Freizeitparks
Europapark-Gründer Roland Mack bangt um sein Lebenswerk
Der Europapark wird durch den Shutdown existenziell bedroht. Der bevorstehende Neustart von Deutschlands größtem Freizeitspaß wird nun weltweit verfolgt.
by Joachim Hofer, Martin-W. BuchenauRust. Europa hat dichtgemacht: In der Altstadt von Sevilla ist kein Mensch unterwegs. Die Arena ist völlig verwaist. Ebenso wie ganz Portugal, Frankreich und Großbritannien. Auch in Italien herrscht Ausnahmezustand. Nur ein paar Handwerker sind zu sehen – und natürlich Roland Mack, der mit seinem Elektro-Caddy durchs Herz seines Unternehmens kachelt, die kleinen Nationen-Inseln in seinem berühmten Europapark in Rust.
Mit rund 5,7 Millionen Gästen allein im vergangenen Jahr ist das Unternehmen die Nummer zwei der besucherstärksten Freizeitparks Europas. Nur geschlagen von Disneyland Paris. Aber Disney bedeutet US-Konzern, die Macks hingegen sind immer noch ein badischer Familienbetrieb.
Es ist Mitte Mai, und Macks Stimmung schwankt zwischen Fatalismus und Hoffnung. Das hier ist alles sein Reich: sechs Hotels mit insgesamt rund 5.800 Betten, mehr als 100 Fahrgeschäfte, eingebettet in einen alten Schlosspark auf insgesamt rund 100 Hektar Land.
Der Herr der Achterbahnen biegt ab ins Märchenland, geht kurz vom Gaspedal, blickt auf die akkurat bepflanzten Beete und erinnert sich an den wohl skurrilsten Ostersonntag seines Lebens: „280.000 Frühlingsblumen nur für uns“, habe er zu seiner Frau Marianne gesagt, als sie die menschenleeren Wege entlanggeschlendert seien.
Das Unternehmer-Ehepaar konnte sich an der bunten Pracht nicht erfreuen. Im Gegenteil: Der 70-jährige Mack bangt um sein Lebenswerk. Der Grund: Corona droht ja gerade vielen Branchen die Lichter auszublasen – dem Tourismus und der Gastronomie etwa, dem Einzelhandel und dem Eventgeschäft, den Hotels, Konferenz- und Konzertveranstaltern. Mack und sein Europapark sind in all diesen Feldern am Start. Oder besser: Sie waren es.
Nach einem Vierteljahr Winterpause durfte der Park nicht wie geplant Ende März öffnen, auch wenn Teile der enormen Kosten weiterlaufen. Allein das nagelneue Spaßbad „Rulantica“ mit angeschlossenem Vier-Sterne-superior-Hotel hat 200 Millionen Euro gekostet, war gerade erst eingeweiht worden – und steht nun leer. Wo sonst täglich bis zu 50.000 Parkgäste versorgt werden, herrscht totale Stille.
Umso mehr fiebert Mack mit seiner Mannschaft von einigen Tausend Beschäftigten dem 29. Mai entgegen. Denn dann darf er nach zwei Monaten wie im Wachkoma wieder öffnen – wenn auch unter Bedingungen, über die noch zu reden sein wird.
So, wie die Fußball-Bundesliga derzeit voranprescht und als erste Profiliga der westlichen Welt in der Coronakrise den Spielbetrieb wieder aufnimmt, so gehören auch die deutschen Freizeitparks zu den Vorreitern einer global operierenden Branche. Betreiber von China bis Kalifornien blicken nach Deutschland und allen voran auf den Europapark, den besucherstärksten saisonalen Freizeitpark der Welt. Wie werden die Badener den Neustart hinkriegen?
Als Corona begann, die Welt in Geiselhaft zu nehmen, war es Februar, sein Park noch im Winterschlaf und der Maschinenbauingenieur Mack im Urlaub auf den Malediven: „Ich habe die Meldungen aus China gesehen und mich sofort gefragt: Was machen wir, wenn das nach Europa kommt?“, erzählt er auf der Fahrt durch seinen Park. Noch bevor er wieder in Europa landete, hatte er einen Notfallplan erstellt.
Als er zu Hause ankam, lief das neue Spaßbad „Rulantica“ noch auf vollen Touren. Es ist die größte Investition in der 45-jährigen Geschichte des Parks. Im November erst war Eröffnung. Drei Wochen nach Macks Rückkehr klopfte der Bürgermeister von Rust Mitte März bei ihm im Büro an und überbrachte den amtlichen „Schließungsbefehl“. Vom geplanten Return on Investment blieb seither nur noch das Investment übrig.
