Budgetunterschreitungen – Ärgernis?
Es ist wieder so weit: Nächste Woche wird die Rechnung des Bundes präsentiert, und sie wird auch im Jahr 2019 deutlich besser abschliessen als budgetiert. Seit der Einführung der Schuldenbremse im Jahr 2003 wird die ordentliche Finanzierungsrechnung des Bundes damit in fünfzehn von siebzehn Jahren besser abgeschlossen haben als vorgesehen. Das wird von verschiedenen Seiten kritisiert: Der Bund würde durch strategisch schlechte Prognosen den Ausgabenspielraum begrenzen. Mitverantwortlich für diesen Budgetpessimismus sei nicht zuletzt die Schuldenbremse. Was ist von dieser Kritik zu halten?
Zum Autor
Christoph A. Schaltegger ist Professor für politische Ökonomie an der Universität Luzern.
Es lohnt sich zuerst ein Blick in die Geschichte. Mein Mitarbeiter Michele Salvi und ich haben hierfür alle Budgetabweichungen für die Schweiz, Deutschland und Österreich seit 1870 analysiert. Der Blick über die lange Frist offenbart, dass die Schätzung der Einnahmen und der Ausgaben seit jeher eine gewisse Ungenauigkeit aufweist. So wurden die Bundeseinnahmen seit dem Jahr 1870 im Schnitt um rund 8% zu niedrig budgetiert. Der Bund schätzt die Einnahmen in der Tendenz über alle Untersuchungsperioden hinweg zu pessimistisch. Die Ausgaben des Bundes wurden im historischen Durchschnitt im Unterschied dazu leicht unterschätzt – um rund 2%. Das Wesentliche ist allerdings: Trotz der zum Teil beachtlichen Abweichungen in den vergangenen Jahren konnte die Budgetgenauigkeit merklich verbessert werden.
Gute Gründe für Abweichungen
Der Vergleich mit unseren deutschsprachigen Nachbarländern offenbart, dass auch Deutschland und Österreich ihre Einnahmen tendenziell unterschätzen. Die Schweiz prognostiziert ihre Einnahmen dabei am wenigsten genau. Besonders seit der Einführung der Verrechnungssteuer sind die Prognosefehler im Schnitt deutlich höher als in Deutschland und Österreich. Nach dem Jahr 2003 sind die Einnahmeschätzungen des Bundes im Vergleich zu den beiden Ländern allerdings deutlich besser geworden. Auf der Ausgabenseite budgetieren alle drei Länder ihre Ausgaben über den ganzen Beobachtungshorizont im Durchschnitt zu niedrig. Die Schweiz weist hier die höchste Prognosegenauigkeit auf. Interessant sind die Jahre nach der Einführung der Schweizer Schuldenbremse: Sowohl die Schweiz als auch Deutschland sind im Gegensatz zu Österreich in Sachen Genauigkeit besser geworden.
Die Betrachtung der historischen Daten ist zwar nur deskriptiver Natur, sie erlaubt jedoch einen ersten Eindruck: Prognosefehler beim Budgetieren von Einnahmen und Ausgaben sind historisch nichts Ungewöhnliches, und sie werden immer kleiner – die Schweiz steht auch im Ländervergleich gut da. Doch warum kommt es überhaupt zu Budgetabweichungen?
Es gibt bei Prognosen immer Unsicherheit – das liegt in der Natur der Sache. Da die Einnahmenentwicklung stark von der Wirtschaftslage abhängt, ist es schwierig, genaue Prognosen zu formulieren. Besonders akzentuiert ist dieses grundlegende Problem bei der Verrechnungssteuer, deren Volumen entscheidend von den Unternehmensabschlüssen sowie den ausgeschütteten Dividenden abhängt. Hinzu kommt als weiterer Unsicherheitsfaktor der Zeitpunkt der Rückforderung. Gerade in Zeiten von Negativzinsen sind die Anreize für allfällig verzögerte Rückforderungen gross. Seit 2012 ein neues Schätzmodell für die Verrechnungssteuer verwendet wird, hat sich die Fehlerquote verringert. Dennoch bleibt sie nur schwer prognostizierbar und unterliegt im Zeitablauf erratischen Schwankungen.
