„Jazz wird lebendiger sein als zuvor“
by Horst Peter KollSchrittweise greifen überall erste Lockerungspläne, aber Live-Jazz fällt weiterhin aus. Ein Weg zum Publikum ist das Streaming. Wie sind Ihre Erfahrungen damit?
JANNING TRUMANN: Zu Beginn war es fremd und gewöhnungsbedürftig. Ich brauchte Zeit, um meine Gedanken zu fassen und mich auf die Musik zu konzentrieren. Dann aber war es großartig, wieder auf der Bühne zu stehen. Der Stadtgarten zahlt als Europäisches Zentrum für Jazz und Aktuelle Musik faire und angemessene Gagen, und in anderen Kölner Spielstätten werden ordentliche Summen gesammelt und an uns weitergereicht. THERESIA PHILIPP: Ich habe in der Reihe „Nica streams…“ im Duett mit Thomas Sauerborn gespielt. Das war mein erstes Konzert seit den Corona-bedingten Ausfällen, auch mein erstes Online-Format, und es hat mir viel Energie gegeben. Was dringend nötig war! Solche Konzertformate sind wichtig, auf Dauer aber kommen sie für mich nicht in Frage. Dafür fehlen mir die Atmosphäre und der Energieaustausch mit dem Publikum.
Das Loft nutzte als erster Veranstaltungsort das Streaming-Format. Steht der Aufwand im Verhältnis zur Resonanz?
BENEDIKT MÜLLER: Einen Livestream aufzusetzen, ist eigentlich kinderleicht, und da das Loft ein Tonstudio hat, war die wichtigste Voraussetzung für eine gute Tonübertragung erfüllt. Alles andere konnten wir mit Unterstützung einiger alter Freunde sowie durch private Mittel an einem Nachmittag nachrüsten. Seitdem streamen wir bis zu drei Mal die Woche und fühlen uns durch die ausgezeichnete Resonanz bestätigt. Unsere Streaming-Konzerte haben durch Zuhörer-Spenden bis jetzt stets die Mindestgage erreicht.
Vom Bund geförderte Kulturinstitutionen sollen bis zu 60 Prozent der Gage als Ausfallhonorar zahlen können, wenn die Veranstaltung wegen Corona abgesagt wurde. Hat der Jazz etwas davon?
TRUMANN: Der Bund ist mit seiner Kulturförderung beim Jazz nicht sehr präsent, er unterhält eher große Opernhäuser oder bezuschusst einzelne Festivals. Unsere Partner sind vor allem die Stadt Köln und das Land NRW. Die Projektförderungen von Stadt und Land sind seit Beginn der Krise klar geregelt, sodass etwa 60 Prozent der Mittel ausgezahlt werden dürfen, trotz Ausfall. Dass der Bund so spät nachzieht, passt für mich ins Bild. Ich hatte mehr Pragmatismus von Kulturstaatsministerin Grütters erwartet, allein ihr Umgang mit der Verwendung der Mittel für Solo-Selbstständige war undeutlich und wenig hilfreich. PHILIPP: Es haben ausschließlich Musiker und Musikerinnen, Bands und Ensembles etwas davon, die vom Bund gefördert sind, doch in der freien Jazzszene ist das kaum jemand. Natürlich sind Eindämmungsmaßnahmen wichtig, aber Kunst und Kultur sind kein Luxus, sondern systemrelevant, das muss auch die Politik sehen. Zudem ist der Jazz keine Importware, sondern längst Teil der deutschen Kulturlandschaft.
Viele, die finanzielle Mittel erhalten, verheddern sich im Gestrüpp administrativer Auflagen.
TRUMANN: Es hat sich gebessert, die Lage ist für die meisten Kulturschaffenden immer noch undurchsichtig. Verschiedene Deutungen, wie die Mittel verausgabt werden dürfen, führen dazu, dass sich einige gar nicht erst trauen, Unterstützung zu beantragen. Im schlimmsten Fall müssen Antragsteller die Mittel nächstes Jahr zurückzahlen, sodass manche Solo-Selbstständige durch das gut gemeinte Hilfspaket faktisch in die Verschuldung geraten.
Auf Landesebene erhalten kommerzielle Kulturanbieter keine Gelder, dafür aber gemeinnützige und kommunale Kultureinrichtungen. Wo steht da das Loft?
MÜLLER: Das Loft wird seit drei Jahren zu erheblichen Teilen über einen Betriebskostenzuschuss des Kulturamts der Stadt Köln finanziert, ähnlich wie auch der Stadtgarten. Zurzeit benötigen wird noch keine Hilfen, die Landesmittel sollten erst einmal jene bekommen, denen das Wasser schon jetzt bis zum Hals steht.
Wie sehen die Pläne für die Zeit danach aus?
MÜLLER: Unsere Planung läuft weiter, zusätzlich versuchen wir, für die abgesagten Konzerte Nachholtermine zu finden. Das ist ein kompliziertes Hin und Her, weil einem niemand sagen kann, wann es weitergeht. Wir könnten ab September wieder starten, sind aber auch auf wesentlich längere Veranstaltungsverbote eingestellt. TRUMANN: Die Krise gibt einem die Zeit, über das bisher Erreichte nachzudenken und die nächsten Schritte sorgfältig vorzubereiten. Der Kölner Jazz hat in den letzten Jahren viel aufgebaut, damit sind wir für die Zeit nach der Krise gut gerüstet. Die Jazzstadt Köln hat eine einmalige Infrastruktur und eine große, spannende Szene, und natürlich gibt es jetzt schon Pläne für den Sommer. Vor allem aber 2021: Das Internationale Jazzfestival „Cologne Jazzweek“ ist eine logische Entwicklung!
Birgt die Krise also auch Chancen?
PHILIPP: Die Entschleunigung kann für jeden eine Chance sein. Die Menschen sind ja sozusagen gezwungen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und zu reflektieren, darin liegt eine Kraft. So könnten wir uns im Moment mit kreativer Arbeit, mit Komponieren, mit neuen Ideen vorbereiten, aber noch mal: Solange sich Künstlerinnen und Künstler in existenzieller Not und finanzieller Angst befinden, ist es unmöglich, in einen kreativen Fluss zu kommen.
Was sind Ihre Hoffnungen?
TRUMANN: Jazz funktioniert nicht ohne Improvisation. Insofern hoffe ich, dass wir guten Mutes durch die Krise kommen, um danach nicht einfach da weiterzumachen, wo wir aufgehört haben, sondern um unsere „Corona-Erfahrungen“ für neue Erlebnisformate zu nutzen. PHILIPP: Mein hoffnungsvoller Gedanke: Jazz wird lebendiger sein als zuvor, die Menschen werden wieder mehr Live-Musik hören wollen. So viel uns das digitale Leben derzeit hilft, so sehr wünsche ich mir wieder mehr reales Leben.
DER VEREIN
Die Kölner Jazzkonferenz (KJK) ist die politische Interessenvertretung der Kölner Jazz-Szene. Der aktuelle Vorstand besteht aus der Saxofonistin Theresia Philipp, dem Posaunisten Janning Trumann und dem Loft-Betreiber Urs Benedikt Müller. Die KJK gründete zudem die „Jazzstadt UG“ als ausführender Veranstalter des neuen Jazzfestivals „Cologne Jazzweek“, das erstmals vom 28.8. bis zum 4.9.2021 stattfinden wird. Geschäftsführer ist Janning Trumann, neben ihm gehören Friederike Darius, Thomas Gläßer, Gareth Lubbe und Rebekka Ziegler zum künstlerischen Kuratorium.
Janning Trumann
Theresia Philipp