Investitionen über 40 Millionen Euro gestoppt
Schnell war klar, dass es nichts würde mit dem Saisonstart im Europapark Ende März. Nun setzte Mack um, was er sich auf den Malediven ausgedacht hatte. Fast alle Investitionen stoppte er sofort, rund 40 Millionen Euro. „Jetzt bin ich nicht Unternehmer, sondern Unterlasser“, bilanziert der Chef.
In den darauffolgenden Wochen lag das gesamte Geschäft brach. Hotels und Restaurants geschlossen, alle Kongresse abgesagt, der Park dicht, die Badelandschaft ebenso. Inzwischen fehlen 100 Millionen Euro Umsatz, fast ein Drittel der zu normalen Zeiten zu erwartenden Jahreserlöse. „Stand heute“, fügt der Unternehmer die in Coronazeiten üblich gewordene Floskel hinzu, denn es weiß ja niemand, was noch kommt. Die Folgen für die Region wären verheerend.
Der Europapark ist Rust, und Rust ist der Europapark. Im großen Umkreis ist derzeit nichts wie sonst: Völlig freie Fahrt bei der Abfahrt von der A5 nördlich von Freiburg? Das gibt es sonst nicht einmal an Heiligabend. Der Campingplatz? Leer gefegt.
Der Ort grenzt direkt an den Park – und wirkt wie ausgestorben. An jedem zweiten Haus hängt ein Schild: „Zimmer zu vermieten“, „Ferienwohnung frei“. Normalerweise eine sichere Einnahmequelle. Viele Einheimische profitieren vom Park, jeder bekommt von den Macks eine Saisonkarte. In der Hochsaison sind die Straßen meist verstopft, der Lärm der gigantischen Entertainment-Maschine ist dann überall zu hören.
„Der Park ist schon gewaltig und sehr dominierend, auch die Macks“, sagt eine 65-jährige Frau, die gerade vor ihrem Haus vom Fahrrad steigt. Sie spricht leise und will ihren Namen nicht in der Zeitung sehen. Sie wohnt schon seit 40 Jahren hier. Der Park polarisiert. Der Krach, der Verkehr, die Besucherströme – das wurde oft als Ärgernis angesehen von den Einwohnern. Noch schlimmer allerdings ist es für die meisten, wenn das alles plötzlich verschwunden ist.
Roland Mack hat schon viele Krisen durchlebt. Am Anfang, in den 70er-Jahren, als er seinen Vater, den Karussellbauer, erst einmal davon überzeugen musste, dass der seine Fahrgeschäfte zu Demonstrationszwecken in einem eigenen Freizeitpark aufbauen sollte. Als dann der Plan, das Projekt bei Breisach zu bauen, nach zwei Jahren Vorbereitung scheiterte. Als es Probleme mit der Verkehrsanbindung gab. Und erst recht, als im Mai 2018 die Indoor-Attraktion „Piraten in Batavia“ bis auf die Grundmauern abbrannte.
Natürlich ist es auch kein Zufall, dass Mack sein Unternehmen „Europapark“ nannte. Frankreich ist in Rufweite, die Schweiz ist nahe. Mit Corona waren die Grenzen auf einmal fast unüberwindlich. Mitarbeiter aus dem Elsass mussten einen zweistündigen Umweg über Straßburg nehmen, wenn sie es überhaupt ins Büro schafften. Wer nicht mehr nach Hause kam, wurde von Mack kurzerhand in einem seiner schon leer stehenden Hotels untergebracht.
Mack ist also durchaus ein kampferprobtes Stehaufmännchen. Aber sein skurrilstes Fahrgeschäft ist derzeit die Achterbahn der Gefühle, auf der er sich jeden Tag aufs Neue wiederfindet.
Gerade erreicht er mit seinem Elektro-Caddy eine besondere Baustelle. Die „Piraten von Batavia“ sollen noch im Juni wieder eröffnen. Kunststeine aus Beton haben die Handwerker mit dem Hydraulikhammer so originalgetreu bearbeitet, dass sie täuschend echt aussehen. Das ist die Kunst der Illusion, die Liebe zum Detail, die den Europapark von vielen Konkurrenten unterscheidet. Der Wiederaufbau der Attraktion ist eine Aufgabe, die er im Griff hat, Corona dagegen eine große Unbekannte.
Wenn der Europapark Ende Mai wieder startet, wird nichts sein wie vorher. Mack hofft auf 10.000 Besucher am Tag. Im Schnitt sind es sonst 25.000. Kein großer Unterschied? Doch, denn der Schnitt wird nur erreicht, wenn an Spitzentagen über 50.000 Besucher den Park fluten. „Wir tasten uns langsam ran und hoffen, dass wir mit den Schutzmaßnahmen zügig die Besucherzahl um ein paar Tausend erhöhen können. Wenn alles gut geht.“
Jeden Tag Stromkosten von 10.000 Euro
Gelingt das nicht, verbrennt der Park weiter jeden Tag Geld. Luft verschafft zwar das über Jahre aufgebaute Eigenkapital in dreistelliger Millionenhöhe. Aber allein die Stromkosten liegen momentan bei 10.000 Euro. Pro Tag. Ohne dass sich auch nur ein Gast auf dem Gelände aufhält.
