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Ohne Chemotherapie gehts bei Krebs meist nicht. Aber wie viel vermag auch eine positive Einstellung auszurichten?© Gettyimages (Symbolbild

Lungenkrebs – und 12 Jahre später immer noch am Leben: Ärzte sammeln Hinweise für solche Wunderheilungen

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Bei Tumoren sind Spontanheilungen extrem selten. Doch es gibt sie. Onkologen versuchen mit einer Datenbank sie zu verstehen. Zum Beispiel den Fall von Erika Hauser (82) aus Zürich.

«Sie haben noch ein Jahr zu leben.» Mit diesen Worten signalisierte der Onkologe einer Züricher Klinik der Patientin, dass ihre Chancen, wieder gesund zu werden, gering waren. Heute, zwölf Jahre später, lebt Erika Hauser* noch immer. Mehr noch: Die Zürcher Rentnerin ist geheilt.

«Es lassen sich weder Tumore noch Metastasen nachweisen», sagt Boris Hübenthal, Ärztlicher Leiter des Zentrums für Integrative Onkologie, ZIO, mit Standorten in Zürich, Glarus und Winterthur.

Erika Hauser ist eine jener Patientinnen und Patienten, die nach einer Krebserkrankung wider allen Erwartungen gesund wurde. Im Oktober 2007 wurde Lungenkrebs festgestellt. Sie wurde operiert. Kurze Zeit später wurden Metastasen in der Leber entdeckt.

Es folgte eine Chemotherapie. Danach unterzog sich die Zürcherin einer stationären Misteltherapie in einer Anthroposophischen Klinik. 2010 konnte kein Krebsgeschehen mehr nachgewiesen werden. Es folgte eine ambulante Misteltherapie. Zusätzlich suchte Erika Hauser regelmässig eine komplementärmedizinische Praxis auf.

Zuverlässige Daten zu den Fällen fehlen meistens

Onkologisch wird die 82-Jährige seit drei Jahren am ZIO Zürich betreut. «Wir haben hier eine komplette Remission», fasst Boris Hübenthal das Ergebnis zusammen. Das heisst: Der Krebs ist verschwunden. «Die Genesung von Erika Hauser ist sensationell», sagt der Onkologe.

Ärzte und Wissenschafter scheuen sich über Spontanremission zu diskutieren, weil zuverlässige Daten fehlen. Dies ändert sich gerade. Boris Hübenthal leitet ein Projekt, das er mit initiiert hat: die Datenbank bestcase-oncology. Ärzte aus aller Welt geben Fälle in die Datenbank ein, bei denen die Krebserkrankung einen ungewöhnlichen Verlauf nahm.

Bislang sind rund 70 Fälle eingegeben worden. Es dürfen nur Patienten vorgestellt werden, die dreimal so lange gelebt haben, wie prognostiziert. Die Rückbildung des Tumors muss mit CT oder MRT nachgewiesen werden. Hübenthal und sein Team warten, bis 200 Fälle zusammengekommen sind. «Dann werten wir sie aus», sagt er. Die Datenbank gebe Ärzten die Möglichkeit, zu erfahren, was Kollegen in ähnlichen Fällen unternommen haben.

Falschmeldungen sollen heraussortiert werden können

Roman Huber vom Universitätsklinikum in Freiburg i.B. begrüsst, dass eine solche Datenbank entsteht: «Wir wissen, dass es bei praktisch allen Krebsarten in sehr seltenen Fällen zu spontanen Heilungen kommen kann, aber immer noch viel zu wenig darüber wie oft und unter welchen Umständen dies geschieht.» Relativ häufig gäbe es Fake-Berichte.

Diese kämen meistens zustande durch Unkenntnis oder weil die Wirksamkeit einer Hormontherapie unterschätzt werde oder weil gar kein Tumor vorlag. Manchmal würde auch Strahlen- oder Chemotherapie verschwiegen. Die Fälle in der bestcase-Datenbank sollen aber von Fachleuten auf Plausibilität beurteilt werden.

