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Der Nightjet der ÖBB startet an vielen deutschen Bahnhöfen wie Berlin, Hamburg und Düsseldorf.Foto: ÖBB
Reisen

Deutsche Bahn: Bahn-Rivale ÖBB setzt auf Nachtzüge - So ist die Fahrt im Nightjet

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Berlin.  Nightjet statt Easyjet: Die Fahrgastzahlen in Nachtzügen steigen. Was gefällt Passagieren? Eindrücke aus einer Nacht auf Schienen.

Balance ist alles. Draußen ist es noch dunkel um 6 Uhr morgens, während der Stewart des Schlafwagens 301 noch eine Scheibe Bergkäse auf das Frühstückstablett legt. Der Kaffee schwappt im Pappbecher fast über, noch zwei Brötchen drauf und weiter geht´s.

Schlafwagen-Stewart Altansukh Tuvshinjigjid, den die Kollegen nur Suki nennen, balanciert das Frühstückstablett aus der Küchenkabine in den Gang hinaus. In den dunklen Scheiben spiegelt sich der 37-Jährige: Er trägt österreichischen Janker, korrekt gescheitelte Frisur, Schlips und ein Lächeln auf den Lippen.

Er hat in den vergangenen neun Stunden rund 600 Kilometer zurückgelegt. Eingestiegen ist er in Hamburg, vorbei ging die Fahrt an Göttingen, Mannheim und Freiburg. Nächste Station: Basel. Letzter Halt: Zürich.

Nightjet durch Deutschland – „Fahrgastzahlen steigen stetig“

Seit 5.30 Uhr ist Stewart Suki wach. Da hat er das Hochbett im Dienstabteil verlassen und ist in seine Dienst-Uniform geschlüpft. Es ist erst seine vierte Fahrt. Für ihn ist das Nachtzug-Geschäft noch neu.

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Nachtzug-Stewart Suki serviert am frühen Morgen einem Nightjet-Gast das Frühstück. Foto: Clemens Hirmke

Der Zug, mit dem Suki durch das Deutschland fährt, stammt von der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). Erst im Januar haben die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) eine neue Verbindung eingeweiht, die von Wien über Nürnberg und Köln nach Brüssel führt. Und die ÖBB bauen das Nachtzug-Netz in Europa weiter aus. Denn anders als die Deutsche Bahn ist die ÖBB überzeugt: Die Leute wollen gerne im Nachtzug fahren.

„Die Fahrgastzahlen steigen stetig“, sagt ÖBB-Sprecher Bernhard Rieder. Die Deutsche Bahn dagegen hat ihre Nachtzüge im Dezember 2015 komplett ausrangiert. Sie stieg aus dem Geschäft aus, weil sie Verluste machte: Allein im Jahr 2015 waren es 31 Millionen Euro.

„Müsste so günstig sein, dass Autofahren albern wird“

Der Vorabend. 21.15, irgendwo zwischen dem Startbahnhof Hamburg und Hannover. „Wann wollen Sie geweckt werden?“, fragt Nightjet-Stewart Suki die Passagierin Hilke Ricklefs, Abteil 9. Der Zug nimmt eine leichte Kurve, der diensthabende Mitarbeiter hält sich im Türrahmen fest und notiert die Weckzeit. Das Licht auf dem Gang von Waggon 301 ist gedimmt.

Ricklefs reist gemeinsam mit ihrem 5-jährigen Sohn Raik. Die beiden liegen zusammen auf einem Hochbett in einem Dreierabteil und blättern durch ein „Janosch“-Buch, „A Letter for a Tiger“.

Nachtzüger müssten günstiger sein

Sie kommen aus Amrum und fahren über Basel bis nach Marseille. Der Vater arbeitet bei der Seenotrettung „SOS Mediterranee“ und ist in Frankreich ein paar Wochen an Land. Sie sehen sich selten.

„Viel Platz ist ja nicht gerade“, sagt die Mutter. In ihrem Dreierabteil stapeln sich Koffer, Rucksäcke und Spielzeug, es ist ein bisschen wie Tetris-Spielen. „Und wir bezahlen für die Reise bis nach Marseille und wieder zurück insgesamt rund 700 Euro. Das finde ich zu viel. Es müsste so günstig sein, dass Autofahren albern wird“, sagt Ricklefs.

Dunkelblauer Anstrich der Nightjets erinnert an Orient-Express

Im Abteil nebenan hat sich Christian Blumenthal eingerichtet. Der 53-jährige Ingenieur aus Lübeck, blaues Oberhemd, deutliche Artikulation, hat auf dem Bett seines Einperson-Schlafabteils den Laptop aufgeklappt und liest eine Studie über Umwelttechnik für seinen Geschäftstermin morgen in Basel. Er nippt an seinem Rotwein. Gleich will er schlafen..

Er fahre seit 20 Jahren schon Nachtzug, beruflich wie privat. „Ich erinnere mich noch an eine Nachtzugfahrt nach Lissabon“, sagt er. „Da saßen wir im Speisewagen mit Schweden und Niederländern, mit denen wir ins Gespräch kamen.” Die Zugdecke sei wie ein Sternenhimmel beleuchtet gewesen. „Eine wunderschöne Stimmung”.

Das Bord-Bistro der DB-Nachtzüge ist Geschichte. Auch wenn die ÖBB den Nightjets einen dunkelblauen Anstrich geben, was entfernt an den historischen Orient-Express erinnert: Um Nostalgie geht es dem Unternehmen nicht.

„Das Nachtzug-Geschäft ist kostendeckend, reich wird man damit aber nicht“, sagt ÖBB-Sprecher Rieder. Zwar kosten die Einzeltickets im Deluxe-Schlafwagen für eine Person 169 Euro und die weniger komfortablen immerhin 139.