Zumindest eines scheint klar: Das Freizeitparadies kann auf seine Kundschaft zählen. Als im Internet vergangene Woche die Buchungen wieder starteten, wurden sofort rund 2,5 Millionen Tickets angefordert. Die Computer brachen zusammen unter dem Ansturm. „Das gibt mir Zuversicht“, betont Mack. Es sieht so aus, als sei sein Geschäftsmodell intakt.
Mit dem Europapark erwacht auch die Konkurrenz zu neuem Leben: Das Phantasialand in Brühl lässt die Gäste – in reduzierter Zahl – ebenfalls zum ersten Mal am 29. Mai ein. Der Kartenvorverkauf beschränkt sich indes noch auf den Zeitraum bis Juni. Auch andere Parks wie das Ravensburger Spieleland oder das Legoland in Günzburg wollen Ende des Monats öffnen.
Macks Sohn Michael, der Digitalchef des Familienunternehmens, hat sich einiges einfallen lassen. So können sich die Besucher über eine App sozusagen virtuell anstellen an den Attraktionen – und kommen in einem bestimmten Zeitraum dran. So sollen Warteschlangen vermieden werden.
Eine andere App soll die Leute spielerisch dazu ermuntern, Abstand zu anderen Besuchern zu halten. Mit der Software könnten gegebenenfalls auch Infektionsketten nachverfolgt werden. Maskenpflicht in der Schlange und das Freilassen jedes zweiten Sitzplatzes sind obligatorisch. Der Neustart ähnelt einem Hindernislauf.
Längst haben sich Macks Leute auch Gedanken gemacht, wie sie „Rulantica“ wiederbeleben können. Sie gehen davon aus, dass die feuchtwarme Luft in dem Schwimmbad äußerst ungünstig für das Virus ist. Maximal die Hälfte der 3.400 Spinde lasse sich indes belegen.
Liegen werden abgesperrt, die Zahl der Rutschreifen soll reduziert werden, die Bademeister werden die Besucher auf Abstand halten müssen – nicht nur in den Becken. Macks Beschäftigte sind überzeugt, dass es weniger riskant ist, in der Badelandschaft zu planschen, als in einem Supermarkt einzukaufen.
„Wie viel Geld wir gerade verbrennen, dürfen wir uns gar nicht anschauen“, sagt der Patriarch. „Was wir uns über Jahre aufgebaut haben, zerrinnt uns zwischen den Fingern. Da werden Sie wahnsinnig, wenn Sie kein Ziel haben.“ Nun gibt es den 29. Mai. Und trotzdem hofft Mack noch auf deutlich mehr Unterstützung durch die Politik.
„Degressive Abschreibung, Investitionsbeihilfen, Rückstellung von Drohverlusten – da muss der Staat im Sinne der Unternehmen flexibel werden“, betont er. Seine Firma sei zu groß für die jüngsten Förderprogramme des Landes Baden-Württemberg. „Wir fallen da immer durch den Rost“, sagt er. Womit er durchaus Gehör findet. Nach dem Termin mit dem Handelsblatt zieht er sich in einem der verwaisten Restaurants zum Gespräch mit der CDU-Landtagsabgeordneten Marion Gentges zurück.
An Tagen wie diesen muss sich freilich auch ein Berufsoptimist wie Mack selbst Mut machen: „Nichts ist so schlecht, dass es nicht auch zu etwas gut sein könnte“, sagt er gern. Wenn alles gut ausgehe, werde die Coronakrise für seine beiden Söhne eine wertvolle unternehmerische Erfahrung sein, da ist er sich sicher. So, wie sein Vater einst ihn geprägt hat.
Als der Park auf Touren kam und 1980 erstmals über 50 Millionen Mark Umsatz machte, sei er zu ihm gelaufen, um stolz den Rekord zu vermelden. Der Alte habe nur gebrummt: „Umsatz interessiert nicht, was haben wir unter dem Strich?“
Mack schmunzelt. „Den Satz habe ich nie vergessen. Deshalb haben wir immer ordentlich gewirtschaftet.“
Die Frage wird jetzt sein, ob die tatsächlichen Besucherzahlen ihm dabei helfen. Wird der Park einen Boom erleben, weil viele Deutsche dieses Jahr lieber zu Hause Urlaub machen? Oder bleiben die Leute weg, weil ihnen selbst der Europapark zu unsicher ist?
Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie, wusste schon Ludwig Erhard. Es sind diese 50 Prozent, die nun auch über das Schicksal der Macks entscheiden werden.
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