Sicherheit
Blick auf die Welt ohne Angst
by Marina KormbakiBundespräsident Steinmeier fordert zum Auftakt der Münchner Sicherheitskonferenz mehr deutsche Tatkraft.
Vor ihm sitzen Präsidenten, Regierungschefs und Minister aus aller Welt. Doch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wendet sich in seiner Eröffnungsrede zur Münchner Sicherheitskonferenz vor allem an seine Landsleute. „Viele Deutsche blicken heute irritiert, beunruhigt und besorgt auf die internationale Politik“, sagt er. Doch es sei an der Zeit, die Verzagtheit gegen Tatkraft, Mut und Zuversicht einzutauschen, um Deutschlands Verantwortung in Europa und der Welt gerecht zu werden. „Ist es uns wirklich ernst mit Europa? Dann darf in der Mitte Europas kein ängstliches Herz schlagen“, mahnt er. Es ist eine Ruckrede, die der Bundespräsident vor den Augen der Weltöffentlichkeit an die Deutschen richtet.
Rund 35 Staats- und Regierungschefs sowie fast 100 Außen- und Verteidigungsminister haben sich zur bis Sonntag dauernden Münchner Sicherheitskonferenz angekündigt. Die einstige „Wehrkundetagung“ ist inzwischen ein Großevent. Die 56. Ausgabe der Konferenz hat der Exbotschafter und Organisator Wolfgang Ischinger unter das grüblerische Motto „Westlessness“ gestellt – ein Fantasiewort, das sich mit „Ent-Westlichung“ übersetzen lässt. Das Ausmaß der Gefahren sei inakzeptabel, sagt Ischinger; das dürften die Mächtigsten nicht achselzuckend hinnehmen.
Auch Steinmeier beklagt den Verlust sicher geglaubter Errungenschaften – im Innern westlicher Gesellschaften, aber auch in ihrem Verhältnis zueinander. Der Umgang der Deutschen mit ihren europäischen Nachbarn besorgt ihn: „Deutschland ist zum ersten Mal in seiner Geschichte nur noch von Freunden umgeben. Das stimmt. Und es ist unser Glück. Aber Glück kann auch blind machen.“
Steinmeier nimmt den Deutschen ihre Treueschwüre zu Europa nicht mehr ab. „Handeln wir wirklich immer so, wie es unser Reden von der ,Schicksalsgemeinschaft Europa‘ erfordern würde?“, fragt er. Die Deutschen hielten sich „für die besten Europäer“. Steinmeier setzt diesem Selbstbild sein Bild eines selbstbezogenen, auch selbstgerechten Deutschlands gegenüber, das zur Spaltung des Kontinents beitrage.
Sechs Jahre sind vergangen, seit Steinmeier zuletzt auf der Münchner Sicherheitskonferenz sprach – damals noch als Außenminister. Bundespräsident Joachim Gauck hatte 2014 die Konferenz eröffnet. Gauck rief Deutschland dazu auf, mehr internationale Verantwortung zu übernehmen – ebenso wie die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Steinmeier. Ein ganz neuer Ton war das, der als „Münchner Konsens“ in die Geschichte einging. Was allerdings konkret unter Verantwortung zu verstehen ist, blieb umstritten.
Jetzt stellt Steinmeier klar, wie sein Aufruf nicht gemeint war. „Ich weiß, dass viele Menschen in Deutschland Sorge haben, dass sich hinter dem Begriff der Verantwortung vor allem militärische Auslandseinsätze verbergen. Aber eine solche Gleichsetzung führt in die Irre“, sagt er. Die Verantwortung Deutschlands sei es, Europa zu Stärke zu verhelfen.
Doch der Bundespräsident will seine Rede nicht als Fortsetzung oder Erläuterung jener Rede von 2014 verstanden wissen. „Die Welt ist heute eine andere als 2014“, stellt er fest. Tatsächlich nimmt sich der Beginn jenes Jahres im Rückblick einigermaßen harmonisch aus verglichen mit dem, was bald folgen sollte: Russlands Annexion der Krim und sein Krieg in der Ostukraine, die Flüchtlingskrise von 2015/2016, die Wahl Donald Trumps, der Brexit.
Steinmeier bündelt die Wucht dieser Ereignisse in dem Satz: „Wir werden heute Zeugen einer zunehmend destruktiven Dynamik der Weltpolitik“. Die „Konkurrenz der großen Mächte“ präge die Welt. Steinmeier erwähnt Russland, das „die gewaltsame Verschiebung von Grenzen auf dem europäischen Kontinent wieder zum Mittel der Politik gemacht“ habe. Er erwähnt China, das Völkerrecht und Menschenrechte missachte. Und die USA – „unser engster Verbündeter“ – erwähnt Steinmeier auch.
Zwar fällt der Name Trump nicht. Und doch weiß jeder im Saal, dass Steinmeier den US-Präsidenten und seine „America First“-Devise meint, wenn er beklagt: „Ein jedes Land solle selbst sehen, wo es bleibt, und seine eigenen Interessen über die aller anderen stellen.“ „Great again“ – das gehe auf Kosten der Nachbarn und Partner.
Steinmeier mahnt zur Bewahrung von Institutionen und Regeln des Miteinanders, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg mühsam errichtet wurden. Die Schwächung der Vereinten Nationen und der Welthandelsorganisation stelle einen „Rückfall in das Denken von vorgestern“ dar. „Brandgefährlich“ sei diese Politik, sagt er, und einmal mehr dürfen sich die Amerikaner im Saal angesprochen fühlen. Die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, die Demokratin Nancy Pelosi, nennt Steinmeiers Analyse „schaurig“. „Aber sie ruft uns zum Handeln auf“, sagt Pelosi.