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Seniorenorchester? Da lassen die Miracle Whips anderes hören. © Mary Martley
Neues Album

Miracle Whips: „The Art of Facts“ – Eigenbrötler, vogelfrei

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Abseits des Ruhms, inmitten der Kunst: Wie Miracle Whips die „Art of Facts“ zum Klingen bringen.

The old way of doing things, sometimes, is the best way.“ Im vorliegenden Fall also: Sich alter Freunde erinnern, ein Fässlein Bier gemeinsam trinken, das Textblatt auf den Tisch werfen – und anderntags in die Revolver Studios von Portland/Oregon einrücken. – Ohne viel Brimborium und innerhalb weniger Tage entsteht „The Art of Facts“ von Miracle Whips.

Der gleichnamigen Gewürzsoße entsprechend schichtet das Musikerkollektiv seinen traurig-schönen Liedersalat auf ein Dressing aus Salz und Zucker, Aroma und Stärke, Eigelb und Öl. Unter den zehn von Songschmied Jason Merritt (zuweilen unter dem Pseudonym „Whip“ unterwegs) komponierten Stücken findet sich kein Lückenbüßer, die Hälfte des Materials darf sogar zum Besten aktueller Folkrockbluespsychocountry-Darbietungen gerechnet werden. Seine Vorgängerveröffentlichung „Blues for Losers“ datiert ins Jahr 2008.

Auf dem mirakulösen Niveau eigenbrötlerischer Gratwanderung – nie abgeneigt einer unfertigen Brüchigkeit – befinden sich Typen, die zum Dunstkreis der Insider-Formationen Timesbold, Sparklehorse oder Mercury Rev gehören, die nie im blendenden Lichtkegel des Ruhms angekommen sind. – Was in Anbetracht von „Art of Facts“ nur zu begrüßen ist.

Das Album

Miracle Whips: The Art of Facts. DevilDuck Records / Indigo.

Zu Merritt – „Lyrics first!“ – gesellen sich die Peitschenschwinger Paul Dillon und Jeff Mercel, immer in Griffweite von Gitarrenhals, Schlagstock, Marxophone, der Singenden Säge. Emily Faas und Sarah Jane Dillon bilden den Chor, neben dem eine Vielgestalt an Tönen und Stimmungen erblühen darf. Wechselhaft wie die Fährnisse des Schicksals ist dieses Album, irrlichternd zwischen tiefer Melancholie und himmeleinreißendem Tatendurst.

Leute, die trinken, die weise sind. In nächtlicher Engtanzseligkeit über dargebotene 6 Minuten mit „The Stockade“ – eine perlende Walzertragik, geformt aus Posaune, Trompete, der Pedal Steel. Leute, die sich alles nehmen, was gut ist. Denen keine stilistische Heimat zugewiesen werden kann. „Stupid Bird“ pfeift – ja, in vollem Wortsinn! – auf die Widerwärtigkeiten von „Captain Fuckpants“ und seiner US-Stinkstiefel-Gefolgschaft. „Keep your eye on the doughnut / and never the hole“ singen Dillon und Merritt in abschließend-alberner Vogelfreiheit.

Hier dürfen „Wendy Carlos and Karl Marx“ zusammengedacht, 1965er Dylan und Blues-Tradition zitiert werden. Wie die Whips jedoch einen JJ-Cale-Beat mit Spiritualized-Gospel versöhnen, hat Hit-Potenzial: „5 in Gold“ marschiert groovend bis zum „Infinity“-Schlusswort.

Unvergängliche Schönheiten sind tatsächlich unvergessen. Wem es gelingt, mit „Blue Guitar“ an „Fairytale of New York“ von den göttergleichen Pogues anzuknüpfen, ist sowieso jeder Erdenschwere enthoben. Der darf am Ende dieser großen Platte noch den Abschied in Trauer feiern, mit allem Anstand die Brocken zusammenkehren.

„Funeral Parts“ enträtselt schließlich auch den Titel: „I found the art of facts / in the artefacts“. – Jason Merritt galt lange als der am meisten leidende Hiob-Musikant unter der Sonne. Ach, liebe Zuhörerschaft, er ist nur ein armer, alter, ehrlicher Dichter.