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Netanjahus Kritiker demonstrierten vor dessen Wohnsitz in Jerusalem gegen den streitbaren Premierminister.© Emmanuel Dunand/AFP

Prozess gegen Netanjahu ist eröffnet: Israels Premierminister drohen bis zu zehn Jahre Haft

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Der konservative Regierungschef Israels spricht von einer «Hexenjagd» und hat einen Plan, wie er seine Immunität bei einem Schuldspruch wahren könnte.

Mit einer Tirade gegen Justiz und Medien ist Israels frisch vereidigter Regierungschef Benjamin Netanjahu am Sonntag in den Korruptionsprozess gegen ihn gestartet. Polizei und Staatsanwalt wollten ihn stürzen, sagte der 70-Jährige am Sonntagnachmittag vor dem Bezirksgericht in Jerusalem. Er sei das Opfer einer Verschwörung, die den Willen des Volkes eliminieren solle. «Ich stehe vor Ihnen mit geradem Rücken und erhobenem Haupt.»

Zum ersten Mal in der Geschichte Israels wird einem amtierenden Ministerpräsidenten der Prozess gemacht. Es geht um Betrug, Untreue und Bestechlichkeit in insgesamt drei Fällen. Mehr als 300 Zeugen sollen angehört werden. Mehrere Jahre könnten bis zur endgültigen Urteilsverkündung vergehen. Israels mächtigem Mann drohen bei einer Verurteilung bis zu zehn Jahre Haft.

Als 2008 gegen den damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert ebenfalls in Sachen Korruption ermittelt wurde, forderte Netanjahu Olmerts Rücktritt. Olmert sei moralisch nicht in der Lage, wichtige Entscheidungen bezüglich des Staates Israel zu treffen, betonte Netanjahu.

Olmert trat noch im selben Jahr zurück und sass später für 16 Monate hinter Gittern. Verurteilt wurde der Politiker unter anderem von Rivka Feldman-Friedman, die mit zwei Kollegen nun auch über den Netanjahu-Prozess wacht.

Anders als damals Ehud Olmert denkt Benjamin Netanjahu nun aber gar nicht daran, zurückzutreten. Kurz vor Prozessbeginn stärkten verschiedene Abgeordnete ihm den Rücken im Kampf gegen das Justizsystem: «Der Tag, an dem der Prozess gegen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu eröffnet wurde, wird als einer der Tiefpunkte im israelischen Justizsystem eingehen», sagte Parlamentspräsident Yariv Levin.

Netanjahu wollte bei Fotoauswahl mitreden

Der Ministerpräsident ist in drei Fällen angeklagt: Die Akte 4000 belastet ihn am schwersten. Netanjahu soll 2015 der Telekommunikationsfirma Bezeq durch politische Ausnahmeregelungen mehrere Milliarden Schekel zugeschustert haben. Im Gegenzug habe Netanjahu positive Berichterstattung auf Bezeqs einflussreichem Nachrichtenportal «Walla!» erhalten.

Gefährlich für Netanjahu dürften in diesem Fall zwei Kronzeugen werden: Shlomo Filber, Chef des Kommunikationsministeriums in Netanjahus Zeit als Kommunikationsminister, und Nir Hefetz, damaliger Medienberater von Netanjahu, sollen im Auftrag Netanjahus Teile der Deals durchgeführt haben. Hefetz etwa hat mit dem Nachrichtenportal «Walla!» die Inhalte ihrer Berichterstattung ausgehandelt, bis hin zu Überschriften und Fotoauswahl.

Untreue lautet die Anklage in den zwei anderen Fällen, Akte 1000 und 2000. In Akte 2000 geht es um einen missglückten Deal Netanjahus mit Arnon Moses, dem Herausgeber der Tageszeitung «Je’diot Achronot». Laut Anklage hat Netanjahu Moses im Gegenzug für eine positive Berichterstattung versprochen, der Konkurrenzzeitung «Israel Hayom» zu schaden. Die Gespräche zwischen Moses und Netanjahu gibt es sogar auf Band.

In Akte 1000 geht es um Gefälligkeiten Netanjahus gegenüber dem Geschäftsmann und Filmproduzenten Arnon Milchan. Netanjahu soll Zigarren, Schmuck und Champagner entgegengenommen und dafür Milchan Gefälligkeiten erwiesen haben. So habe er etwa für die Verlängerung von Milchans US-Visum gesorgt.

Ein Freispruch gilt als unwahrscheinlich

Die Untersuchungen haben die Ermittler auf weitere Spuren geführt. So stehen Mitarbeiter Netanjahus im Verdacht, beim staatlichen Kauf von U-Booten illegale Gelder vom deutschen Schiffbauer Thyssenkrupp erhalten zu haben.

Ein Freispruch gilt als unwahrscheinlich. Die Richter des Jerusalemer Bezirksgericht sind für Strenge bei Korruptionsvorwürfen bekannt. Sollten Netanjahus Anwälte einen Deal mit der Anklage aushandeln, müsste der Premier zumindest eine Teilschuld eingestehen und damit von seinem Amt als Ministerpräsident zurücktreten.

Für Netanjahu könnte es reichen, wenn er einfach auf Zeit spielt. Der Urteilsspruch der Jerusalemer Richter dürfte frühestens in vier bis fünf Jahren kommen. Netanjahus Masterplan ist ein offenes Geheimnis: Wenn es nach ihm geht, ist der jetzige Regierungschef bis dahin längst Staatspräsident – und damit immun gegen jegliche Urteilssprüche.

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