Nach Riss von Kalb: Verstörtes Muttertier musste notgeschlachtet werden
Es könnte ein Wolfsangriff gewesen sein
by Christopher ZiermannIn Rotenburg hat vermutlich ein Wolf ein seltenes Kalb gerissen. Das Muttertier war danach so verstört, dass es notgeschlachtet werden musste.
- Seltenes Kalb in Rotenburg gerissen
- Möglicherweise ist ein Wolf für den Riss verantwortlich
- DNA-Tests sollen den Wolfsangriff belegen
- Muttertier musste notgeschlachtet werden
Update, 13.02.2020, 07.06 Uhr: Das in Rotenburg am Wochenende gerissene Kalb gehört der äußerst seltenen Rasse Rotes Höhenvieh an. Erst eine DNA-Analyse wird Aufschluss darüber bringen, ob der Verursacher wirklich, wie von Tierhalter Manuel Stück vermutet, ein Wolf war – doch schon jetzt macht der Fall erneut ein Dilemma der Rückkehr des Wolfes nach Hessen deutlich: Das Raubtier ist streng geschützt, das Gleiche gilt aber für zahlreiche vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen, deren Halter fast alle ohne nennenswerten Profit arbeiten und die nun – gelinde gesagt – verunsichert sind.
Wolf reißt offenbar Kalb in Rotenburg: Es gehörte seltener Rasse an
„Das Rote Höhenvieh ist sehr widerstandsfähig, die Tiere stehen das ganze Jahr über bei jedem Wetter auf der Weide. Außerdem handelt es sich um ein Dreinutzungsrind“, sagt Manuel Stück. Das heißt: Die Tiere liefern Fleisch und Milch, können aber auch zum Pflügen und Ziehen von Wagen genutzt werden. Damit waren Stücks auch schon mal Teil des Festumzugs beim Hessentag. Weil Kühe als Zugtiere grundsätzlich aber ausgedient haben, war die Rasse Anfang der 80er-Jahre so gut wie ausgestorben. Mittlerweile gibt es wieder 600 Tiere – alleine 30 davon gehören ihm, sagt Manuel Stück.
Die Rasse wird auch mithilfe von Fördergeld vor dem Aussterben bewahrt. Doch dieses Fördergeld hat Stück, der mit Bruder und Vater im Nebenerwerb einen Pensionspferdehof betreibt, für das laufende Jahr nicht mehr beantragt. „Wenn man das Fördergeld in Anspruch nimmt, verpflichtet man sich, die Rasse fünf Jahre zu halten. Diese Verpflichtung wollte ich nicht mehr eingehen, weil mir das Risiko von Wolfsangriffen zu groß ist“, sagt Stück. Die Entscheidung traf er schon mehrere Monate vor dem Tod des Kalbs, dass wohl von einem Wolf gerissen wurde. Bisher habe die Haltung der Rinder eine schwarze Null gebracht. Ohne den Zuschuss ist es ein Hobby, bei dem Stück drauflegt, sagt er.
Wolf reißt Kalb in Rotenburg: Mutter des Kalbs musste notgeschlachtet werden
Das Kalb fand er nach Hinweisen einer Spaziergängerin am Samstagmorgen außerhalb der Weide. Es war am Bauch und am Hinterteil angefressen, der Schwanz abgebissen. Einen Tötungsbiss gab es nicht – am Kalb wurde also bei lebendigem Leib gefressen, so Stück. Auch wenn es noch nicht erwiesen ist, ist er sich sicher, dass nur ein Wolf das vorher kerngesunde Kalb so zurichten konnte.
Außerdem wurden am Stacheldrahtzaun graue Haarbüschel gefunden, „die typische Wolfsfarbe“, meint Stück – vom Fuchs jedenfalls könnten sie nicht stammen. Die Mutterkuh hat den Angreifer offenbar verjagt. Auch sie fand Stück außerhalb der Weide, ein paar Meter vom Kadaver des Kalbs entfernt. „Es hat den ganzen Tag gedauert, sie wieder auf die Weide zu bekommen. Sie war völlig verstört und verwirrt. Es ist uns leider nichts anders übrig geblieben, als sie notzuschlachten.“
Wolf als Verursacher des Kalbsrisses muss erst nachgewiesen werden - Tierhalter aus Rotenburg will weiter machen
Die Tiere sind für den 24-Jährigen keine gewöhnlichen Nutztiere – er hat ihnen Namen gegeben, Fleisch und Milch werden nicht vermarktet. Stück trägt neben dem Erhalt der Rasse auch zur Landschaftspflege bei. Ein Großteil der rund 30 Hektar großen Weideflächen liegt auf steilen Hängen, die mit landwirtschaftlichen Maschinen nicht bearbeitet werden können. Manuel Stück will vorerst weitermachen – auch wenn der Wolf als Verursacher des Kalbsrisses nachgewiesen wird. Er sagt aber auch: „Beim nächsten Riss ist Schluss.“
Er ist frustriert, weil er erst beim Besuch des Rissgutachters am Samstag erfuhr, dass im direkten Umfeld in den vergangenen Wochen mehrere Wildtiere gerissen wurden. „Und wir als Weidetierhalter wurden nicht informiert.“ Der Rissgutachter bestätigt auf Nachfrage, dass Kadaver gefunden worden seien. Eine DNA-Analyse wurde aber nicht in Auftrag gegeben, weil die getöteten Tiere dazu bereits zu lange der Witterung ausgesetzt waren – also kann auch nicht zweifelsfrei geklärt werden, ob wirklich ein Wolf verantwortlich war.
