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dpa/Uncredited/Pool Turkish Presidency/AP/dpa Recep Tayyip Erdogan will ein Massaker in Nordsyrien abwenden.

Hunderttausende eingekesselte Syrer in Idlib: Massaker droht in Syrien: Wird jetzt ausgerechnet Erdogan zum Helden?

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Die nordwestliche syrische Provinz Idlib könnte zum Schauplatz einer humanitären Katastrophe werden. Hunderttausende Flüchtlinge sitzen dort in der Falle, während die Truppen von Diktator Assad weiter vorrücken; ein Massaker droht. Nun warnt ausgerechnet der türkische Präsident Erdogan seinem syrischen Gegenspieler: Keinen Schritt weiter! Was steckt hinter Erdogans Kurs?

„Wir werden ein zweites 2015 erleben“, sagte Innenminister Horst Seehofer (CSU) kürzlich gegenüber Bundestagsabgeordneten und warnte vor einer erneuten Flüchtlingswelle. Seine Befürchtungen begründet er mit den besorgniserregenden Geschehnissen in Nordsyrien.

Auge um Auge, Zahn um Zahn

Erst am Montag waren bei einem syrischen Angriff in der von beiden Seiten umkämpften Provinz Idlib im Nordwesten Syriens fünf türkische Soldaten getötet worden. Daraufhin hatte die Türkei einen Vergeltungsangriff auf syrische Truppen gestartet und dabei nach eigenen Aussagen mehr als hundert syrische Soldaten „neutralisiert“.

Am Dienstag wurde dann ein syrischer Armeehubschrauber in Idlib abgeschossen. Beide Piloten kamen ums Leben. Für den Abschuss macht Syrien die Türkei verantwortlich. Als Reaktion auf den Abschuss bombardierte die russische Luftwaffe als Partner des syrischen Machthabers Baschar Al-Assad dann einen Marktplatz in Idlib, wobei mehrere Menschen starben.

Aufgrund der russischen und syrischen Angriffe sind allein seit dieser Woche 100.000 Menschen auf der Flucht in Richtung türkische Grenze – und dann vielleicht Europa. Denn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat wiederholt gedroht, für die syrischen Flüchtlinge die nördliche Route über die Türkei nach Europa wieder zu öffnen.

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dpa/Uncredited/AP/dpa Zivilisten fliehen mit ihren Habseligkeiten aus dem umkämpften Idlib.

Erdogan als Retter?

Doch ausgerechnet Erdogan will sich nun als Retter der Syrer inszenieren. Vor einer Woche hatte er Assad und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ein Ultimatum gestellt: Bis Ende Februar soll der syrische Machthaber samt seiner Verbündeten den Rückzug aus Idlib antreten. Falls Damaskus dem nicht nachkommen sollte, kündigte der türkische Präsident an, dass die türkischen Streitkräfte „diese Sache eben selbst in die Hand nehmen“ und „auf dem Boden und in der Luft alles Nötige“ tun werden, um die syrischen Truppen aus Idlib zu verdrängen. Schließlich würde Assad „ständig Zivilisten angreifen, Massaker verüben und Blut vergießen“, so Erdogan weiter. Zudem hätten russische und syrische Truppen die Bevölkerung Idlibs an die türkische Grenze gezwungen und dort eingekesselt. Dadurch hätten sie eine humanitäre Katastrophe verursacht, die sich jeden Tag verschlimmern würde.
 

Für die betroffenen Menschen klingt Erdogan damit wie ein Retter. Doch offenbar verbirgt sich hinter seinen Aussagen vor allem Eigeninteresse. "Die Sicherheit der Türkei hat oberste Priorität", sagt der Konfliktforscher des British Army Center for Historical Analysis and Conflict Research Ziya Meral. Schließlich befindet sich Idlib in der sogenannten Deeskalationszone, in der die Türkei Anfang 2018 Observationspunkte eingerichtet hatte. Von dort aus sollte die mit Russland vereinbarte Waffenruhe beobachtet werden. Im April 2019 hatten Assad und Putin im Rahmen ihrer Offensive allerdings vier Observationspunkte überschritten. Dadurch droht die Deeskalationszone zu zerfallen. Dem versucht Erdogan nun entgegenzuwirken -  indem er das Ultimatum stellte.

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dpa-Grafik Die nordsyrische Provinz Idlib wird von russischen und syrischen Streitkräften umzingelt.

 

 

Die Absichten des türkischen Präsidenten

Erdogan hat im Norden von Syrien ein Ziel: Während er zu Beginn noch versuchte, einen Regierungswechsel in Syrien herbeizuführen, richten sich die Angriffe seiner in Nordsyrien stationierten Truppen mittlerweile gegen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten. Diese gefährden in Erdogans Augen die Sicherheit und Stabilität der Türkei. Folglich will Ankara vor allem ein potenziell autonomes Kurdengebiet an der türkischen Grenze zu Syrien vermeiden, das den Unabhängigkeitsdrang der türkischen Kurden beflügeln und die kurdische Terrororganisation PKK stärken könnte. Auch vor diesem Hintergrund drohte Erdogan am Dienstag: „Wenn den türkischen Soldaten auch nur der kleinste Schaden zugefügt wird, dann werden wir ab heute die Kräfte des Regimes überall angreifen“.

Putins Intentionen im Syrienkrieg

Doch wer sich mit Assad anlegt, legt sich auch unweigerlich mit seinem Verbündeten an: dem russischen Präsidenten Putin. Und dieser hat in Syrien deutlich mehr Erfahrung und Einfluss als Erdogan. Schließlich ist Russland seit 2015 aktiver Teilnehmer im Syrienkrieg. Unter dem Vorwand, die Terrororganisation „Islamischer Staat“ vernichten zu wollen, treffen Russlands Luftwaffenangriffe aber vor allem die Gegner Assads – ohne Rücksicht auf zivile Verluste. Mit Hilfe von Russlands Eingreifen ist es Assad gelungen, große Teile seines Landes zurückzuerobern. Die Vertreibungsstrategie, die sich bereits bei der Rückeroberung der nordsyrischen Stadt Aleppo für Assad bewährt hat, ist auch gerade in Idlib zu erkennen. Auch der russische Präsident verfolgt dabei eigene Ziele: Er will in der Region seinen Einfluss sichern.

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dpa Der russische Präsident Wladimir Putin hat im Syrienkrieg vor allem ein Ziel.

 

Sowohl Erdogan als auch Putin und Assad tragen dabei den Kampf um Vormachtstellung auf den Rücken hunderttausender Menschen in Syrien aus. Seit Beginn des Krieges im Jahre 2011 sind 400.000 Menschen in Syrien ums Leben gekommen. 6 Millionen Syrer, darunter 2,5 Millionen Kinder, haben auf der Suche nach einem sicheren Leben ihr Land verlassen. Allein seit Dezember 2019 sind wieder 690.000 Menschen auf der Flucht. Ihr Ziel: Europa.

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