Mittelstands-Studie
„Wer nicht kooperiert, stirbt“: Deutschen Mittelständern fehlt Innovationskraft für Nachkrisenzeit
In der Coronakrise stehen viele Mittelständer vor neuen Herausforderungen. Eine zu langsam angegangene Digitalisierung wird zur Existenzfrage.
by Anja MüllerDrei Viertel der deutschen Familienunternehmen beschäftigen sich ständig mit der Verbesserung ihrer Produkte und Prozesse. Aber nur 17 Prozent halten ihre Neuentwicklungen für bahnbrechend. In der aktuellen Coronakrise, die Unternehmen mit völlig neuem Kundenverhalten und völlig neuen Arten der Zusammenarbeit konfrontiert, könnte das für viele Familienunternehmen zum Verhängnis werden.
Zu diesem Ergebnis kommt einen Studie der WHU Otto Beisheim School of Management in Vallendar, die durch die Beratungsgesellschaft Andersch unterstützt wurde und dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.
Nadine Kammerlander, Leiterin des Lehrstuhls Familienunternehmen an der WHU und der Studie, ist besorgt: „Wenn Familienunternehmen es bislang mehr als ein Jahrhundert lang auch ohne bahnbrechende Innovationen geschafft haben, heißt das nicht, dass es in der Zukunft auch noch so sein wird.“
Sie fürchtet, dass durch die jetzt entstandene Krise viele Produkte und Dienstleistungen in der Nachkrisenzeit vielleicht nicht mehr benötigt würden. Um langfristig am Markt bestehen zu können, bräuchten viele deutsche Unternehmen spürbare Innovationen.
Mike Zöller, Partner der auf Restrukturierung spezialisierten Beratungsgesellschaft Andersch mahnt die Unternehmen, ihr „grundsätzliches Verständnis von Innovationskultur zu überprüfen“. Es gebe Geschäftsmodelle, die würden auch nach einer Gesundung der Wirtschaft schlicht und einfach nicht zurückkehren.
Es werde nur zwei Wege geben: Das Geschäft zu schließen oder es so stark zu verändern, dass es wieder einen Markt finde. „Eine Fortschreibung der Geschichte durch das Erzielen weiterer Effizienz wird nicht mehr ausreichen.“
Die Studie, in der knapp 800 Familienunternehmen kurz vor dem Ausbreiten der Coronakrise hierzulande befragt wurden, offenbart, das nur jedes zehnte Unternehmen der Meinung ist, dass sein Geschäftsmodell die Art und Weise, wie Geschäftsabschlüsse zustande kommen, revolutionieren würde.
Hinzu kommt, dass mit fast 90 Prozent, zwar viele Unternehmen erkennen, dass neues Wissen gefragt ist, aber weit weniger als die Hälfte sich auch eine Umsetzung des Wissens im Unternehmensalltag zutraut.
Zunehmend konstatieren Experten, dass die Vorbehalte gegenüber neuen Technologien immer noch sehr stark verbreitet sind in Familienunternehmen, sowohl an der Spitze, als auch in den Belegschaften. Im Ergebnis seien deswegen viele Unternehmen noch immer schlecht ausgestattet und die Mitarbeiter und die Führung nicht ausreichend vertraut mit neuen Technologien, wie zum Beispiel Cloudlösungen.
Kammerlander legt mit der Studie den Finger in die Wunde, denn Familienunternehmen galten doch immer als innovativ und extrem anpassungsfähig. Für einige sei das Virus nun der endgültige Weckruf, den es offenbar brauche, sagt sie.
Auch Uwe Rittmann, Mitglied der Geschäftsführung und Leiter Familienunternehmen bei der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft PWC sieht es ähnlich. „Die Frage, wer die Digitalisierung im Unternehmen treibt, ist nun beantwortet: ein kleines Virus.“ Viele Familienunternehmen hätten das Thema Digitalisierung unterschätzt, insbesondere was das virtuelle Arbeiten und die digitale Kundenbetreuung beträfe.
Rittmann gibt sich, wegen der Tugenden der Familienunternehmen, wie Entscheidungsfreude, Flexibilität, Pragmatismus und Umsetzungskompetenz aber optimistisch. Auch, weil eine oft sehr solide Eigenkapital- und Liquiditätsausstattung, sowie eine gute Anpassungsfähigkeit vorhanden wären.
Kammerlander sieht dagegen ganz klar die Zukunftsfähigkeit mancher Familienunternehmen gefährdet, weil der Blick auf bisherige Erfolge den Blick nach vorn versperrt habe. US-Studien zeigten, dass Unternehmen, die in der Vergangenheit mit disruptiven Geschäftsmodellen erfolgreich waren, es dadurch nicht automatisch schafften, erneut den Markt mit bahnbrechenden Neuerungen aufzurollen. Der Weckruf durch das Coronavirus dürfe nicht nur die Ansprache der Kunden, sondern müsste in einer zweiten Stufe auch ganz neue Geschäftsmodelle zur Folge haben.
Kooperationen mit Start-ups
Ein wichtiger Schritt in die Zukunftsfähigkeit und eine klare Empfehlung der Forscherin ist die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen, vor allem mit Start-ups, deren Lebenszweck es ja ist, bahnbrechende Innovationen zu erzeugen.
Kammerlander ist daher der Ansicht: „Wer nicht kooperiert, stirbt.“ Dies sei eine Überlebensfrage. Schließlich sei auch die Krise eine bahnbrechende: „Es ist ein tieferer Einschnitt mit unklarem Verlauf“, prophezeit sie.
Daher werde es in den kommenden Jahren sehr viel mehr „Varianz“ bei den Familienunternehmen geben. Also solche, denen es gut geht und solche, denen es schlecht gehen wird. Dabei hält sie es auch als Hidden Champion im verborgenen B2B-Geschäft zu glänzen für ein „gefährliches Konzept“ für die Zukunft. Wer innovative Mitarbeiter und Kooperationspartner anziehen wolle, müsse visibler werden.
Kammerlander schaut nicht durchweg pessimistisch auf die Familienunternehmen. Sie sieht ihre Rolle darin, auf Missstände aufmerksam zu machen. Seit mehr als zehn Jahren forscht sie über Familienunternehmen. Sie hat daher durchaus in ihren Studien gesehen, wie innovativ Familienunternehmen bislang waren.
Nur eben, dass die lange, manchmal jahrhundertelange Geschichte von Familienunternehmen eben trotzdem „kein Indiz fürs Überleben“ sei. Den Weckruf durch die Krise aber, den hören zurzeit viele. Und dabei helfe sicherlich etwas, was Familienunternehmen durchaus haben: Erfahrung und schnelle Entscheidungswege. „Aber Erfahrung hilft sicher.“