Wolfsschutz kontra Artenschutz: Wie kann man vor dem Wolf schützen?
Der Schutz von Wolf und Nutztier muss auch an anderen Orten in der Gegend in Einklang gebracht werden. Ökologisch wertvolle Flächen wie der Eschkopf bei Rockensüß, der einer Nabu-Stiftung gehört, und die Doline bei Rockensüß, für die die Naturschutzbehörde beim Landkreis verantwortlich ist, können nur durch Beweidung offengehalten werden.
Sonst würden sie verbuschen – wertvolle Arten wie Orchideen würden dabei verloren gehen. Um beide Flächen hat sich bisher mit Anton Göbel aus Spangenberg-Herlefeld einer der wenigen Berufsschäfer der Region gekümmert. Das möchte er nun nicht mehr machen, weil er der Meinung ist, dass seine Schafe dort nicht wirksam gegen Wolfsübergriffe geschützt werden können. Das hat er im Gespräch mit unserer Zeitung bereits im Dezember gesagt.
Nabu und der Landkreis Hersfeld-Rotenburg sind derzeit in Gesprächen mit Göbel, wie man die Flächen doch wirksam schützen könnte. „Es geht um einen höheren Zaun und die zusätzliche Arbeitszeit, die dadurch entsteht. Wer sich wie beteiligt und wie die Kosten sind, ist noch nicht klar – aber wir wollen Herrn Göbel auf jeden Fall unterstützen“, sagt Dina Schmidt von der Nabu-Stiftung Hessisches Naturerbe.
Rotes Höhenvieh in Rotenburg getötet: Hat ein Wolf das Kalb gerissen?
Sie betont, dass das EU-Recht über die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie den EU-Mitgliedsstaaten vorschreibt, dass solche für die Artenzusammensetzung wichtigen Flächen, zum Beispiel Kalkmagerrasen, erhalten werden. Der Nabu bezahlt Schäfer wie Göbel für ihre Leistung und plant sogar, weitere Flächen anzukaufen, damit die Schäfer besser von einem Ort zum nächsten ziehen können.
Erstmeldung, 11.02,2020, 10.32 Uhr: Rotenburg – Ein Kalb der seltenen Rasse Rotes Höhenvieh ist in der Nacht von Freitag (07.02.2020) auf Samstag (08.02.2020) nur wenige Meter entfernt von Wohnhäusern in Atzelrode einem Stadtteil von Rotenburg an der Fulda (Hessen), mutmaßlich von einem Wolf, gerissen worden.
Ein ehrenamtlicher Rissgutachter des Landes Hessen nahm vor Ort Genproben. Deren Auswertung soll nun zeigen, ob ein Wolf für den Riss verantwortlich ist. Laut hessenschau.de wurde dem Kalb der Schwanz abgebissen. Auch am Bauch wies das Tier Bissspuren auf. Bestätigt sei der Fall von offizieller Seite allerdings noch nicht.
Wolf: Kalb in Rotenburg gerissen - Weitere Sichtungen in Hessen
Rund 750 Meter entfernt vom Fundort in Rotenburg gibt es eine Außenstelle der städtischen Kita Braach, die laut Bürgermeister Christian Grunwald aber derzeit nicht genutzt wird. Eigentlich war nächste Woche eine Waldwoche geplant, noch ist aber unklar, ob die Sturmschäden das zulassen.
Über mögliche Konsequenzen vom Wolf in der Gegend wolle man sich konstruktiv mit der Elternvertretung austauschen. Nachweise für vom Wolf gerissene Kühe oder Kälber hat es in Hessen bislang nur im Vogelsberg gegeben.
Zuletzt wurde in Frankfurt (Hessen) ein Wolf bei einem Unfall getötet. Obwohl der Gentest noch nicht beendet ist, sind sich Experten sicher, dass es sich bei dem Tier um einen Wolf handelt.
Wolf in Rotenburg? Wieso ist die gerissene Rasse so besonders?
Das Kalb, das vermutlich von dem Wolf gerissen wurde, gehört zu der Rasse des Rote Höhen Viehs. Diese Tiere wurden seit den 1930er Jahren kontinuierlich weniger. Zur Leistungssteigerung wurden die seltenen Rind mit anderen Rassen gekreuzt. Der letzte reinrassige Zuchtbulle wurde bis Mitte der 1960er Jahre eingesetzt. Seit den 1980er haben sich vor allem Vereine dem Erhalt der seltenen Rinderrassen gewidmet.
Da die Populationsgröße der einzelnen Rinderrassen zu klein zum Erhalt der einzelnen Rassen war, wurde die 7 verbleibenden Rassen unter der Bezeichnung "Rotes Höhenvieh" zusammengeführt. Der Bestand der "Gefährdeten Nutztierrasse" zählt mittlerweile wieder einen Bestand von über 600 Tieren.
Der Hauptnutzen der Tiere liegt in sowohl in der Milch, als auch in der Fleischgewinnung. Laut dem Verein zur Erhaltung und Förderung des Roten Höhenviehs e.V. ist das Rote Höhenvieh in Hessen gut aufgestellt.
Von Christopher Ziermann und Lucas Maier
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