Gastbeitrag von Frank Uekötter: Idee wurde bereits in der Vergangenheit verworfen: Neue Atomdebatte ist eine Farce
by FOCUS OnlineEnde 2022 wird das letzte Atomkraftwerk in Deutschland abgeschaltet. Das Kernkraftwerk Kalkar am Niederrhein ging dagegen nicht einmal in Betrieb. Es war geplant, dass der Reaktor mit Natrium gekühlt werden sollte. Große Sicherheitsbedenken stoppten die Inbetriebnahme. Doch nun wird genau an solch sogenannten Schnellen Brüter geforscht.
Vor ein paar Wochen hielt ich in Bielefeld einen Vortrag über die Geschichte der Atomkraft. In der Diskussion fragte mich ein Student: Was ist eigentlich ein Schneller Brüter?
In knapp drei Jahren macht das letzte deutsche Atomkraftwerk dicht. Da schwindet das Wissen, dass Atomkraft keine abstrakte Idee ist. Es gibt Reaktoren unterschiedlicher Größe und Bauart, und wenn man das weiß, wirkt die neuere Diskussion über die Kernenergie ganz anders.
Über den Autor
Frank Uekötter ist der Autor zahlreicher Veröffentlichungen zu umweltpolitischen Themen in Geschichte und Gegenwart. 2015 erschien sein Buch "Deutschland in Grün: Eine zwiespältige Erfolgsgeschichte" bei Vandenhoeck & Ruprecht. Er lehrt geisteswissenschaftliche Umweltforschung an der Universität Birmingham in Großbritannien.
Forschung in natriumgekühlten Reaktoren wird fortgeführt
In den achtziger Jahren wussten Studenten noch, dass im niederrheinischen Kalkar ein Schneller Brüter gebaut wurde. Vielen war auch bekannt, dass ein solcher Reaktor mit Natrium gekühlt wurde. Wer mal im Chemieunterricht gesehen hat, wie heftig Natrium mit Wasser reagiert, bekommt eine Ahnung davon, welche Risiken sich mit diesem Reaktortyp verbinden.
Trotzdem wird weiter an natriumgekühlten Reaktoren geforscht, so zum Beispiel bei der Firma GE Hitachi Nuclear Energy. Da könnte es naheliegen, einmal mehr die Diskussion über Risiken zu führen, die seit den siebziger Jahren im Mittelpunkt der nuklearen Kontroverse steht. Man kann es sich aber auch leicht machen und einfach mal rechnen. Was würde es eigentlich für die Stromerzeugung bedeuten, wenn Deutschland mit diesem Reaktortyp wieder in die Atomkraft einsteigt?
Es bräuchte 70 Anlagen um Isar 2 zu ersetzen
Die Leute von GE Hitachi verweisen auf einen natriumgekühlten Reaktor, der 30 Jahre lang in Idaho Falls im US-Bundesstaat Idaho Strom produzierte. Dabei handelte es sich jedoch um eine Anlage mit einer Nennleistung von 20 Megawatt. Zum Vergleich: Das Atomkraftwerk Isar 2, das Ende 2022 als eines der letzten deutschen Kernkraftwerke vom Netz geht, hat eine Kapazität von 1410 Megawatt. Um Isar 2 durch den Reaktor von Idaho Falls zu ersetzen, bräuchte es 70 Anlagen dieser Größe.
Der neue PRISM-Reaktor soll deshalb etwas größer sein. Aber mit der Größe wachsen auch die Probleme. Wenn mehr Hitze in der Enge eines Reaktordruckbehälters erzeugt wird, kann bei der Ableitung und Nutzung auch mehr schiefgehen. Es ist wie mit der Kerze auf dem Wohnzimmertisch. Davor hat niemand Angst, aber wenn man die Kerze durch eine Fackel ersetzt, haben die meisten Menschen doch ein paar Vorbehalte.
Es ist an der Zeit, Spuk zu beenden
Aber rechnen wir einmal durch, was mit diesem Reaktor eigentlich gewonnen würde. GE Hitachi verspricht eine Nennleistung von 311 Megawatt. Das ist noch nicht einmal ein Viertel der Leistung von Isar 2. Die Kapazität aller deutschen Kohlekraftwerke liegt derzeit bei etwa 44 000 Megawatt. Um die zu ersetzen, bräuchte man 140 PRISM-Reaktoren. So viele Reaktoren gibt es in keinem Land der Welt.
Für diese Reaktoren bräuchte man eine Menge Naturwissenschaftler, Ingenieure und Bedienmannschaften, die eine lange Ausbildung durchlaufen müssen. Darauf lassen sich Menschen nur ein, wenn sie wissen, dass sie gebraucht werden. Wie will man einem Reaktortechniker in Deutschland vermitteln, dass sein Arbeitsplatz sicher sein wird? Hinzu kommen die Verzögerungen und Kostenüberschreitungen, für die neue Kernkraftwerke notorisch sind.
Es gibt in der Geschichte der Atomkraft jede Menge schöner Konzepte. Aber vom Konzept bis zur Marktreife ist es ein langer Weg. Und gibt es in Deutschland einen Politiker, der 140 Atomreaktoren bauen möchte? Das wäre übrigens wiederum nur ein Fünftel der gesamten Netto-Nennleistung in Deutschland.
Es ist an der Zeit, den Spuk zu beenden. Atomkraft taugt in Deutschland für Kulturkampf-Diskussionen über deutsche Ängste. Die mag führen, wer will. Mit der Energieversorgung der Zukunft hat das aber nichts zu tun.
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