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dpa/Mary Turner/POOL Getty/AP/dpa Ernste Miene: Premierminister Boris Johnson auf dem Weg zu einer Pressekonferenz.

Analyse unseres Partner-Portals "Economist": Johnsons Nachlässigkeit in der Atompolitik könnte ihm bald vor die Füße fallen

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Der folgende Inhalt wird veröffentlicht von The Economist Er wurde von der FOCUS-Online-Redaktion nicht geprüft oder bearbeitet.*

Die Unterhaltskosten für die heruntergekommenen Anlagen des britischen Atomwaffenprogramms steigen unaufhörlich an. Und ein Ende der Instandsetzungen scheint in weiter Ferne.

Zu jedem Zeitpunkt der vergangenen fünfzig Jahre befand sich mindestens ein mit atomaren Sprengköpfen ausgestattetes britisches U-Boot irgendwo in den Weltmeeren auf Patrouille. Das rastlose Umherstreifen nuklear bewaffneter U-Booten wird in Fachkreisen als "dauerhaftes seebasiertes Abschreckungsmittel" (Continuous At-Sea Deterrent – CASD) bezeichnet. Im britischen Fall ist diese Art der nuklearen Abschreckung stark abhängig von einem weiten Netzwerk von über das britische Festland verstreuten atomaren Anlagen. Der Nationale Rechnungshof Großbritanniens (NAO) legte allerdings in einem kürzlich veröffentlichten Bericht nahe, dass ebendieser atomare Komplex sich inzwischen in einer deutlichen Krise befände.

Bauprojekte wurden in den Sand gesetzt

Der NAO überprüfte unter anderem drei größere Bauprojekte des Verteidigungsministeriums, so etwa eine neue Fertigungsanlage, in der zukünftig Atom-U-Boote des Types "Dreadnought" gebaut werden sollen. Die sollen ab 2030 die britischen Nuklearsprengköpfe transportieren. Eine zweite Anlage soll der Herstellung von nuklearen Reaktorkernen für die neuen U-Boote dienen. Und in einer dritten Fertigungsanlage mit dem Beinamen MENSA sollen nukleare Sprengköpfe zukünftig sowohl neu hergestellt, als auch fachgerecht wieder auseinandergenommen werden können.

Alle dieser Bauprojekte wurden von ihren Bauträgern allerdings bereits jetzt vollständig in den Sand gesetzt. Die Kosten für die drei Projekte stiegen bereits um über 1,35 Milliarden britische Pfund an. Dies beträgt mehr als das Zweifache der ursprünglich veranschlagten Kosten. Die Hälfte dieses rasanten Kostenanstiegs lässt sich auf mehrere voreilige Baustarts zurückführen.

Schlecht ausgehandelte Verträge führten zudem auch dazu, dass am Ende die britische Regierung statt ihrer Auftragnehmer auf den Zusatzkosten der Bauprojekte sitzenblieb. Und die Verspätung bei der Fertigstellung der "Mensa" getauften Fertigungsanlage war mit sechs Jahren so enorm, dass noch bis heute einige heruntergekommene Fertigungshallen aus den 1960er Jahren zur Fertigung neuer Sprengköpfe herangezogen werden müssen, lange nachdem diese eigentlich außer Betrieb hätten genommen werden müssen.

Plan einer Forschungsanlage wurde 2010 eingestellt - hohe Kosten wurden bereits verursacht

Der Bericht biete an und für sich bereits eine "trostlose Lektüre," meint Tom Plant, ein Experte der Denkfabrik Royal United Services Institute und ehemaliger Funktionär der britischen Regierungsbehörde AWE, die für den Bau und den Unterhalt des britischen Atomwaffenprogrammes verantwortlich ist. Doch in Wahrheit sei die Lage noch sehr viel schlimmer.

Bauvorhaben für zwei weitere, dringend benötigte Anlagen seien vollkommen verpfuscht worden. Die AWE sollte vor vier Jahren eigentlich den Bau einer weiteren, 634 Millionen Pfund teuren Anlage zur Bearbeitung von angereichertem Uran in die Wege leiten, doch das Projekt wurde vorerst auf Eis gelegt. Die alte, zu diesem Zweck verwendete Anlage war so stark in die Jahre gekommen, dass sie aus Sicherheitsgründen zwischen 2012 und 2015 bereits vollkommen geschlossen werden musste.

Ebenfalls problematisch gestaltet sich die Frage, wer genau in Zukunft für den Entwurf der neuen Atomsprengköpfe zuständig sein soll. Seit mehr als achtzehn Jahren weisen britische Atomwissenschaftler darauf hin, dass sie auf bessere Daten aus hydrodynamischen Experimenten angewiesen seien. Derartige Experimente modellieren die Hochdruck- und Schockwellen, die durch die Explosion von spaltbaren Materialien innerhalb eines nuklearen Sprengkopfes hervorgerufen werden.

Großbritannien führt bereits seit 1991 keine nuklearen Testexplosionen mehr durch und unterzeichnete im Jahre 1996 sogar ein internationales Abkommen, das die Ausführung dieser gänzlich unterbindet. Der Plan zum Bau einer weiteren Forschungsanlage, die es möglich gemacht hätte, solche Implosionen mithilfe von dreifachen Röntgenbildern abzulichten, wurde 2010 zwar eingestellt, verursachte zuvor allerdings bereits Planungskosten in Höhe von mehr als 120 Millionen britischen Pfund. Ein Labor mit gleichwertigen technischen Kapazitäten, das als Teil eines britisch-französischen Abkommens in Frankreich gebaut wird, soll frühestens 2022 fertiggestellt werden.

Atomwaffenarsenal könnte in den 2030er Jahren veraltet sein

All diese Probleme könnten sich ernsthaft auf den Status Großbritanniens als weltweite Atommacht auswirken. Das 200 Sprengköpfe starke Atomwaffenarsenal des Landes wird spätestens ab der zweiten Hälfte der 2030er Jahre stark veraltet sein. Um die Lebenszeit der bestehenden Atomwaffen zu verlängern oder neue Sprengköpfe zu bauen, bräuchte es neue Fertigungskapazitäten und -technologien in einem angemessenen Betriebszustand.

Wenn Verspätungen bei Bauvorhaben auch weiterhin vorkommen sollten oder die neu gebauten Anlagen eine unterdurchschnittliche Leistungsfähigkeit aufweisen sollten, dann stünde "der Fortbestand des britischen Nuklearwaffenprogramm in der Form, wie wir es heute kennen, zukünftig womöglich auf dem Spiel," warnt Tom Plant. "Unter Umständen könnte es etwa zu einer sicherheitsbedingten Schließung einer alternden, für das Programm zentralen Einrichtung kommen, oder zu einem Mangel an Forschungsdaten oder Bauteilen für den Entwurf oder die Herstellung neuer Sprengköpfe."

Dominic Cummings, einer der wichtigsten Berater von Premierminister Boris Johnson, führt bereits jetzt einen persönlichen Feldzug gegen heruntergekommene  Verteidigungsprojekte und aus dem Ruder gelaufene Ausgaben. Als nächstes könnte Cummings durchaus den heruntergekommenen Nuklearkomplex Großbritanniens ins Visier nehmen.

Dieser Artikel erschien in der Großbritannien-Rubrik der neuesten Printausgabe des "The Economist", unter der Überschrift "Botched nuclear projects put the future of Britain’s defences at risk” und wurde von Lukas Wahden aus dem Englischen übersetzt. 

Maischberger piesackt Ramelow dreimal mit selber Frage – der reagiert genervt

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