"Jahrhundertdeal" 1989: Als Pepsi plötzlich eine Kriegsflotte gehörte - DER SPIEGEL - Geschichte

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Nikita Chruschtschow hat Durst. Am 24. Juli 1959 schlendert der sowjetische Ministerpräsident mit US-Vizepräsident Richard Nixon übers Messegelände der Amerikanischen Nationalausstellung in Moskau und debattiert vor laufenden Kameras hitzig über die Vor- und Nachteile von Kommunismus und Kapitalismus, da reicht ihm jemand aus Nixons Entourage einen kleinen Pappbecher mit brauner Brause. Pepsi steht darauf. Chruschtschow, dem die Schweißperlen auf der Stirn stehen, trinkt "einen skeptischen Schluck", wie das "Time Magazine" später schreibt, dann streitet er angeregt weiter.

Das Gespräch mit Nixon, der stets ähnlich enthemmt für Pepsi lobbyierte wie später Jimmy Carter für Coca-Cola, geht als "Küchendebatte" in die Geschichte des Kalten Krieges ein. Für Donald M. Kendall bedeutet dieser Tag in Moskau weit mehr als das. Es ist ein beruflicher Meilenstein, ein PR-Stunt erster Güte - und der Grundstein für den wohl kuriosesten Deal seines Lebens.

Kendall, ein groß gewachsener Mann mit schlohweißem Haar und geschwungenen Augenbrauen, ist 1959 ein aufstrebender Manager bei Pepsi-Cola, zuständig für die internationalen Märkte, die der Getränkekonzern erobern will. Vor allem den riesenhaften sowjetischen Markt.

Ein gutes Geschäft. Etwas zu gut. 

Kendalls Geistesblitz, Chruschtschow einen Becher Pepsi in die Hand zu drücken, geht als Foto um die Welt und katapultiert den Mann aus Washington in den Folgejahren die Karriereleiter empor. Den sowjetischen Markt verliert er dabei nie aus den Augen. 1972 ist es so weit: Kendall ist inzwischen Firmenchef, Pepsi wird als erstes amerikanisches Konsumgut überhaupt in der Sowjetunion produziert, vermarktet und verkauft.

Über viele Jahre ist Pepsis Präsenz hinter dem Eisernen Vorhang eine Erfolgsstory. Der große Rivale Coca-Cola kommt dort erst 1985 auf den Markt und spielt dann eine zunächst untergeordnete Rolle, Pepsi hingegen liefert Jahr für Jahr steigende Absatzzahlen.

Das große Problem ist die Bezahlung. Da der Rubel nicht in harte Dollar tauschbar ist, müssen die Vertragspartner beim Deal 1972 Kreativität beweisen. Die Lösung ist, wie so oft in Russland: Wodka. Pepsi bekommt im Tausch gegen das Cola-Konzentrat russischen Wodka der Marke Stolichnaya zum exklusiven Verkauf auf dem US-Markt.

Es ist für Pepsi ein gutes Geschäft. Etwas zu gut sogar. Dank des Deals setzt der Konzern 1989 laut Kendall etwa 490 Millionen Dollar um und ist so erfolgreich, dass er sich in der UdSSR vergrößern will. Aus 21 Cola-Fabriken zwischen Moskau und Wladiwostok sollen an die 50 werden. Auch will man von Glasflaschen auf Dosen und Plastikflaschen umsatteln, um den Vertrieb zu erleichtern. Und mit Pizza Hut eine weitere PepsiCo-Marke etablieren, als erstes Fast-Food-Restaurant in der Sowjetunion überhaupt. Das ambitionierte Ziel: Verdopplung des Umsatzes binnen zehn Jahren.

Her mit dem Wodka und den U-Booten 

Pepsi in der UdSSR, das ist 1989 ein Großprojekt für Kendall und seine Leute. Mit einem neuen, alten Problem. Die Bezahlung in Rubel ist nach wie vor nicht möglich, zudem ist der Absatz von Stolichnaya-Wodka in den USA geschrumpft. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, wenn alle Beteiligten viel Geld verdienen können.

Und so handelt die Sowjetunion 1989 eine Währung aus, von der sie, ähnlich wie von Wodka, mehr als genug hat: Kriegsgerät. 17 U-Boote gehen in den Besitz von PepsiCo über (die Bundesrepublik verfügt zu dieser Zeit über 24 U-Boote), außerdem je ein Kriegsschiff vom Typ eines Kreuzers, einer Fregatte und eines Zerstörers, dazu die Wodka-Lizenz für weitere zehn Jahre.

