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Anna Tröscher forscht an den vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Immun- und Nervensystem. (c) Katharina F.-Roßboth

Nervenzellen im Ungleichgewicht

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Autoimmunreaktionen im menschlichen Gehirn können epileptische Anfälle auslösen.
Die Biotechnologin Anna Tröscher erforscht die dahinter liegenden Mechanismen.

Dem Fernsehen gesteht man ja eher selten eine positive Wirkung zu. Auf Anna Tröscher hatte die Serie „Grey's Anatomy“ rund um die Ärztin Meredith Grey und den Neurochirurgen Derek Shepherd allerdings einen Effekt, über den sie heute froh ist. „Es klingt vielleicht seltsam, aber diese Filmcharaktere haben mein Interesse am Gehirn geweckt.“ Tröscher ist Biotechnologin und forscht am Zentrum für Hirnforschung der Med-Uni-Wien und am Neuromed-Campus des Kepler-Universität-Klinikums in Linz zu Epilepsie.

Natürlich fand die 29-Jährige auch das Fach Biologie von Beginn an faszinierend, und eine gehörige Portion Forschergeist hat sie wohl von Haus aus mitgebracht. „Im Kindergarten habe ich einmal ein Loch in den Garten gegraben, um zu schauen, was hinter der Erdkruste ist“, erinnert sie sich lächelnd an eine ihrem Wissensdrang geschuldeten frühen „Untersuchungen“.

Autoimmune Hirnentzündungen

„Zu den prägenden Einflüssen für meinen beruflichen Weg zählt aber auch eine ernste Sache.“ Im letzten Schuljahr entwickelte eine Freundin plötzlich Epilepsie. „Ich vertiefte mich also schon damals in die Erkrankung und schrieb eine Maturaarbeit darüber.“ Danach studierte sie Medizinische und Pharmazeutische Biotechnologie an der IMC FH Krems und machte ihren Master in Biomedizin und Biotechnologie an der Vet-Med-Uni Wien. Ihre Leidenschaft für die medizinische Grundlagenforschung entdeckte sie bei einem Studienaufenthalt in Australien im Zuge eines Projekts zu entzündlichen Abläufen bei Parkinson.

Der Kreis zum Maturathema schloss sich dann durch Zufall: „Ich bekam eine Ph.D.-Stelle an der Med-Uni-Wien, und diese Arbeit drehte sich um eine Form von Epilepsie, der autoimmune Entzündungsprozesse zugrunde liegen.“ Bei einer Fehlreaktion des Immunsystems attackiert der Körper eigene Strukturen. „Bis vor einigen Jahren dachte man aber, dass das Gehirn vom Rest des Körpers abgeschottet ist und wenig mit dem Immunsystem zu tun hat“, erklärt Tröscher. „Dann fand man heraus, dass es zwischen den beiden ein hochkomplexes Zusammenspiel gibt.“

Entgleise dieses und werde das feine Gleichgewicht der unzähligen Nervenzellen im Gehirn gestört, könne dies Entzündungen auslösen. Mit Leiden wie multipler Sklerose oder eben auch autoimmunologisch bedingten epileptischen Krampfanfällen als Folge. Meist ist Epilepsie gut medikamentös behandelbar. „Bei einem Drittel der Patienten wirken die Präparate allerdings nicht oder kaum“, so Tröscher. „Und bei einigen davon liegt das wiederum daran, dass die Immunabwehr im Gehirn überaktiviert ist.“ In den vergangenen Jahren habe man immer mehr dieser seltenen Autoimmun-Epilepsien entdeckt.

Dazu gehört auch die Rasmussen-Enzephalitis, der sich Tröscher in ihrem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Ph.D.-Projekt gewidmet hat. Das ist eine schwere, bislang medikamentös nicht behandelbare Entzündung in nur einer Gehirnhälfte, die zum Absterben von Nervenzellen und heftigen epileptischen Anfällen führt. Sie kommt hauptsächlich bei Kindern vor. „Die einzige Option ist eine operative Trennung der beiden Gehirnhälften.“

Tröscher konnte zeigen, dass die Entstehung dieser Krankheit anders verläuft als bisher angenommen, was das Nicht-Ansprechen der Medikamente erklärte. Dafür wurde sie im Dezember mit dem Ernst-Niedermeyer-Preis der Österreichischen Gesellschaft für Epileptologie ausgezeichnet. „Die Anerkennung der klinischen Bedeutung meiner Arbeit empfinde ich als große Ehre. Denn sonst bekommen diesen Preis ja vor allem Mediziner.“ Den Ph.D. seit Juni in der Tasche, pendelt Tröscher nun zwischen ihren beiden Standorten in Wien und Linz, wo sie an verschiedenen Projekten beteiligt ist. Eines davon, an der Med-Uni, befasst sich mit einer Epilepsie, bei der bestimmte Antikörper durch ein Ungleichgewicht aktivierender und hemmender Nervenzellen eigenes Gewebe angreifen. Die Forscherin, die privat Wassersport und Schlagzeugspielen liebt, verwendet dabei die von ihr selbst zuvor etablierten Methoden.