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Bei der Skepsis kommt es aufs Mass an, findet Felix Roth.© zVg

Felix Roth über Verschwörungstheorien zu Coronazeiten: «Der Guru ist die beruhigendere Variante»

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Weshalb stehen zwielichtige Experten und skurrile Theorien derzeit bei einigen hoch im Kurs? Freidenker und Wissenschaftler Felix Roth über Verschwörungstheorien und gesellschaftliche Ängste zu Coronazeiten.

Haben Sie Angst vor dem Coronavirus?

Felix Roth: Keine Angst, aber Respekt. Ich bin interessiert an allem, was mit Wissenschaft zu tun hat, und bringe als Lebensmittelmikrobiologe ein gewisses Fachwissen mit. Ich weiss deshalb, was man eigentlich alles machen müsste, um unter sterilen Bedingungen zu arbeiten –das ist viel. Ich wäre also ziemlich blöd, wenn ich keinen Respekt hätte.

Es gibt aber auch jetzt noch Leute, die das Virus auf eine Stufe mit einer gewöhnlichen Grippe stellen – trotz den Berichten und Bildern aus Bergamo oder New York. Was hält ein wissenschaftlich denkender Mensch wie Sie von solchen Ansichten?

Das Coronavirus taugt als perfektes Beispiel dafür, wie die Wissenschaft funktioniert: Man beobachtet etwas, stellt eine These auf und prüft, ob es dann funktioniert. Falls nicht, beobachtet man weiter. Dabei hat man nun herausgefunden, dass das Coronavirus mit einem Grippevirus tatsächlich Ähnlichkeiten aufweist – es aber auch grosse Unterschiede gibt. Darüber kann man sich in diesen Zeiten gut informieren. Wer dies nicht tut und immer noch behauptet, dass dieses Virus wie eine Grippe sei, beruhigt sich entweder selbst oder will aus Faulheit nicht lesen.

Wo hört in der Coronadebatte die vertretbare Skepsis auf und wo beginnen die kruden Theorien?

Die Begriffe Skepsis und Skeptiker haben zwei verschiedene Seiten. Skeptisch zu sein, kann heissen, dass man etwas genau anschaut und untersucht, dass man wissenshungrig und neugierig ist. Und dann gibt es die Skeptiker, die zu bequem sind, um selbst zu denken, und die vor allem die eigene Echokammer bedienen. Sie sind ein wenig wie Kinder, die lernen, Fragen zu stellen, und fragen immer weiter «und dann?», «und dann?». Man muss sich doch einfach an der Faktenlage orientieren. Da diese aber oft noch nicht zu hundert Prozent klar ist, befriedigt das gewisse Leute nicht.

Es gibt streitbare Experten, die sich in einer Grauzone befinden. Dann gibt es auch solche, die offenkundig Stuss erzählen, zum Beispiel, dass Saunagänge gegen das Virus helfen. Wie erklären Sie sich die beachtliche Popularität solcher Menschen?

Schlichtweg mit der Einfachheit ihrer Thesen. Und das menschliche Hirn ist in der Lage, alle möglichen Dinge miteinander zu verbinden. «Hitze killt» – das versteht im Zusammenhang mit der Sauna zum Beispiel jeder, und das klingt erst mal naheliegend. Aber oft sind die Antworten nicht schwarz oder weiss, sondern es gibt Grauzonen und Farben. Wissenschaft ist kompliziert und es wäre auch eine ihrer Aufgaben, Dinge zu vereinfachen. Aber die besten Forscher sind nicht unbedingt jene, die komplizierte Sachverhalte am besten erklären können. Sie haben vor allem Kommastellen im Kopf. Da ist der Guru die beruhigendere Variante.

Etwas weniger populär, dafür umso abenteuerlicher, sind manche Theorien, die erklären, wie es überhaupt zum Ausbruch des Virus kam. Was war das Abenteuerlichste, das Sie diesbezüglich mitbekommen haben?

Neugierig, wie ich bin, habe ich fast alles gelesen. Von den bösen amerikanischen GI, die das Virus nach Wuhan gebracht haben sollen, über das Virus als Rache Gottes für Ungläubige bis hin zu Bill Gates als Schuldigem, weil der etwas vorhergesagt hat. Bei den meisten dieser Theorien muss man sich fragen «Wem nützen sie?». Bei Religionsgemeinschaften zum Beispiel geht es um das Zusammenkommen und das Beschwören der Angst. Sollte einer der Teilnehmer einer solchen Zusammenkunft mit dem Virus infiziert sein, hilft das dann aber nicht unbedingt.

Nicht nur der Ursprung und die Gefährlichkeit des Virus werden angezweifelt. Manche warnen auch vor autoritären Tendenzen, die nun drohen. Stichwort Ausgangssperren oder Tracking über Apps. Halten Sie solche Ängste für unbegründet?

