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Die so sehr von sich selbst überzeugte Automobilindustrie ist weder unersetzlich noch unfehlbar, meint WELT-Autor Florian Gehm

Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT

Die Jahre des Lügens in Wolfsburg sind zu Ende

Das Urteil des Bundesgerichtshofs ist für Volkswagen ein Fiasko – für Zehntausende Diesel-Fahrer macht es den Weg frei für Gerechtigkeit. Ein guter Moment für die ganze Branche, um sich in Demut zu üben. Denn wer die Schuld trägt, ist nun endlich höchstrichterlich geklärt.

Volkswagen hat sich „sittenwidrig“ und „besonders verwerflich“ verhalten. Es fühlt sich gut an, so klar und deutlich über den Wolfsburger Autobauer sprechen zu dürfen. Denn so hat sich der Konzern gegenüber seinen Kunden benommen, indem er Millionen Diesel-Autos mit einer illegalen Abgastechnik ausgestattet hat.

Das hat der Bundesgerichtshof entschieden – und damit den Weg für Schadenersatz für Zehntausende Diesel-Fahrer freigemacht. Dieses Urteil dürfte für Volkswagen richtig teuer werden – und das ist gut so. Denn damit gehen Jahre des Lügens in Wolfsburg zu Ende. Dass der Autobauer stets argumentiert hatte, die Autos seien jederzeit voll nutzbar gewesen und es gebe keinen Schaden, ist nur der letzte Beleg für die Richtigkeit des Urteils.

Viel zu lange war der Konzern vor einem so klaren Richterspruch davon gekommen. Erst vor wenigen Tagen war es Volkswagen gelungen, mit einem höchst fragwürdigen Ablasshandel Konzernchef Herbert Diess und den Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch vom Vorwurf möglicher Marktmanipulation reinzuwaschen – gegen Zahlung von insgesamt neun Millionen Euro wurde das Verfahren gegen sie eingestellt.

Dieses Mal konnte sich der Konzern nicht freikaufen. Damit ist das Urteil des Bundesgerichtshofes auch ein Sieg des Rechtsstaates. Es zeigt: Nicht einmal die mächtige Autoindustrie hat es geschafft, die Richter in Karlsruhe davon abzubringen, im Interesse des „kleinen Mannes“, des Volkswagen-Fahrers, zu urteilen.

Mit außergerichtlichen Vergleichen hatte Volkswagen viele Opfer bereits ruhiggestellt. 240.000 Diesel-Besitzer dürften nach Jahren der Verzögerung und Vertuschung nicht mehr an ein faires Urteil geglaubt haben, als sie sich im Rahmen einer Musterfeststellungsklage mit dem Autobauer einigten. Nur noch 60.000 Verfahren sind bis heute nicht entschieden oder per Vergleich beendet.

Dass Volkswagen den Diesel-Skandal jetzt trotzdem für erledigt erklärt, ist nur eine weitere Nebelkerze. Er geht jetzt wieder richtig los – und auch das ist richtig. Denn nun haben 60.000 Menschen die Möglichkeit, Volkswagen für sein sittenwidriges Verhalten zur Kasse zu bitten. Die kostspielige Konsequenz daraus muss nicht nur VW eine Lehre sein.

Die gesamte, so sehr von sich selbst überzeugte Automobilindustrie tut gut daran, ihre Hybris jetzt abzulegen. Sie ist weder unersetzlich noch unfehlbar – denn ihre Schuld in einem der größten Industrieskandale der Nachkriegszeit ist höchstrichterlich geklärt. Daraus muss die Branche lernen. So hart die aktuelle Corona-Krise die Autobauer auch trifft, ihnen steht nun nicht zu etwa nach Erleichterungen bei den CO2-Emissionszielen zu verlangen.

Wenn den Herstellern noch irgendetwas an ihrer Glaubwürdigkeit liegt, müssen sie jetzt demütig und mit voller Transparenz einen Neustart wagen. Auch dafür sollten Deutschlands Autofahrer dem Bundesgerichtshof dankbar sein.