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Auf Jungsjagd: Riemelt in „Kopfplatzen“

Quelle: Salzgeber Club

„Am Anfang war ich schutzlos und ausgeliefert“

Falls Sie sich schon gefragt haben, wer dieser Aschblonde ist, der überall Hauptrollen spielt: Es ist Max Riemelt, der so überhaupt keinen Wert auf Erkanntwerden legt. Ein Gespräch mit einem Phänomen.

Ein junges, offenes, neugieriges Gesicht, das plötzlich sehr alt aussehen konnte. Das war mal. Ein reiferes Gesicht ist es heute, das immer noch problemlos Erstaunen verkörpern kann. Flächig, geradlinig. Deshalb wird es gern für deutsche Vergangenheitsbewältigung gebucht, auch international, so denkt sein Träger über sein hervorstechendes Ausdrucksmittel.

Es gehört Max Riemelt, Schauspieler, 36 Jahre alt, einer der besten, dabei erfahrensten seiner Generation. Und dabei einer, der ganz anders ist als sein Beruf, zurückhaltend, nachdenklich. Der wirklich vor allem im Spiel aufblüht.

Max Riemelt muss Vertrauen fassen, „ich war ja am Anfang als ungelernter Schauspieler sehr schutzlos und ausgeliefert, musste mir mein Rüstzeug intuitiv und über die Figuren erarbeiten, konnte auf keine Methode zurückgreifen. Heute habe ich das. Selbst in einer großen internationalen Produktion wie ,Sense8‘, wo ich, wie die anderen Darsteller, zwar gerade für mein Aussehen eben als Deutscher besetzt wurde, wo ich mich aber trotzdem in einer sehr großen Crew behaupten musste.“ Doch das ist kein Problem mehr, genauso wenig wie sein Englisch.

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Riemelt (2.v.l.) in "Sense8"

Quelle: picture alliance / Everett Colle

Diese über zwei Staffeln laufende Netflix-Produktion mit – das mochte er – viel Geballer, aber enormem Kunstanspruch, erlaubte Max Riemelt eine entscheidende Begegnung mit einem kultigen Regieduo: den Geschwistern Lilly und Lana Wachowski. Der für Deutschland an der länderübergreifenden Koproduktion eingespannte Tom Tykwer brachte Max Riemelt mit, die „Matrix“-Schöpferinnen fanden an ihm Gefallen.

Deshalb stand er, bis wegen der Corona-Pandemie eine Drehpause eingelegt werden musste, neuerlich erblondet in Babelsberg vor Lana Wachowskis Kameras für „Matrix 4“. Keanu Reeves und Carrie-Anne Moss sind wieder mit dabei, neu ist Neil Patrick Harris.

Im Gegensatz zu dieser Großproduktion war Max Riemelt auch in einem kleinen, starken Film dabei. In „Kopfplatzen“ von Savaş Ceviz spielt er wieder eine Rolle, wie sie sich durch die Riemelt-Karriere zieht: einen mittelalterlichen, mit seiner Sexualität hadernden Mann. So wie 2013 in „Freier Fall“ als verheirateter Polizist, der sein Schwulsein entdeckt und erkundet.

„Er macht fast nichts. Das ist hier sehr viel“

Jetzt ist er Markus, ein alleinstehender Architekt in einer schnörkellosen Wohnung, der sich eingestehen muss, dass er pädophil ist. Den Kinostart von „Kopfplatzen“ hat das Virus verhindert, er soll nachgeholt werden; zunächst aber war das so ambivalente wie intensive Kammerspiel als Fünf-Euro-Stream auf der neu geschaffenen Vimeo-Plattform des Salzgeber-Clubs zu sehen.

Riemelt trägt den gratwandernden Film, man verurteilt ihn, hat Angst um den kleinen Sohn der in ihn verliebten Nachbarin als Objekt seiner wachsenden Begierde, aber man wendet sich als Betrachter von Markus nicht ab. Und Max Riemelt ist mit wenigen, ruhigen, ritualhaften Aktionen, einem so verletzlichen wie verquälten Gesicht, auf dem die Kamera unbarmherzig ruht, der Mittelpunkt, in dem sich alle Aufmerksamkeit bündelt. Er macht fast nichts. Das ist hier sehr viel, lässt ihn traumsicher auf einem sehr schmalen Grat der Akzeptanz für diesen Charakter zwischen Abstoßung und Mitleid wandeln.