Mit der Datenbank wollen die beteiligten Onkologen auch herausfinden, ob es Kriterien gibt, die den Verlauf der Krebserkrankung positiv beeinflussen. Aus den bisher bekannten und zum Teil von Boris Hübenthal selbst betreuten Fällen kann der Onkologe bereits einige Kriterien nennen: körperliche Fitness, ein gutes soziales Umfeld, Spiritualität, gesunde Ernährung und ein starker Lebenswille. Auch Faktoren wie Mitwirken an der Behandlung können eine Rolle spielen.

Erika Hauser glaubt, dass ihr Lebenswillen zu ihrer Genesung beigetragen hat. Eines Tages hatte sie das Gefühl:

Geholfen hat ihr auch, dass sie ihren Humor nie verloren hat. «Ich bin nie in ein Loch gefallen.» Ihr Gottvertrauen habe ihr Kraft gegeben. Familie und Freunde haben der alleinstehenden Frau beigestanden.

Ihr Leben hat sie nicht umgekrempelt

Natürlich dachte sie manchmal: Ist da was, ist da eine Metastase? Trotz gelegentlicher Zweifel und Ängste krempelte die Zürcherin ihr Leben nicht um. Auch die Ernährung hat sie nicht umgestellt. «Ich gehe gerne auswärts essen, habe gern mal ein Stück Fleisch oder Fisch. Ich habe Freude am Leben», sagt sie.

Die 82-Jährige belegt spirituelle Kurse, nimmt am Krebsturnen teil, besucht Konzerte. Was hat nun zur Heilung geführt? Die Chemo- oder die Misteltherapie oder der starke Lebenswille? «Das wissen wir nicht. Die Chemotherapie war sicher extrem wichtig für Frau Hauser», sagt Hübenthal.

Manfred Heim, Onkologe am Sokrates Gesundheitszentrum Bodensee, hat ebenfalls mehrere Patienten mit unerwarteter Genesung betreut. Er beobachtet, dass Menschen, die wider Erwarten gesund werden, ihren Lebenssinn neu definieren oder Verhaltensmuster ändern.

Genesungsverläufe wie bei Erika Hauser sind sehr selten. Dagegen erleben Onkologen öfters, dass Patienten entgegen den Prognosen sehr lange und gut mit der Erkrankung leben. Zum Beispiel Joyce von Scala. Vor 15 Jahren wurde bei der heute 77-Jährigen ein Muskeltumor des Magens diagnostiziert. In Brasilien, wo Joyce von Scala damals lebte, wurden zwei Drittel des Magens entfernt.

Keinesfalls Therapien deswegen in Frage stellen

2010 siedelte die Brasilianerin in die Schweiz über, um in der Nähe ihrer hier lebenden Kinder und Enkel zu sein. Ein Jahr später wurde in einem Spital im Kanton Zürich Metastasen im Bauchraum entdeckt.

Joyce von Scala unterzog sich mehreren Chemotherapien. 2015 war sie so schwach, dass sie die bisherigen Therapien abbrach.

Seither wird sie am ZIO betreut. Hier bekommt sie Mistel- und Vitamin-C-Therapie. Ihr Zustand ist seit drei Jahren stabil. «Der Krankheitsverlauf der Patientin ist unglaublich», sagt Boris Hübenthal.

Boris Hübenthal betont, Hauser und von Scala seien Einzelfällen. «Es gibt ungewöhnliche Genesungen. Deshalb dürfen Krebskranke auf keinen Fall die konventionelle onkologische Therapie in Frage stellen.»

Allerdings können Patienten ­‑ wie Manfred Heim sagt ‑ aus dem Wissen, dass Spontanremissionen möglich sind, Hoffnung schöpfen. «Das ist ein starker Impuls, der zur Aktivierung eigener Kraftquellen beitragen können.»

*Name geändert

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