Workshops zur Digitalisierung

Wie Roboter Miki Schülern auf die Sprünge hilft

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Mit dem Roboter auf du und du

Fast alle Jugendlichen nutzen digitale Medien. Aber verstehen sie sie auch? Forscher aus Marburg wollen Schulen aus dem digitalen Tiefschlaf wecken - nicht mit Smartboards und Tabletklassen, sondern mit Robotern.

Die Hauptperson des Tages heißt Miki und tanzt auf dem Tisch. Die Neuntklässler der Georg-Büchner-Schule aus Stadtallendorf (Kreis Marburg-Biedenkopf) staunen über das 60 Zentimer große weiße Wesen, das sich surrend vor ihnen hin und her bewegt. Und obwohl der Roboter zum Rag-n-Bone-Man-Hit "Human" die Hüften schwingt und dabei durchaus Taktgefühl beweist, stellt Miki nach der kurzen Tanzeinlage klar: "Nein, ich bin ein Roboter und kein Mensch." Die Schüler sind beeindruckt. "Das hätte ich nicht erwartet", sagt die 15-jährige Hannah.

So klein und putzig Miki auch ist - Forscher von der Universität Marburg haben Großes vor mit dem humanoiden Roboter: Miki soll die Schulen in der Region aus dem digitalen Tiefschlaf wecken.

"Deutschland ist digital abgehängt"

Der Marburger Anglistik-Professor Jürgen Handke hat das Konzept des Robotikums mit seinem Team entwickelt. In einem speziell ausgestatteten Raum in der Marburger Adolf-Reichwein-Schule können Schülergruppen aller Altersstufen und Schulformen an einem dreitägigen Roboter-Crash-Kurs teilnehmen, auch aus anderen Schulen. Sie sollen dabei spielerisch an die Technologie herangeführt werden.

Handke gilt deutschlandweit als Koryphäe und Vorreiter im Hinblick auf Digitalisierung in der Lehre. Der Professor hat eine Art virtuellen Hörsaal entwickelt: Er stellt seine Vorlesungen auf Youtube, nutzt digitale Lernportale und experimentiert mit Robotern als Studienberater.

Nun will der "Robo-Prof" auch den Klassenraum erobern. Er ist überzeugt: "Was Digitalisierung angeht, ist unser Schulsystem im internationalen Vergleich völlig abgehängt." Handke beobachtet: Viele Jugendliche könnten zwar Medien bedienen, aber sie seien nicht wirklich medienkompetent. Seiner Meinung nach liege das nicht nur an der Ausstattung der Schulen, sondern häufig auch an den Lehrern. Viele würden sich weigern, moderne Technologien einzusetzen, oder seien schlichtweg nicht dafür ausgebildet.

Schüler sollen Grundprinzipien der Robotik lernen

Das belegen auch verschiedene Untersuchungen. Die 2019 veröffentlichte internationale Vergleichsstudie ICILS etwa offenbart, dass moderne Medien in deutschen Schulen nur in zehn Prozent der Fälle täglich im Unterricht vorkommen - und das meistens beim Frontalunterricht zur Präsentation. Der internationale Mittelwert liegt dagegen bei 50 Prozent. Laut der Studie haben drei Viertel der deutschen Schulen noch nicht mal ein stabiles WLAN. Und obwohl hierzulande fast alle Achtklässler ein Smartphone besitzen: Mit ihren digitalen Kompetenzen liegen sie im unteren Mittelfeld.

Das Ziel des Robotikums: Die Schüler sollen die Grundprinzipien von Robotertechnik und Programmierung verstehen und Freude daran entwickeln. Dabei solle vor allem ihr algorithmisches Denken geschult werden, sagt Projektkoordinatorin Sabrina Zeaiter vom Marburger Institut für Anglistik und Amerikanistik.

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"Das Ziel ist nicht, dass die Schüler hier nach drei Tagen als kleine Programmierer herausgehen", sagt sie. Aber sie könnten die Grundfunktionen und die logischen Strukturen von Programmen kennen lernen. Besonders Mädchen müssten in dieser Hinsicht gefördert werden, sagt Sabrina Zeaiter. Denn besonders bei ihnen hielten sich noch Vorurteile wie "Das ist viel zu schwer" oder "Dafür braucht man so viel Mathe".

Wie bedient man eine Maus?

Im Robotikum sitzen alle Schüler vor Laptops, auf den Gruppentischen stehen Miki und drei weitere Roboter. Die Kursleiter erklären zunächst, was die Unterschiede von androiden, humanoiden und geminoiden Robotern sind. Danach zeigen sie, wie die Schüler mit der Software Choregraphe Dialogue programmieren können.

Beim Eingeben von Befehlen und Festlegen von Regeln fällt immer wieder auf: Den medienerfahrenen Jugendlichen fehlen häufig Computer-Grundkenntnisse. Immer wieder müssen die Kursleiter erklären, was Tabulatoren sind oder wie man eckige Klammern setzt. Manchmal wüssten Schüler noch nicht einmal, wie man eine Maus bedient, erzählt Projektkoordinatorin Sabrina Zeitear.

Schüler bauen Bindung zu Robotern auf

Roboter wie Miki kosten rund 5.000 Euro. Sabrina Zeaiter räumt ein: Natürlich wäre es einfacher und günstiger, den Schülern einfach Tablets hinzulegen oder ihnen das Programmieren am Laptop beizubringen. Doch sie ist überzeugt: Die Roboter steigern die Motivation und den Lernerfolg, weil die Schüler Gefühle für die Geräte entwickeln. "Wir beobachten ausnahmslos, dass die Schüler irgendwann eine Bindung zu den Robotern aufbauen - mal sofort, mal dauert das etwas", berichtet Zeaiter.

Das zeige sich zum Beispiel darin, dass sie die Roboter vermenschlichen, erklärt Zeaiter: "Wenn ein technischer Fehler auftritt, dann sagen sie zum Beispiel: Der hat heute keine Lust, dem ist langweilig oder der hört mir nicht zu." Das sei völlig normal und im Lernprozess sogar erwiesenermaßen von Vorteil, erklärt Zeaiter: "Als soziale Wesen ist es für uns lernförderlich, wenn wir in sozialen Geflechten lernen."

Forscher erkennen deutliche Verbesserungen

Der Erfolg der Übung zeige sich häufig am Ende des Robotikums, erklärt Jürgen Handke. "Wir stellen nach drei Tagen deutliche Verbesserungen beim algorithmischen Denken fest." Das zeige sich an einer simplen Frage: Wie öffnet man eine Tür? Handke erläutert: "Am Anfang würden viele in etwa sagen: Ich drücke die Klinke runter und gehe durch. Nach dem Robotikum sehen die Antworten ganz anders aus: Ich hebe meinen Arm um 45 Grad, strecke die Hand aus, umfasse die Klinke und so weiter."

Etwa 250 Schülerinnen und Schüler haben bereits am Robotikum in Marburg teilgenommen. Noch gibt es das Robotikum nur an einer Schule. Doch die Forscher arbeiten bereits daran, einen weiteren Standort zu finden.

Sendung: hr4 für Mittelhessen, 14.02.2020, 15.30 Uhr