Doch brauchen Nachtzüge auch viel mehr Personal als andere Bahnen: Neben dem Zugführer kümmert sich pro Schlafwagen jeweils extra ein Nightjet-Stewart um das Wohl der Gäste. Lesen Sie hier: ÖBB-Nachtzug „Nightjet“: Preise, Komfort, Strecken – Das muss man wissen.

Schauen Sie sich hier die Eindrücke von der Fahrt im ÖBB-Nightjet im Video an:

ÖBB polieren mit dem Nachtzug-Geschäft ihr Image auf

Die ÖBB nutzen die Nachtzüge auch, um das eigene Image aufzupolieren. Denn: Ein Flug verursacht auf einigen Strecken mehr als zehnmal so viel Kohlendioxid wie der Nachtzug. Wer in Nightjet-Waggon 301 mit den Passagieren spricht, hört immer wieder ähnliche Argumente für die Fahrt: Klima, Praktikabilität, Neugier.

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Die Landschaft zieht vorüber: Fahrgäste haben es sich in einem Abteil des Nightjet gemütlich gemacht. Foto: Clemens Hirmke

21.25 Uhr. In einem Zweier-Abteil verstaut der Schwede Gustav Karlson seine schwere Ski-Tasche in einem der Hängenetze. Die Heizung wärmt den Raum, die Luft ist etwas trocken. Durch die Tür zwängt sich Fahrgast Stefan mit seinem Reisegepäck in der Hand. „Würden Sie bitte das Bett oben benutzen“, bittet er seinen Hochbettnachbarn auf Englisch. „Und ich muss vorwarnen, dass ich schnarche“, lacht er. Der Nachtzug verbindet, ob man will oder nicht.

„Bitte beachten Sie die Nachtruhe ab 21.30 Uhr“, verkündet eine warme Frauenstimme aus den Lautsprechern von Waggon 301. Mitarbeiter Suki und sein Kollege Thomas Ormai lassen die Jalousien im Gang des Waggons herunter. Der NJ491 rattert durch die Nacht. Hält an verwaisten, nächtlichen Bahnhöfen Süddeutschlands. Es wird leiser, nur die Lüftungsanlage rauscht ruhig, ab und an knarzt das Interieur und quietschen die Schienen.

Neue Nightjet-Züge für 2022 geplant

Am Morgen, kurz vor Basel, wird es im Zug hektisch. Der 5-jährige Raik beißt mit marmeladeverschmierten Fingern von seinem Brötchen ab, während seine Mutter Hilke Ricklefs einen nicht geöffneten Joghurt und ein Brötchen in einer Papiertüte verstaut. „Wir hätten etwas mehr Zeit einplanen sollen”, sagt Ricklefs.

Stewart Suki hilft einem Passagier mit dem Gepäck. „Probleme gibt es eigentlich nur, wenn die Gäste mehrere Riesenkoffer mitbringen. Dann kann es schwierig mit dem Verstauen werden“, sagt er. „Neulich gab es zum Beispiel eine Gruppe von asiatischen Touristen, die sehr viel Gepäck dabei hatten, und im Gang können wir es leider nicht verstauen.“ Es komme auch mal vor, dass nachts um 3 Uhr der Feueralarm aufheule, weil jemand in einer der Toiletten raucht.

ÖBB lassen neue Nachtzüge produzieren

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Nightjet-Stewart Suki am Bahnhof Zürich. Rund 12 Stunden braucht der Nachtzug von Hamburg. Foto: Clemens Hirmke

Es sind noch knapp zwei Stunden bis zur Endstation in Zürich. Kurz vor dem Halt schließt Stewart Suki sein Dienstabteil mit einem Vierkant-Schlüssel auf. Auf seinem kleinen Bett liegt ein schwarzer Rucksack mit Arbeitskleidung. Denn wenn alle Gäste in Zürich ausgestiegen sind, geht für den 37-Jährigen die Arbeit weiter.

Dann beginnt der Putzdienst. Die Utensilien dafür hat er in seinem schwarzen Rucksack. Er tauscht dafür den Janker gegen eine Reinigungsjacke, die Hose mit den Galonstreifen gegen eine Arbeitshose, die polierten Oxfords gegen rutschfeste Schuhe.

Der beflissene Stewart Suki hat viele Pläne. „Ich will einen Zugführer-Kurs besuchen“, sagt er. Er wolle sich weiterbilden und auch Italienisch lernen. Denn einige Nachtzüge fahren nach Mailand und Rom. „Ich finde viele Städte in Europa interessant und würde gerne noch mehr kennenlernen.“

Seine Chancen stehen gut. Zahlreiche Initiativen und Umwelt-Politiker fordern den Aufbau von einem europäischen Nachtzugnetz, zuletzt Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Die ÖBB lassen bereits 13 neue Nightjet-Züge produzieren, die ab 2022 über die Schienen rollen sollen. Es dürften nicht die letzten sein: Die Österreichischen Bundesbahnen machen mobil. Auch in Deutschland.

Nachtzüge in Deutschland – Mehr zum Thema

Die Debatte um den Ausbau von Nachtzügen ist in Deutschland wieder in Bewegung gekommen: Auch hierzulande sollen für das klimafreundliche Reisen künftig mehr Nachtzüge fahren. Wie schon die bisherigen werden sie wohl von den ÖBB kommen. Zuletzt weihten sie eine Nachtzug-Linie zwischen Wien und Brüssel ein. Die Österreicher zeigen, wie man mit mehr Passagieren das Geschäft mit Nachtzügen ankurbelt.