Auch auf der Ausgabenseite gibt es ökonomische Gründe für die Abweichungen. Einerseits gibt es Ausgabenposten, die auf konkreten Fallzahlen basieren – wie etwa im Migrations- oder im Sozialversicherungsbereich – und schwierig im Voraus zu bestimmen sind. Zusätzlich enthält die Ausgabenzuteilung eine starke politökonomische Komponente. Jedes Ressort in der Budgeteingabe ist in Konkurrenz mit den anderen Ressorts um dieselben öffentlichen Mittel. Das Budget stellt eine fiskalische Allmende dar. Was als öffentliche Mittel der einen Verwaltungseinheit zugestanden wird, kann nicht gleichzeitig der anderen versprochen werden. In dieser Situation ist jedes Ressort an einer hohen Schätzung der Kosten interessiert.
Reicht das Budget Ende Jahr nicht für die Finanzierung der gesetzlichen Aufgaben aus, lassen sich die Mehrkosten ja nicht nachträglich einer anderen Verwaltungseinheit anlasten. Es wäre der aufwendige und verpönte Weg eines Nachtragskredits zu gehen. Sind die Kosten hingegen geringer ausgefallen als vom Ressort ursprünglich geschätzt, fallen einzig Kreditreste an – ohne Folgen. Die Ausgaben des Bundes lagen seit der Einführung der Schuldenbremse signifikant unter den bewilligten Ausgaben. Der Trend zu hoch budgetierten Ausgaben beginnt zwar bereits ein Jahrzehnt vor der Einführung der Schuldenbremse, doch die Bundesausgaben wurden seit 2003 durchweg unterschätzt. Ist die Schuldenbremse hierfür verantwortlich?
Nein, die Anreizsituation im Budgetprozess der Einnahmen und der Ausgaben bleibt unabhängig von der Schuldenbremse: Die fiskalische Allmende wird durch den Ausgabeplafond zwar beschränkt, der individuelle Übernutzungsanreiz jeder Verwaltungseinheit im Budgetprozess jedoch nicht verändert. Budgetreste sind in erster Linie Ausdruck einer funktionierenden Verwaltung: Während des Rechnungsjahres unterstehen die Ausgaben der Ressorts einer strengen Kontrolle durch Politik, Medien und Überwachungsstellen wie die Finanzkontrolle. Daher sind unbegründete Mehrausgaben mittlerweile nicht mehr zu beobachten. Auch Phänomene wie das «Dezemberfieber», bei dem am Ende des Jahres noch versucht wird, den Ausgabenrahmen möglichst auszuschöpfen, wurden effektiv angegangen. Was würde also mit der Budgetgenauigkeit passieren, wenn die Schuldenbremse angepasst würde?
Verdienstvolle Schuldenbremse
Ein Vorschlag fordert, dass Kreditreste statt für den Schuldenabbau für zusätzliche Ausgaben in den Folgejahren verwendet werden dürfen. Eine gute Idee? Leider müsste mit noch grösseren Schätzfehlern auf der Ausgabenseite gerechnet werden: Der Anreiz zu strategischem Pessimismus der Verwaltungseinheiten im Budgetprozess würde noch verstärkt, denn die Kreditreste verfielen jetzt nicht mehr, sondern behielten für das entsprechende Ressort ihren Wert in kommenden Budgets. Diese Vermutung bestätigt ein Blick über die Landesgrenze: In Österreich wollte man vor zehn Jahren das «Dezemberfieber» durch eine solche Haushaltsreform aus der Welt schaffen. Das Resultat waren Rücklagen von knapp 18 Mrd. €. Wären sie eingelöst worden, wäre der Schuldenstand sprunghaft gestiegen.
Seit der Einführung der Schuldenbremse ist im Budgetprozess eine inhärente Neigung zu Kreditresten sichtbar geworden. Dies zu ändern, bedarf, wenn überhaupt, Anpassungen im Budgetprozess – nicht an der Schuldenbremse. Der Bund hat dabei erste Schritte unternommen (Schätzverfahren verbessert, Nachtragskredit vereinfacht). Wer dennoch glaubt, die hohen Überschüsse stellten ein Problem der Schuldenbremse dar, sollte sich vor Augen halten, dass die Schuldenbremse in Zeiten der Hochkonjunktur zu einem erheblichen Schuldenabbau beigetragen und damit die Widerstandskraft des Bundesbudgets für Krisenzeiten gestärkt hat. Dabei wurde durch die konjunkturadjustierte Deckelung des Ausgabenniveaus die Möglichkeit der Verschwendung öffentlicher Mittel erheblich eingeschränkt. Zudem wurde die Ausgabenquote stabilisiert, und die Ausgaben für Bildung und Investitionen stiegen. Dies sollte bei allem Ärger nicht vergessen werden.
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