolle (teils in Paris – teils durch eine nationale Expertenkommission).

Die Finanzierung des Wiederaufbaufonds durch von allen Europäern garantierte Kredite ist jedenfalls ein Fortschritt. Sie gleicht einen Nachteil Europas gegen die USA aus. Europa zahlt heute oft höhere Zinsen für durchschnittlich niedrigere Schulden; Rohstoffe werden in Dollar notiert und machen diesen zur Leitwährung. Fließt das gemeinsam aufgenommen Geld in Reformen und werden alte Privilegien entsorgt, dann können es nicht rückzahlbare Zuschüsse sein.

Aber die Rute im Fenster, dass es zurückgezahlt werden muss, wenn Geld für alte Privilegien verschwendet, statt in die Zukunft investiert wird, sollte bleiben. Wenn Geldbeschaffung endlich gemeinsam, dann für Investitionen in gemeinsame Ziele. Reformen sind die Währung in der zurückgezahlt wird. So kommt Europa gestärkt aus der Krise.

Karl Aiginger ist Ökonom und Leiter der Querdenkerplattform Wien Europa, WU-Wien. Er leitete bis 2016 das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO.

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Heike Lehner.© Bild: Agenda Austria

Die Bevölkerung muss die Maßnahmen auch unterstützen

Nun scheinen es die südlichen EU-Mitgliedsstaaten geschafft zu haben: Ein neues Vehikel soll ihnen direkte Zuschüsse aus dem EU-Budget verschaffen, um durch die Corona-Krise zu kommen. Mit 500 Milliarden Euro soll dieser Wiederaufbaufonds gefüllt werden.
Das Geld leiht sich die EU-Kommission und verteilt es an die von der Krise am stärksten getroffenen Regionen. Der Unterschied zu den im Norden so gefürchteten Eurobonds ist: Erstens haftet jeder Staat nur für einen gewissen Beitrag, nicht für die gesamten Schulden. Zweitens muss das Geld von den Empfängern nicht zurückgezahlt werden, das erledigen alle EU-Staaten gemeinsam nach einem festgelegten Verteilungsschlüssel.

Nun steht außer Frage, dass Europa in dieser Krise zusammenstehen muss. Corona ist ein Test für Europa. Das Virus hat die Mitgliedsstaaten unverschuldet getroffen, jetzt müssen wir uns gegenseitig helfen. Nicht zu vergessen ist aber, dass es auch andere Möglichkeiten gegeben hätte: Etwa Kredite über den „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ (ESM).

Diese wurden jedoch von Italien zurückgewiesen. Viele verbinden den ESM mit den Austeritätsprogrammen, die Griechenland zu erfüllen hatte. Außerdem würden die Kredite die Schuldenstände der Staaten erhöhen, während dies bei den Zuschüssen des neuen Fonds nicht der Fall wäre.

Italien oder Spanien sind nicht nur hoch verschuldet, sie wurden auch von Corona besonders getroffen. Daher würden ihnen die Zuschüsse doppelt helfen. Direkte Zuschüsse aus dem EU-Budget sind auch ehrlicher als ESM-Kredite zu vergeben, auf deren Rückzahlung man später ohnehin verzichten müsste.

Zudem kann die EU-Kommission Vorgaben machen, wie die Gelder aus dem Fonds verwendet werden sollen – es gibt also ein steuerndes Element. Der Fonds ist eine Lösung, die den Zusammenhalt stärken soll, ohne Regeln zu brechen. An sich eine gute Idee. Aber Vorsicht und Transparenz sind von essenzieller Bedeutung.

Geldtransfers vom Norden in den Süden stärken die EU nur, wenn die Bevölkerung der Nettozahler diese Politik langfristig unterstützt. Ein bloßer Verweis darauf, dass Österreich und Deutschland eng mit Spanien und Italien verwoben sind und auch die heimische Wirtschaft indirekt profitiert, wird nicht reichen. Man muss die Bevölkerung auf jedem Schritt der Reise mitnehmen und genau erklären, was sie zahlt, wofür und aus welchem Grund – nur dann kann dieser Europazug weiterfahren, ohne zu entgleisen.

Auch die guten Absichten hinter dem Plan, nämlich vorwiegend Italien und Spanien zu helfen, könnten zum Boomerang werden. Es sind ja alle EU-Länder von Corona betroffen, auch die „Nettozahler“ wie Österreich.

Deshalb wird die Bevölkerung auf Mittel aus dem Wiederaufbaufonds pochen. Andernfalls könnte es passieren, dass heimische Unternehmen pleite gehen müssen, während österreichisches Steuergeld über Umwege Firmen in Italien oder Spanien rettet. Eine Gefahr, die den Zusammenhalt in Europa sicherlich nicht stärken würde.

Heike Lehner studierte Volkswirtschaftslsehre an der Universität St. Gallen und ist Ökonomin bei der Denkfabrik Agenda Austria.

 

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