Das traurige Ende ist bekannt

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Ein Buch über die britische Band Joy Division zu lesen ist ein bisschen wie den „Titanic“-Film anschauen. Das traurige Ende ist bekannt. Beim angeblich unsinkbaren Luxusliner war es der Eisberg vor Neufundland, bei Joy Division der frühe Tod ihres Sängers. Vor 40 Jahren, im Mai 1980, nahm sich Ian Curtis, damals 23 Jahre alt, das Leben. Das zweite Joy-Division-Album „Closer“ erschien im Sommer 1980 posthum, ebenso die Single, die ihr größter Hit werden sollte: „Love Will Tear Us Apart“.

Es gibt keinen Mangel an Literatur über Joy Division. Das Standardwerk „Touching from a Distance“ hat Ians Witwe Deborah Curtis geschrieben; auf dieser Basis drehte Anton Corbijn auch 2007 sein eindrucksvolles Biopic „Control“.

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Ian Curtis etwa drei Monate vor seinem TodFoto: Reinhard völkel

Autor Jon Savage sagt im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, dass er mit „Sengendes Licht, die Sonne und alles andere“ ein breit angelegtes Joy-Division-Panorama im Sinn hatte, das um seine abwesende Hauptfigur kreist. Daher dieses Oral-History-Projekt, das etwa zwei Dutzend Zeitzeugen abwechselnd zu Wort kommen lässt. Als größten Einfluss nennt Savage Andrew Loog Oldham: Der langjährige Manager der Rolling Stones hatte zwei Erinnerungsbände über „seine“ Band kompiliert, mit den mehrdeutigen Titeln „Stoned“ und „2Stoned“.

Das von Savage in den Zeitzeugenstand gerufene Personal ist über jeden Zweifel erhaben: Neben den drei überlebenden Bandmitgliedern und Ians Witwe ist es der innere Kreis der Plattenfirma Factory Records, darunter der TV-Moderator Tony Wilson, der als Entdecker der Band gilt und sie erstmals ins Fernsehen holte, aber eben auch die zweite wichtige Frau in Ians kurzem Leben, seine belgische Liebschaft Annik Honoré.

Savage, einer der bekanntesten britischen Musikjournalisten, nutzt für das Buch sein Interview-Archiv der vergangenen Jahrzehnte, so dass auch Protagonisten zu Wort kommen, die nicht mehr leben, wie Wilson oder der einflussreiche Toningenieur der Band, Martin Hannett. Savage sortiert und montiert die O-Töne zu einem suggestiven Lesefluss, hält sich mit eigenen Bewertungen zurück, bis auf ein paar kurze Ausschnitten aus seinen Kritiken aus den späten siebziger Jahren.

Im Herbst 1977 hatte er einen der ersten Auftritte in der Besetzung Curtis/Peter Hook/Bernard Sumner/Stephen Morris miterlebt, da hieß die Band noch Warsaw. „Sie waren nicht sehr gut zu diesem Zeitpunkt“, sagt er im Mai 2020, hinterließen aber dennoch einen bleibenden Eindruck, wegen der Dringlichkeit ihres Auftritts. „The sense of ambition outstripping ability“ beschreibt Savage dieses Missverhältnis zwischen wollen und können. Dass sie eine der einflussreichsten britischen Bands aller Zeiten werden würden, hat Savage nicht kommen sehen, es überrascht ihn bis heute.

Die heute heillos zerstrittenen Ex-Bandkollegen sind sich in der Rückschau einig – einen Karriereplan verfolgten Joy Division nicht. Bassist Peter Hook: „Wir vier hatten keine Ahnung, was wir da machen, aber die Chemie war unglaublich.“ Gitarrist Bernard Sumner: „Wir wollten bloß etwas erschaffen, das sich gut anhörte und unsere Gefühle ausdrückte.“

Wie Savages Bestseller „England’s Dreaming“ (über die britische Punkszene) weist auch „Sengendes Licht, die Sonne und alles andere“ über die reine Musik hinaus. So erzählt das Buch nicht nur die Geschichte von Joy Division, sondern auch jene der Stadt Manchester, aus deren Vororten Salford und Macclesfield jeweils zwei Bandmitglieder stammen. Im 19. Jahrhundert die Wiege des Kapitalismus und zugleich zentrale Inspiration für „Das kommunistische Manifest“, war Manchester in den späten 1970er Jahren der Inbegriff des dreckigen, wirtschaftlich ausgezehrten, post-industriellen englischen Nordens. Mit Stücken wie „Atmosphere“, „Interzone“ und „Transmission“ schufen Joy Division einen aufwühlenden post-industriellen Soundtrack, und legten zugleich den Grundstein für die Renaissance der Stadt als rauschende Musik- und Partymetropole.

Jon Savage: „Sengendes Licht, die Sonne und alles andere“; deutsch von Conny Lösch, Heyne, 384 Seiten, 20 Euro.

Bassist Peter Hook