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Dominic Cummings, Chefberater des britischen Premiers Boris Johnson, rechtfertigt sich: Er hatte die strenge Ausgangssperre gebrochen und war privat durchs Land gereist. (pa/Jonathan Brady/AP Images)

Britischer Regierungsberater Dominic CummingsDer Mephisto der britischen Politik

Dass Boris Johnsons Chefberater trotz strenger Ausgangssperre durch Großbritannien gereist ist, habe ein unvergleichliches Theater ausgelöst, kommentiert Friedbert Meurer. Nun liege es an der britischen Öffentlichkeit, ob sie Dominic Cummings seine Rechtfertigung abnehme – oder sie für eine weitere Volte des großen Verführers halte.

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Was für ein Schauspiel! Der Chefberater des Premierministers steht im Mittelpunkt des medialen Interesses, wie es das in Großbritannien so noch nie gegeben hat. Aber Dominic Cummings ist im politischen Betrieb Großbritanniens eine so schillernde Persönlichkeit, dass sein Auftritt jede Pressekonferenz eines Ministers in den Schatten stellt, ja sogar die seines Chefs Boris Johnson von gestern. Cummings ist der Mephisto der britischen Politik.

Die riskante Idee mit der Herdenimmunität

Aus Sicht seiner Gegner hat er das Land verführt, zum Brexit angestiftet, mit Lügen, Versprechungen und PR-Tricks jeglicher Art. Die riskante Idee mit der Herdenimmunität gegen Corona soll er ersonnen haben – was Cummings heute bestritt. Es gibt sogar einen Spielfilm über Dominic Cummings, der im öffentlich-rechtlichen Fernsehen lief. Genial oder diabolisch, visionär oder rücksichtslos – das sind die zwei Beschreibungen für Dominic Cummings, dazwischen gibt es nichts.

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Übersicht zum Thema Coronavirus (Imago/Rob Engelaar/Hollandse Hoogte)

Der größte Spin Doctor aller Zeiten

Und dann das Setting heute! Cummings, das Mastermind des Brexits, der größte Spin Doctor aller Zeiten, sitzt im blütenweißen Hemd ohne Krawatte hinter einem Tisch im Garten von Downing Street. Minutenlang erläutert er im Detail, warum er den Lockdown verletzt hat. In welch extremer Notlage er sich dabei befunden habe.

Ein Mephisto im Büßergewand? Nicht ganz. Dominic Cummings entschuldigt sich nicht, er verteidigt seine Fahrt mit der Familie 400 Kilometer weit nach Nordengland. Er und seine Frau hätten Symptome von Covid gezeigt, sie mussten ihr vierjähriges Kind in Sicherheit bringen. Es liegt jetzt an der britischen Öffentlichkeit, ob sie Cummings seinen menschlich durchaus bewegenden Auftritt abnimmt – oder ihn für eine weitere Volte des großen Verführers hält.

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(Getty Images / Chris J Ratcliffe)

Corona-Lockdown in Großbritannien - Wie die Katastrophe das Land verändert
Corona hat die Briten härter als alle anderen in Europa getroffen. Die strikten Ausgangsbeschränkungen bleiben weitgehend erhalten und auch der Streit darüber, was schiefgelaufen ist.

Ein gespaltenes Großbritannien

Das unvergleichliche Theater um einen politischen Berater zeigt aber darüber hinaus, wie gespalten das Land wieder geworden ist. Vorbei sind die Wochen zu Beginn des Lockdowns, als alle Britinnen und Briten die Zerwürfnisse der Vergangenheit und des Brexits für kurze Zeit hinter sich ließen. Das ist vorbei, jetzt wird wieder abgerechnet.

Die Opposition will Cummings stürzen sehen, um Boris Johnson zu treffen. Ob Briten für die Öffnung der Schulen sind, hängt zum Beispiel damit zusammen, ob sie Tory oder Labour wählen. Remainer sind eher dafür, den Lockdown aufrechtzuerhalten – Brexiteers neigen dazu, ihn stückweise aufzuheben.

Bleibt Cummings Chefberater oder nicht

Die alten Gräben in der britischen Gesellschaft werden wieder sichtbar. Was das für die Bewältigung der monumentalen Covid-Krise bedeutet, das ist eigentlich die entscheidende Frage. Ob Dominic Cummings dagegen Chefberater in 10 Downing Street bleibt oder nicht, ist im Vergleich dazu vielleicht dann doch nicht ganz so wichtig.

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Friedbert Meurer (Deutschlandradio / Bettina Fürst-Fastré)Friedbert Meurer, Jahrgang 1959, studierte Germanistik und Geschichte in Mainz und Bielefeld mit dem Abschluss Lehramt für Gymnasien. 1986/87 gehörte er zum Gründungsteam des Privatradios RPR in Koblenz und volontierte dann 1988/89 beim Deutschlandfunk. 1995 bis 1999 arbeitete Meurer als Parlamentsreporter in Bonn mit dem Schwerpunkt Außenpolitik. Bis 2015 war er Ressortleiter Zeitfunk und moderierte u. a. "Informationen am Morgen". Seit August 2015 ist er Korrespondent von Deutschlandradio in London.