Damit gehört einem Brausekonzern plötzlich eine der größten Marineflotten der Welt - für ein paar Tage, bis zum Verkauf für viel Geld an ein schwedisches Abwrackunternehmen. Der außergewöhnliche Deal schlägt hohe Wellen. Brent Scowcroft, Sicherheitsberater von Präsident George Bush, ist irritiert, und Kendall spottet:

"Wir entwaffnen die Sowjetunion schneller, als ihr das tut" 

An den Märkten klettert derweil der Wert der Aktie. Aber Kriegsschiffe vom Klassenfeind als Bezahlung akzeptieren? "Hat Kendall auch in den Gulags Pepsi-Konzessionen beantragt?", ätzt der stramm konservative Journalist William Buckley und versteigt sich zu einer irrwitzigen Querverbindung: "Während die Pepsi-Verkäufe steigen, steigt auch die Anzahl russischer Nuklearraketen."

Pepsi und Kendall beeindruckt das nicht. Sie vertiefen den Deal im Folgejahr sogar. Nun sollen in einer sowjetischen Werft zusätzlich zehn Schiffe gebaut werden, Öltanker und Handelsschiffe, einige davon 65.000 Tonnen schwer, und als Bezahlung an Pepsi gehen. Der Konzern will die Handelsflotte weiterverkaufen oder an Subunternehmen verleasen. Im Frühjahr 1990 staunt die "New York Times" über den "größten Deal aller Zeiten zwischen einer amerikanischen Firma und der Sowjetunion. Pepsi unterzeichnet ein Tauschgeschäft gegen Schiffe und Wodka. Der Vertrag ist drei Milliarden Dollar schwer".

Bei Pepsi spricht man vom "Deal des Jahrhunderts", Kendall jubiliert laut Nachrichtenagentur UPI: "Wir werden den gleichen Erfolg haben, sowjetische Schiffe an den Mann zu bringen, wie wir ihn mit sowjetischem Wodka hatten." Und auch die Gegenseite ist zufrieden. "Jede große sowjetische Stadt wird ein Pepsi-Abfüllwerk haben", sagt Anatoly Belichenko von einer sowjetischen Kommission. "Unser Ziel ist es, bis zum Jahre 2000 dafür zu sorgen, dass für jeden Sowjetbürger eine Flasche Pepsi mit zehn Minuten Fußweg zu erreichen ist."

Und dann zerfiel alles in tausend Stücke 

So euphorisch sind nicht alle. "Wir betrachten die Situation mit großer Sorge", sagt etwa der Präsident des Shipbuilders Council of America. "Geht der Deal von Pepsi zulasten amerikanischer Schiffsbauer?"

Mitarbeiter der Schiffsindustrie müssen nicht lange bangen. Denn mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 wird der Deal für den Cola-Hersteller zum Albtraum. Die Werft mit den halbfertigen Schiffen steht plötzlich in einem neuen Staat namens Ukraine, dessen Regierung an den Verkäufen beteiligt werden will. Die Plastikflaschen sollen aus Weißrussland kommen, auch dort pocht man auf harte Dollar als Bezahlung. Und den Mozzarella für die Pizza-Hut-Pizzen verkaufen die litauischen Käsereien lieber anderweitig, weswegen McDonald's das Rennen um das erste Fast-Food-Restaurant macht.

Wo zuvor jeder Aspekt der wirtschaftlichen Beziehung über die Zentralregierung abgewickelt wurde, sind plötzlich 15 Nachfolgestaaten mit im Ring, alle mit eigenen Gesetzen und Vorschriften. Die einzige Konstante ist der stete Wandel in der Region. "Plötzlich", sagte Kendall der "L.A. Times" 1992, "zerfiel alles in tausend Stücke. Wir hatten einen Multimilliarden-Dollar-Vertrag mit einem nicht existenten Vertragspartner - der Sowjetunion. Oder um es anders auszudrücken: Unser Businesspartner ist pleitegegangen. Das ist für jedes Unternehmen ein großes Problem."

Für die Lösung braucht Pepsi Monate und viele neue Verhandlungsrunden mit vielen neuen Vertragspartnern, am Ende ist der Marktvorteil futsch. Auch weil der große Konkurrent Coca-Cola die Gunst der Stunde nutzt und sich im großen Stil auf dem Markt breitmacht, während Pepsi noch die Scherben des vermeintlichen Jahrhundertdeals zusammenkehrt.

Hinzu kommt, dass sich ausgerechnet Kendalls PR-Coup von 1959 nach dem Ende des Kalten Krieges als Nachteil im ewigen "Limo-Krieg" erweist: Pepsi ist seit über 40 Jahren bekannt, die Produkte des anderen Braune-Brause-Giganten indes gelten nun als neu und aufregend. Bald wird Coca-Cola zum Marktführer auch in Osteuropa. Böse Zungen behaupten, Pepsi hätte das verhindern können, hätte der Konzern das eine oder andere Kriegsschiff behalten.

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