Corona-Lockerungen in ThüringenRamelows Spiel mit dem Feuer
Die sogenannten Hygienedemonstranten mit ihren verqueren Thesen scheinen Bodo Ramelow gehörig zugesetzt haben - anders sei der Vorstoß von Thüringens Ministerpräsident kaum zu erklären, kommentiert Frank Capellan. Mit seinem Vorstoß erweise er den erfolgreichen Maßnahmen gegen das Virus einen Bärendienst.
by Von Frank CapellanCorona ist vorbei – dürfen wir jetzt unseren Kindern sagen. Jedenfalls hört sich das so an, wenn wir Bodo Ramelow folgen. Kein Abstand, keine Masken, weg mit den Verboten, wachsweiche Gebote werden es schon richten. So richtig falsch konnte Thüringens Ministerpräsident eigentlich nicht verstanden werden, seine Ansage vom Wochenende war recht eindeutig. Heute aber rudert der Mann von der Linkspartei kräftig zurück, nachdem er jede Menge Gegenwind erhalten hat.
Die Maskenpflicht im Nahverkehr soll bleiben, erklärt Ramelow und natürlich habe er doch nicht dazu geraten, sich den Mund-Nasen-Schutz aus dem Gesicht zu reißen und wildfremde Menschen zu küssen, das solle doch bitteschön nur in der eigenen Familie passieren. Trotzdem muss er sich fragen lassen, was ihn bei seinen übertriebenen Lockerungsübungen geritten hat?!
Die Bayern toben zu Recht
Die sogenannten Hygienedemonstranten mit ihren verqueren Thesen scheinen ihm in Thüringen gehörig zugesetzt haben. Anders ist sein Vorstoß kaum zu erklären, und er zeigt einmal mehr, wie falsch es ist, allzu sehr auf eine regional gesteuerte Bekämpfung der Pandemie zu setzen. Schon jetzt sieht es auf vielen Berliner Straßen wieder aus, als wäre nie etwas gewesen, Kontaktverbote werden vielfach nicht mehr eingehalten, das Abstandhalten gerät in Vergessenheit.
Wenn Ramelow nun den Eindruck erweckt, allein mit Freiwilligkeit weiterzukommen, erweist er allen Maßnahmen gegen das Virus einen Bärendienst. Die Bayern toben zu Recht, wenn die Regeln so unterschiedlich sind, wird die Akzeptanz in der Bevölkerung weiter schwinden.
Bartsch (Die Linke) zu Lockerungen: "Es hängt davon ab, wie die mündigen Bürger agieren"
Linken-Politiker Bartsch verteidigt die Pläne von Thüringens Ministerpräsident Ramelow. Wo es seit Wochen keine Coronainfektionen gebe, könnten Beschränkungen nicht aufrechterhalten werden, so Bartsch.
Fahrlässig ist es zudem, alles den lokalen Gesundheitsämtern überlassen zu wollen – die Bürger brauchen nachvollziehbare, weitgehend einheitliche Vorgaben, die nicht von Kreis zu Kreis verschieden sind.
Die Lage ist weiter prekär
Zwar ist die Zahl der Infizierten in Thüringen mit 219 erfreulich niedrig, doch 10 Erkrankte auf 100.000 Einwohner ist eine Größenordnung, die von Brandenburg, Sachsen und Mecklenburg Vorpommern mit lediglich zwei Erkrankten deutlich unterboten wird, sollte also auch dort vorschnell jedes Verbot fallen gelassen werden?
Nein, denn auch in der nicht weit entfernten Hauptstadt schien die Lage unter Kontrolle, jetzt aber ist die selbst geschaffene Corona-Ampel auf Rot gesprungen, weil sich der Reproduktionsfaktor, also der Indikator, wie viele Menschen von einem Infizierten durchschnittlich angesteckt werden, auf 1,37 erhöht hat.
Plädoyer gegen "populistischen Vorstöße"
Deutschland aber wird gerade erst wieder mobil, langsam läuft der Reiseverkehr wieder an, zu Recht mahnt die Kanzlerin deshalb zur Vorsicht, Abstands- und Hygieneregeln, sowie Kontakteinschränkungen sollten verpflichtend weiter gelten. Leider nur ist dem Bund die halbwegs einheitliche Pandemiebekämpfung längst aus den Händen geglitten.
Die jetzt noch geltenden Beschränkungen sind wahrlich gut zu ertragen, da sollten die Ministerpräsidenten alles daran setzen , die Erfolge der vergangenen Wochen nicht durch populistische Vorstöße einzelner Kollegen aufs Spiel zu setzen.
Der massenhafte Corona-Ausbruch in einer Kirche und die Infektionen in einem Restaurant, in dem offenbar die Regeln nicht eingehalten wurden, hat doch gerade erst gezeigt, dass der Spuk leider eben noch nicht vorbei ist.
Frank Capellan, Hauptstadtstudio (Deutschlandradio / Bettina Straub )Frank Capellan, geboren 1965 im Rheinland, studierte Publizistik, Neuere Geschichte und Politikwissenschaften, Promotion an der Universität Münster. Nach einer Ausbildung bei der Westdeutschen Zeitung folgte ein Volontariat beim Deutschlandfunk, dem er bis heute treu geblieben ist. Zunächst Moderator der Zeitfunk-Sendungen, unter anderem der Informationen am Morgen; seit vielen Jahren als Korrespondent im Hauptstadtstudio tätig, dort u. a. zuständig für die SPD und Familienpolitik.