ZDF-Serie „Arctic Circle“
Hannu Salonen: „Ich habe gesagt: Jungs und Mädels, es wird richtig furchtbar“
Regisseur Hannu Salonen über die Arbeit am nordischen ZDF-Fünfteiler „Arctic Circle“.
Herr Salonen, der nordische Krimi ist ein renommiertes, aber inzwischen etwas überstrapaziertes Genre – was hat Sie daran gereizt?
Für mich spielen solche Genre-Definitionen nur bedingt eine Rolle, in Deutschland sind sie aber wichtig, weil es hier gewisse Sendeplätze für gewisse Filme gibt. Aber die Tatsache, dass in Dänemark und Schweden tolle Krimiserien gemacht worden sind, war natürlich ein Ansporn zu sagen: Lass’ uns doch versuchen, so etwas einmal in Finnland zu drehen.
Was war für Sie das Besondere an dem Stoff?
Die Kombination aus Drama und Krimi. Wenn es jetzt nur um das Virus und seine Verbreitung gegangen wäre, hätte mich der Stoff nicht besonders interessiert. An Zombies sieht man sich schnell satt. Viel interessanter war, zu zeigen, was dieses Virus mit den Menschen macht, bevor sie sich infizieren. Das sieht man ja jetzt aktuell an den Reaktionen auf das Coronavirus.
Beide Hauptfiguren werden auch in ihren familiären Umfeldern gezeigt.
Das fand ich hier unverzichtbar. Nur von der polizeilichen Arbeit oder von der Arbeit des Virologen zu erzählen, wäre nicht abendfüllend gewesen. Wir wollten zeigen, wie die Betroffenen und ihre Familien auf Herausforderungen reagieren.
Haben Sie Einfluss nehmen können auf das Drehbuch?
Sogar müssen, weil wir in Finnland nicht über die große Maschinerie verfügt haben, wie es sie in den USA oder in Deutschland gibt. Das Drehbuch musste realisierbar gemacht werden. Wir hatten insgesamt 100 Drehtage, das sind pro Neunzigminüter nur etwa 20 – nicht viel im Vergleich zu einem „Tatort“. In Lappland, wo wir viele Wege mit dem Skidoo (Schneemobil, Red.) machen mussten, herrschen andere Bedingungen als in Mitteleuropa. Da muss man sehr vorausschauend planen.
Sie haben das Buch angepasst, damit die Zeit reicht?
Die Zeit, das Licht, das Geld. Wir haben – nach den Studioaufnahmen in Helsinki – am 1. Februar vergangenen Jahres in Lappland angefangen zu drehen, vorher wäre es gar nicht gegangen, da ist es nur dunkel. Aber ab diesem Datum hat man ein wunderbares Licht, fünf Stunden Blue Hour – in Deutschland dauert die nur fünf oder zehn Minuten. Das ist wirklich großartig, das muss man einfangen und ganz genau überlegen, welche Szenen man wann wie dreht, weil dann wieder Nacht ist. Und ab April hatten wir das Problem, wie wir Nachtszenen hinbekommen, da war dann auf einmal zu viel Licht.
Zur Person
Hannu Salonen, 47, ist ein finnischer Regisseur, der seit Jahren in Deutschland lebt und unter anderem schon mehrere Saarbrücker „Tatorte“ sowie Episoden der ZDF-Reihe „Schuld“ nach Ferdinand von Schirach realisiert hat.
„Arctic Circle“ im ZDF:Der kleine Ort Ivalo in der nordfinnischen Region Lappland, unweit des Polarkreises, ist Schauplatz des Fünfteilers „Artic Circle“, dessen erster Teil am Sonntag um 22.15 Uhr zu sehen ist. Der Thriller, in dem es um die Verbreitung eines Virus’ geht, hat durch das Coronavirus eine unvorhergesehene Aktualität erhalten. Die Hauptrollen spielen Iina Kuustonen als Polizistin Nina Kautsalo und Maximilian Brückner als Wissenschaftler Thomas Lorenz.
Welche Herausforderungen waren mit dem Dreh im Winter verbunden?
Die Kälte natürlich, minus 25 Grad – einmal waren es sogar minus 40 Grad – und, auch wenn das banal klingt, die Topografie. In Lappland gibt es fast nur Hauptstraßen. Und so eine Basis mit vielen Fahrzeugen darf nicht auf der Straße stehen bleiben. Das heißt, wir haben sie regelrecht in den Schnee eingegraben, was unglaublich aufwendig war, aber notwendig. Sonst hätte man, wenn man mit der Kamera einen 360-Grad-Schwenk macht, immer die Basis im Bild gehabt, denn es gibt da keine Bäume.
Solche Bedingungen stellen hohe Ansprüche an die Schauspieler...
Deswegen habe ich nur Leute zum Casting eingeladen, die ich halbwegs kenne. Denen habe ich gesagt: Jungs und Mädels, es wird richtig furchtbar. Es ist superkalt, es ist ein kleines Team und die Hotels sind auch nicht die besten. Wer da mitmacht, den nehme ich auch mit auf eine einsame Insel. Mit dem Ergebnis, dass einer der Schauspieler, die ich nach Helsinki eingeladen habe, nicht mal in den Flieger gestiegen ist. Obwohl er schon das Ticket hatte.
Maximilian Brückner ist dagegen offensichtlich eingestiegen...
Ja, er war wie wir alle ein paar Monate in Finnland, weit weg von der Familie, mehr als 300 Kilometer nördlich des Polarkreises. Max ist ein bayerischer Bub, er ist in den Bergen aufgewachsen, vielleicht war das entscheidend. Er hat sich nie beschwert und – er hat das wunderbar hingekriegt, wie ich finde. Wie er rangegangen ist an die Rolle, sehr physisch, auch wenn er einen Wissenschaftler spielt. Es war ja die Idee, dass der Zuschauer die Kälte spürt, die Härte des Lebens in dieser Region. Genau deswegen haben wir ja da gedreht.
Wie war das für Sie, in Ihrer Heimat zu arbeiten?
Ich habe in Finnland ja schon zwei Filme gemacht, einen „Tatort“ mit Axel Milberg, eine rein deutsche Produktion, und einen Kinofilm, eine rein finnische Produktion. Insofern war die große internationale Serie schon eine neue Herausforderung für mich. Meine Heimat ist, was Kommunikation betrifft, schon sehr sehr anders als Deutschland – vielleicht einer der Gründe, warum ich weggegangen bin, so sehr ich das Land liebe. Die Finnen sind ein schweigsames Volk, Smalltalk ist nicht ihre Sache. Es wird sehr wenig kommuniziert, vieles wird verabredet, ohne dass man darüber spricht. Das ist in Deutschland anders, hier muss man viel mehr verhandeln, weil die Gesellschaft viel heterogener ist, hier gibt es Süd, Nord, Ost und West. Dafür bietet Deutschland viel mehr Möglichkeiten, sich zu entfalten.
Das heißt, Sie waren nach dem Dreh froh, wieder hier zu sein und hier zu arbeiten?
Ja, schon (Salonen lacht). In Deutschland passiert, was Filme betrifft, gerade sehr viel, darüber bin ich sehr glücklich. Wozu sollte ich den deutschsprachigen Raum verlassen, um in einem kleinen Land für potenziell fünf Millionen Zuschauer etwas zu machen, womit ich hier 80 Millionen erreichen kann?
Interview: Rudolf Ogiermann