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EU-Flagge und Unionjack im EU-Ratsgebäude in Brüssel: Der fehlende Beitrag aus London ist nur einer von vilen Streitpunkten beim Ringen um den EU-Haushalt. (Symbolfoto)Quelle: imago images
Ringen um EU-Haushalt  

Wer ersetzt Großbritanniens 75 Milliarden Euro?

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Eine 1 mit zwölf Nullen: Diesen Euro-Betrag wird der EU-Haushalt für die kommenden sieben Jahre mindestens enthalten. Doch der Kampf um die Kasse reicht weit über die reine Summe hinaus.

Die Nacht der langen Zahlen rückt näher. Der Streit ums Geld in der EU-Kasse geht in eine entscheidende Woche. Die 27 EU-Staaten müssen sich einigen, wer wie viel einzahlen soll und wofür man die Mittel verwenden will – sonst versiegt im kommenden Jahr unweigerlich die Finanzierung wichtiger Vorhaben. "Die Verhandlungen sind sehr komplex und kompliziert", hat EU-Ratspräsident Charles Michel schon vor Wochen gesagt. Und nachdem er mit allen Staats- und Regierungschefs einzeln über eine mögliche Lösung verhandelt hat, sieht die Sache nicht wirklich einfacher aus.

Deshalb erwarten Diplomaten für die Beratungen der EU-Außenminister am Montag keinen Kompromiss zum EU-Haushalt der Jahre 2021 bis 2027 – und für den EU-Gipfel, der am Donnerstag beginnt, auch kaum. Denn da stoßen die Regierungschefs der vier sparsamen Länder Schweden, Dänemark, Österreich und Niederlande auf die "Freunde der Kohäsion". Das ist eine größere Gruppe ärmerer Länder, denen gut gefüllte Struktur- und Kohäsionsfonds wichtig sind, weil daraus viel Geld in wirtschaftsschwache Regionen fließt. Deutschland will mehr für die Klimapolitik und für die Forschung ausgeben, dringt aber vor allem auf eine gerechte Lastenverteilung.

Brexit dürfte Finanzlücke von 60 bis 75 Milliarden Euro reißen

Die Lasten sind gewachsen, weil die Briten aus der EU ausgetreten sind und nicht mehr in die gemeinsame Kasse einzahlen. Auf 60 bis 75 Milliarden Euro wird die Brexit-Lücke im Mehrjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027 geschätzt. Gemäß der bisherigen Beitragsberechnung müssten vor allem die sparsamen vier und Deutschland dieses Loch füllen – deshalb verlangen sie einen Rabatt.

Kompliziert sind die Verhandlungen, weil der Streit zum einen um das Volumen des Haushalts und zum anderen um die Verwendung der Mittel geht. Die sparsamen Vier wollen nur 1,0 Prozent der Wirtschaftsleistung in die EU-Kasse einzahlen. Die EU-Kommission hält 1,11 Prozent für angemessen. Das Europaparlament fordert 1,3 Prozent. Weil 0,001 Prozent in dieser Rechnung bereits einer Milliarde Euro entsprechen, kommt einiges zusammen: Für die sieben Jahre bis 2027 sind es mehr als eine Billion Euro – eine 1 mit zwölf Nullen.

Michel will Agrar- und Strukturausgaben kürzen

Wie man da auf einen Nenner kommen kann? "1,0 heißt ja nicht 1,00", bemerkt ein feinsinniger EU-Diplomat. Ratspräsident Michel ließ am Freitag die Katze aus dem Sack: 1,074 Prozent stehen in seinem Vorschlag – kombiniert mit einer Mittelverteilung, die einigen Ländern kaum gefallen wird. "Der Rahmen ist zu hoch, die Modernisierung zu gering", meinte ein Diplomat eines kleineren Mitgliedstaates unmittelbar nach der Präsentation.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Anfang Februar erklärt, die deutsche Zustimmung hänge "auch sehr davon ab, wofür das Geld ausgegeben wird: Wird es für Forschung, für Zukunft ausgegeben, wie sieht die Landwirtschaftspolitik aus?". Michels Vorschlag sieht für Forschung, Digitalisierung, Grenzschutz und Migration sowie Klimaziele mehr Ausgaben vor. Für die traditionell größten Ausgabenblöcke der Agrar- und Strukturpolitik ist weniger eingeplant, was einige Empfängerländer wurmen wird.

Diplomat rechnet nicht mit Einigung beim EU-Sondergipfel

"Das ist kein großer Wurf", sagte ein EU-Diplomat in Brüssel zu Michels Vorschlägen. Man sei damit keinen Schritt weiter gekommen, kritisiert ein anderer Diplomat und sagte voraus, es werde auf dieser Basis mit Sicherheit keine Einigung beim Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs nächste Woche geben.

Die fleißigen Brüsseler Beamten, die in der Nacht zum Freitag Michels neuen Kompromissvorschlag ausbaldowert haben, sehen das naturgemäß anders. Ihre "Nego-Box", wie die Verhandlungsgrundlage im Fachjargon heißt, ist eine Art Grabbelkiste auf hohem Niveau: Jeder soll etwas darin finden, das er zufrieden zu Hause vorzeigen kann. Die Experten von Ratspräsident Michel behaupten, das sei gelungen.

EU-Parlament schlägt Plastiksteuer vor

Tatsächlich müssen sich die EU-Staaten irgendwann einigen – vielleicht in einer langen Gipfelnacht von Donnerstag auf Freitag, vielleicht später. Und dann geht gleich die nächste Phase los: "Das Europäische Parlament entscheidet auf gleicher Augenhöhe mit dem Rat", verkündete die Fraktionschefin der Sozialdemokraten, Iratxe García Pérez, dieser Tage selbstbewusst.

Das Parlament hat Forderungen über ein Volumen von 1,3 Prozent – oder 1.324.000.000.000 Euro – hinaus: Es möchte der EU Eigenmittel verschaffen, etwa über eine Plastiksteuer. Und es will verhindern, dass Länder Geld von der EU bekommen, die fortgesetzt gegen Ziele und Rechtsgrundlagen der Gemeinschaft verstoßen. Ein sogenannter Rechtsstaatlichkeitsmechanismus könnte dafür sorgen – aber nur, wenn betroffene Staaten kein Veto einlegen können. Beides hat Michel vorausschauend in seinen neuen Vorschlag aufgenommen.

Plastiksteuer könnte 14 bis 15 Milliarden Euro bringen

Den Vorschlag einer Plastiksteuer hat Michel inzwischen aufgegriffen: Ein am Freitag veröffentlichtes, 53 Seiten langes Papier enthält ganz am Ende einen Passus zu neuen Eigenmitteln der EU. Dort heißt es, dass pro Kilogramm unrecyceltem Verpackungskunststoff 80 Cent fällig sein sollen. Erste Reaktionen aus den Mitgliedstaaten waren skeptisch.

Mit der Plastiksteuer und möglichen Überschüssen aus dem europäischen Emissionshandel sollen für die siebenjährige Periode 14 bis 15 Milliarden Euro zusammenkommen, hieß es aus dem Rat in Brüssel.

Verwendete Quellen: