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Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga bei einer Videokonferenz mit EU-Staats- und Regierungschefs.© Twitter UVEK (Bern, 29. April 2020

Miteinander durch Corona: Wenn aus der Schweiz und der EU fast eine Familie wird

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Während Corona arbeiteten Bern und Brüssel Hand in Hand. Nun hofft man, dass dieser pragmatische Geist noch etwas weiterlebt.

So viel Miteinander war noch nie: Ob Gesundheit, Justiz, Inneres oder Landwirtschaft – bei über 20 Video-Konferenzen auf Ebene EU-Minister konnte die Schweiz in den letzten Wochen teilnehmen.

Dazu kommen etliche Meetings auf Experten-Niveau und die Einbindung in Katastrophen-Gremien wie dem Krisenmechanismus IPCR. Während der Coronakrise ist die Schweiz quasi zum «EU-Mitglied auf Zeit» geworden, auch wenn sie bei den Abstimmungen natürlich nicht mitmachen darf.

Ein ausserordentlicher «Geist des Pragmatismus» habe die letzten Wochen geprägt, ist in Diplomatenkreisen anerkennend zu hören. Die oft als dogmatisch verschrienen Brüsseler Bürokraten seien geradezu unkompliziert gewesen, wenn es darum ging, die Schweizer in ihre internen Prozesse zu integrieren.

Vergessen die Irritationen der ersten Tage, als Lieferungen von Schutzmaterial von den EU-Partnern blockiert wurden oder die Schweiz um Zugang zum Seuchen-Frühwarnsystem betteln musste. Als es drauf ankam, hat man sich zusammengerauft.

Die Schweiz hat aber auch gezeigt, dass sie zu Solidarität fähig ist. Tausende EU-Bürger konnten dank Schweizer Sonderflügen in ihre Heimat zurückkehren. Die Schweizer und EU-Diplomatie haben bei diesen Operationen Hand in Hand gearbeitet. Darüber hinaus nahmen Schweizer Spitäler Covid19-Patienten aus dem grenznahen Frankreich auf, als dessen Gesundheitssystem zu kollabieren drohte.

Das wirkt. In einer Sitzung der Innenminister lobte EU-Innenkommissarin Ylva Johannson explizit die vorbildliche Rolle der Schweiz in der gemeinsamen Pandemie-Bekämpfung. Und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach dem Bundesrat mehrmals öffentlich seinen Dank aus. «Merci la Suisse!»

Rettet die Krise das Rahmenabkommen?

In Bern hofft man nun, dass dieser Geist der pragmatischen Zusammenarbeit auch nach Corona etwas fortleben wird. Konkret: vielleicht sogar Bewegung in das festgefahrene Dossier mit dem institutionellen Rahmenabkommen bringen könnte.

Die letzten Wochen hätten gezeigt, dass die Spielregeln eben nicht festgeschrieben seien, dass man vieles möglich machen könne, wenn man wolle, beschreibt es ein Schweizer Gesprächspartner.

Und: «Die EU müsse der Schweiz keine Geschenke machen, aber Hand bieten, um unsere Probleme zu regeln». Mit dem Blick auf die Brexit-Verhandlungen sei nun ohnehin jedem klar, dass die Schweiz und Grossbritannien nicht dasselbe Ziel verfolgten. Die beiden könnten deshalb auch nicht länger in den selben Topf geworfen werden.

Auf der Gegenseite sieht man das etwas anders. Klar sei man froh und dankbar über die gutnachbarschaftliche Zusammenarbeit während der Krise. Wenn es im Dorf brenne, sei es gut und recht, dass man sich aushelfe, heisst es in Brüssel. Die Erwartungen der EU ans Rahmenabkommen blieben aber dieselben.

Sobald die Schweiz die Abstimmung über die Begrenzungsinitiative Ende September durchhabe, müsse es vorwärts gehen. Bei den ausstehenden Punkten rund um den Lohnschutz, der Unionsbürgerrichtlinie und den Staatsbeihilfen sei die EU weiterhin zu Klarstellungen bereit. An den grundsätzlichen Positionen ändere aber auch Corona nichts.

Dem stimmt auch Andreas Schwab zu, Leiter der Schweiz Delegation im EU-Parlament. Schwab: «Es wäre übertrieben zu glauben, dass die EU wegen Corona ihre Haltung zur Schweiz ändern wird. Vielleicht aber hat ja der Bundesrat gemerkt, was der Wert einer engen europäischen Zusammenarbeit sein kann.»

Tatsächlich stellt sich die Frage, ob Corona vielleicht auf der Schweizer Seite irgendetwas in Bewegung gebracht hat. Dazu gibt es zwei Lesarten: Die eine besagt, dass der Appetit auf eine weitere Öffnung nun endgültig vergangen ist. «Wir sind stärker, wenn wir alleine sind», antwortete Bundesrat Ueli Maurer im Interview mit dem «RTS» auf die Frage, welche Lehren er aus der Coronakrise ziehe.

Seine Partei, die SVP, fordert, dass die Schweiz sich in der aufziehenden Wirtschaftskrise keine zusätzliche Grosszügigkeit leistet. Nun gehe es zuallererst darum, die hiesigen Arbeitnehmer von der EU-Konkurrenz zu schützen und eine Einwanderung in die Schweizer Sozialwerke zu verhindern, so der Tenor.

Eine andere Sichtweise beschrieb Maurers Kollegin Justizministerin Karin-Keller Sutter kürzlich im Interview mit CH Media: «Wir sind in einer Rezession. Ich habe das Vertrauen, dass die Schweizerinnen und Schweizer in dieser Situation die Bedingungen für die Wirtschaft und damit auch für den Erhalt der Arbeitsplätze nicht aufs Spiel setzen». Jetzt bloss keine Experimente, also.

Den definitiven Realitätstest wird die Abstimmung zur SVP-Begrenzungsinitiative am 27. September bringen. Es ist das erste grosse Wiedersehen der Schweiz mit ihrer Europapolitik post-Corona.

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