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Riemelt in "Napola"

Quelle: picture alliance / United Archiv

„Ich bin da so reingerutscht“, sagt Max Riemelt rückblickend über seine Entscheidung, Schauspieler zu werden. „Ich wusste als Jugendlicher gar nicht, was ich wollte, war ein wenig haltlos. Und bis heute kann ich wirklich nichts anderes, obwohl ich nie Ausbildung oder Unterricht hatte, nur Praxis. Das Spielen hat mich geformt, ich konnte mich entdecken und war weg von der Straße“, sagt der Kunsthandwerker.

„Bis heute verdanke ich meine Karriere meiner Agentin, bei der ich immer noch bin. Die hatte gerade eine Agentur für Kinder gegründet, mich entdeckt und 1997 in ,Eine Familie zum Küssen‘ gebracht. Das ist bis heute totales Vertrauen zwischen uns.“

Ein Ostler ist er. Das ist Max Riemelt wichtig, obwohl nach fünf Kinderjahren die Mauer fiel: „Doch ich habe da noch einiges mitbekommen, und das steckt in der Biografie meiner Eltern und der Restfamilie.“ Er selbst hat, obwohl seit seinem Durchbruch als blondierter Hitlerjunge in „Napola“ gern auch für Nazistoffe gebucht, nur wenige Filme mit DDR-Hintergrund gedreht. Am nachhaltigsten in Erinnerung blieb er im mit Nouvelle-Vague-Vorbildern flirtenden, in Dresden spielenden Mauerdrama „Der Rote Kakadu“, für das Dominik Graf 2006 eine Reihe von Talenten aus dem Osten vor die Kamera holte: Ronald Zehrfeld, Kathrin Angerer, Devid Striesow. Wie jung die damals alle waren!

Mit Graf (und Zehrfeld) hat Max Riemelt ein weiteres, wichtiges Mal zusammengearbeitet: 2010 für die Russenmafia-Krimiserie „Im Angesicht des Verbrechens“. Zusammen mit dem Ensemble wurde er für seine intensive Darstellung eines lettisch-jüdischen Polizisten mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet.

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Max Riemelt und Marie Bäumer in "Im Angesicht des Verbrechens"

Quelle: picture alliance / dpa

Zum Shootingstar, der privat alles andere ist als das, eher verhuscht und aschblond sich unter dem Hoodie wegduckend, wurde Max Riemelt schon 2005 gekürt. Und seither war er nie wieder weg. Obwohl er jenseits seiner Filme so gut wie gar nicht in der deutschen Öffentlichkeit auftaucht, Privatheit, ja Unauffälligkeit fast zu einem Markenzeichen gemacht hat, nur schauspielerisch aufmerken lässt. Dafür wirkt der Kickboxer immer sehr direkt, obwohl er lange verharrt, bis er loslegt. Das nervös Körperliche ist inzwischen einer gewissen Reife gewichen: Man schaut ihm gerne zu, wie er altert.

Auch weil sich Max Riemelt nie hat festlegen lassen. Er ist nicht der ewige Comedy-Typ wie Matthias Schweighöfer oder Florian David Fitz, er ist kaum auf historische Event-Movies fixiert wie Ludwig Trepte, er ist kein Schönling wie Elyas M’Barek und kein ewiger Problemo wie Tom Schilling. Er hat Respekt vor Autoritäten, weiß aber durchaus, wie er sein Ding dreht, was ihn als Spieler interessiert und weiterbringt.

Dazu gehört noch ein schon abgedrehter, für den Herbst geplanter Film, „Ernesto’s Island“ von Marten Persiel: ein auf Kuba spielendes Liebesdrama über jene Thälmann-Insel, die Fidel Castro samt aktualisierter Karte symbolisch 1972 zum DDR-Staatsbesuch mitbrachte. Max Riemelt spielt einen Skater, auch die gab es in der doch viel bunteren DDR, der es bis zum sonnigsten Palmenstrand der Ostdeutschen in der Karibik schafft. So bleibt er sich treu – wieder mal.