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Ein ungewohntes Bild: Wegen Hamsterkäufen klaffen im Regal Lücken.© Matthias Jurt (Zug, 28.2.2020

Leere Regale statt Grabsteine: So will der Bauernverband aus der Krise politisches Kapital schlagen

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Die Coronakrise hat die Versorgungssicherheit in den Fokus gerückt. Das will der Bauernverband nützen, wie ein internes Papier enthüllt.

Hamsterkäufe führten vor einigen Wochen zu einem Bild, das es in der Schweiz sonst nicht gibt: leere Regale in den Läden. Zwar nur kurzzeitig und nur bei Produkten wie Pasta, Konserven, Toilettenpapier – und doch rückte die Coronakrise die Versorgungssicherheit plötzlich in den Fokus.

Eine Gelegenheit, die sich der Schweizer Bauernverband nicht entgehen lässt. Er will das Argument nutzen, um seine politischen Anliegen durchzubringen – insbesondere in der Kampagne gegen die beiden Anti-Pestizid-Initiativen und bei der künftigen Agrarpolitik. Das zeigt ein internes Papier, das dieser Zeitung vorliegt.

Das Dokument, datiert auf Anfang Mai, dreht sich um die Kommunikationsstrategie während und nach der Coronakrise. Darin heisst es unter anderem, man wolle die «Wichtigkeit einer angemessenen einheimischen, lokalen Produktion betonen». Und: Bei Bedarf solle man im Winter in der Medienarbeit an die Coronakrise erinnern – speziell im Zusammenhang mit politischen Geschäften.

Ursprüngliche Ideen verworfen

Die Krise soll dem Verband zusätzliche Munition liefern gegen zwei Initiativen: die Trinkwasser-Initiative und die Initiative «für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide». Beide zielen auf den Pestizid-Einsatz und dürften 2021 an die Urne kommen. Im internen Papier heisst es dazu: Es stehe eine Abstimmung an, «bei der wir genau die Karte voll ziehen können: ‘Es braucht eine Land- und Ernährungswirtschaft im Krisenfall, darum darf man sie im Normalfall nicht abschaffen (oder schwächen)’.»

Eine der Ideen für die Nein-Kampagne war ursprünglich offenbar, Grabsteine oder Särge zeigen – Symbol für die Landwirtschaft, die zu Grabe getragen wird. Angesichts der Coronakrise sei das nicht mehr möglich, heisst es im Papier. Dafür rückten «Versorgungsaspekte (leere Regale)» in den Vordergrund. Der Verband warnt seit Längerem, ohne Pestizide würden die Erträge schrumpfen. Drei Agenturen sollen laut Papier Vorschläge dazu liefern.

«Zu kurz gedacht»

Dass der Bauernverband seine Argumente der Krise anpasst, finden selbst politische Gegner legitim. Kritik gibt es aber wegen des Inhalts: SP-Nationalrat Beat Jans hält das Argument der Versorgungssicherheit für vorgeschoben. «Der Bauernverband will uns weis machen, dass die Versorgungssicherheit vom Pestizideinsatz abhängt – doch das stimmt nicht.» Jans streitet zwar nicht ab, dass der Ertrag dank Pestiziden höher ausfällt. «Aber das ist zu kurz gedacht. Die intensive Landwirtschaft schadet längerfristig zum Beispiel dem Trinkwasser.»

Unterstützung erhält Jans von der Umweltorganisation Pro Natura. Es sei normal, dass man politische Kampagnen anpasse, sagt auch Marcel Liner, Projektleiter Landwirtschaftspolitik. «Störend ist allerdings, dass der Bauernverband Aussagen macht, die nicht stimmen.» Die Coronakrise habe gerade gezeigt, dass die Versorgung mit Nahrungsmitteln funktioniert – «dank der offenen Grenzen», wie Liner betont. Die Schweiz sei beispielsweise bei den Futtermitteln und beim Saatgut abhängig vom Ausland.

Durch die Anti-Pestizid-Initiativen sei die Versorgungssicherheit hingegen nicht gefährdet, sagt Liner: «Der Bauernverband streut den Konsumenten hier Sand in die Augen. Mit guter landwirtschaftlicher Praxis müsste man im Normalfall gar nicht zur Chemie greifen.»

«Wir wollen sicher nicht Profit schlagen»

Der Schweizer Bauernverband kontert die Kritik. Dass die Schweizer Landwirtschaft abhängig ist von Vorleistungen aus dem Ausland, bestreitet er nicht. Aber: Genau deshalb gebe es in der Schweiz Pflichtlager. Saatgut, Dünger, Pflanzenschutzmittel und Treibstoffe könnten so gelagert werden. «Salat, Früchte, Eier oder Milch aber nicht», schreibt Sprecherin Sandra Helfenstein. Daher mache die inländische Produktion im Rahmen der Versorgungssicherheit Sinn.

Die Coronakrise habe gezeigt, dass globale Lieferketten mit Nachteilen verbunden seien, so Helfenstein. «Das galt übrigens weniger für Lebensmittel, wo die Versorgung ja gut klappt.» Hier sei unser Glück, dass die inländische Grundversorgung vor allem mit Importen aus den umliegenden Ländern ergänzt werde.

Die Kritik, der Bauernverband wolle aus der Krise politisches Kapital schlagen, weist Helfenstein im Übrigen vehement von sich: «Wir wollen sicher nicht aus der Situation Profit schlagen und es gibt keine Aktivität unserseits, die diesen Vorwurf rechtfertigen würde.»

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