In der Schweiz und in Westeuropa gibt es intakte Mechanismen, um machtgeile Regierende in den Griff zu bekommen. In Ungarn oder Polen ist die Ausgangslage aber bereits eine andere. Dort, wo es schon vor Ausbruch des Virus autoritäre Systeme gab, ist die Versuchung gross, die Repressionsschraube noch weiter anzuziehen. Man muss sich jetzt fragen: Ist etwas für eine gewisse Zeit sinnvoll? Und wie steht es um die Freiwilligkeit? Was einem aber bewusst sein sollte: Auf freiwillig genutzten Amazon- oder Google-Konten sind weit mehr Daten hinterlegt als Staaten überhaupt bearbeiten können.

Auch wenn es um staatliche Massnahmen geht, stellt sich die Frage: Wo hört Ihrer Meinung nach die gesunde Kritik auf, wo beginnt die zwanghafte Skepsis gegenüber Autoritäten?

Es ist mit der Skepsis wie gehabt: Keine ist nicht gut und zu viel auch nicht. Jede Gesellschaft braucht «Checks and Balances». Aber sogar in einem autoritären Staat wie China kommen gewisse Informationen an den Kontrollmechanismen vorbei. Selbst da ist der kreative Geist noch intakt. Ich mache mir deshalb keine Sorge wegen eines aufziehenden Autoritarismus. Die Macht der grossen Internetkonzerne macht mir hingegen mehr Angst – sie gehören aufgebrochen oder zumindest stärker besteuert.

Es gibt in dieser Krise weiter jene, denen die Massnahmen nicht restriktiv genug sein können, und die sich im Alltag als Hilfssheriffs aufspielen. Auch solche Tendenzen müssen einem freiheitlich denkenden Menschen wie Sie ein Graus sein.

Es gibt zwei Spektren: Jene, die sich in diesen Zeiten einen Spass draus machen, nahe an jemandem vorbeizulaufen. Und jene, die den Polizisten in sich entdecken. Man sollte auch ein bisschen tolerant sein, und ich bin der Meinung, dass die Ordnungsorgane die Ordnung durchsetzen sollen. Was man in der Coronakrise bei den erwähnten Hilfssheriffs sieht, ist in etwa das, was in den letzten Jahren in der ganzen Gesellschaft beobachten konnte: Die Diskussionskultur hat sich extrem radikalisiert – es gibt nur noch extrem linke und rechte Positionen. Wenn man es nicht hinbringt, dass es auch Mittelwege geben kann, ist das extrem schädlich. Es gibt Polizisten, zum Beispiel in Bayern, die Leuten gar das einsame Sitzen auf Parkbänken verboten haben.

Bei solchen Geschichten geht es doch ums Storytelling. Wenn man 1000 Polizisten nimmt und einer übereifrig zur Sache geht, dann ist das die heissere Story als die 999 anderen, die mit Augenmass agieren. Das hat eher mit der Funktionsweise der Medien zu tun, als mit bestimmten Tendenzen.
Stichwort Medien: Wie nehmen Sie deren Rolle in der Coronakrise wahr?

Medien funktionieren mit Storys und Einzelschicksalen – und das Schicksal einer 15-Jährigen, die wegen des Coronavirus stirbt, ist aktuell spektakulärer, als über 500000 Menschen zu berichten, die an Malaria sterben. Aber neben der Kritik muss man auch festhalten, dass die Medien da und dort gewisse Schwachstellen aufgedeckt haben, zum Beispiel in der staatlichen Vorbereitung auf die Pandemie. Sie haben von Effekthascherei bis zur wichtigen Information, also das ganze Spektrum, abgeliefert, wie es zu erwarten war.

Verschiedene Menschen haben das Gefühl, dass diverse Medien in diesen Zeiten allzu staatstragend sind und ihre kritische journalistische Pflicht hinter einem gesellschaftlichen «Wir-Gefühl» zurückstellen. Wie sehen Sie das?

Ich habe eine ähnliche Situation schon einmal erlebt, als ich nach den Anschlägen vom 11. September in den USA gearbeitet hatte. Da hatte sich die ganze Nation hinter George W. Bush gestellt, sogar, nachdem er den Afghanistan-Krieg begonnen hatte. Das ist ein Reflex, der eigentlich menschlich und gut ist – man rückt zusammen. Dass gewisse Medien in den ersten Coronawochen «mitmachten» und zum Einhalten der vom Bundesrat verfügten Regeln aufforderten, ist in Ordnung. Trotzdem beruhigt es mich, dass nun, wo es um die wirtschaftliche Öffnung geht, wieder kontrovers diskutiert wird.

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