Diebstahl, Drogen, Gewalt: Lehrerin an Brennpunktschule: "Die Polizei ist bei uns Dauergast"
by FOCUS OnlineMiriam ist Lehrerin an einer Brennpunktschule. Ihre Schüler kommen aus problematischen Verhältnissen, oft kommt es zu Gewalt oder anderen Straftaten. Ihre Erfahrung hat ihr gezeigt: Manche Dinge kann man als Lehrer abfangen, man kann helfen - aber einige Kinder haben einfach keine Chance auf ein gutes Leben.
Liebe Miriam (Name geändert), du bist Lehrerin an einer „Brennpunkt-Schule“. Zuerst einmal: Wann gilt eine Schule eigentlich als Brennpunkt-Schule?
Es gibt natürlich keinen offiziellen Titel „Brennpunktschule“, also kann ich nur sagen, was man allgemein darunter versteht. Eine Schule gilt dann als Brennpunktschule, wenn viele Kinder aus problematischen Verhältnissen kommen – egal ob diese finanzieller oder sozialer Natur sind. Diese Erklärung trifft auf meine Schule definitiv zu.
Unseren Schülern werden die Unterrichtsmaterialien wie Bücher, Hefte, Stifte und Geodreiecke zur Verfügung gestellt. Einige Schüler können nicht mehr bei ihren Eltern leben, sondern wohnen in Wohngemeinschaften, die vom Jugendamt betreut werden. Immer wieder ist die Polizei bei uns in der Schule. Meist geht es um Diebstahl, Drogen oder Gewaltdelikte.
Deine Schüler sind zwischen 10 und 14 Jahren alt. Wie erlebst du diese Schüler?
Die meisten Schüler sind lebenslustige Kinder, die einfach das Pech hatten, dass sie nicht in eine privilegierte Familie hineingeboren wurden und unser Bildungssystem ist leider immer noch so, dass Bildung vererbt wird. Manche sind sehr frühreif und einige Zwölfjährige gehen vom Aussehen her locker als 16-Jährige durch.
Viele Schüler müssen zu Hause schnell Verantwortung übernehmen, vor allem dann, wenn sie jüngere Geschwister haben. Das trifft aber hauptsächlich die Mädchen, die Jungs haben da wesentlich mehr Freiheiten.
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"Schüler sind entsetzt, dass ich nicht zocke"
Welche Themen scheinen die Jungs besonders zu beschäftigen?
Fortnite ist ein Riesenthema, das kennen sie alle und sind immer ganz entsetzt, dass ich nicht zocke. Noch schockierter sind sie, wenn ich erzähle, dass ich nie gezockt habe. Ein anderes großes Thema ist Fußball, Mädchen werden dann so ab der 3. Klasse ein Thema. Außerdem gibt es innerhalb der Jungsgruppen immer Machtkämpfe, wer nun das Sagen in der Klasse hat.
Und welche die Mädchen?
Bei den Mädchen kann ich die Frage wesentlich schwerer beantworten. Sie sind zumindest in meinen Klassen wesentlich ruhiger. Ich empfinde die Mädchen als homogenere Gruppe. Sie halten zusammen und wehren sich zum Beispiel auch gemeinsam gegen die Jungs.
Fühlst du dich von deinen Schüler/Schülerinnen respektiert?
Da muss ich erstmal an meine eigene Schulzeit denken. Ich war in der Oberstufe sicherlich auch keine Musterschülerin und habe so manchen Lehrer zur Verzweiflung gebracht. Wir hatten einen sehr starken Klassenzusammenhalt und haben dann oft gemeinsam gegen Lehrer gearbeitet. Diesen Klassenzusammenhalt kenne ich nun bei meinen Klassen nicht so. Ich habe das Gefühl, die Kinder sind Einzelkämpfer, respektieren sich oft gegenseitig nicht und machen sich gegenseitig fertig.
Um zur Frage zurückzukommen: Ja, meistens fühle ich mich respektiert. Ich versuche aber auch, Machtkämpfe mit Schülern zu vermeiden.
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"Manche Kinder brauchen eine Umarmung"
Gibt es eine Szene aus deinem Schulalltag, die dir besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Da gibt es einige: Einmal habe ich eine halbe Stunde mit einem Mädchen draußen auf dem Gang gesessen, das nur geheult hat, weil es das erste Mal die Periode bekommen hat. Meine Kollegin hat in dieser Zeit zum Glück drinnen alleine weiter unterrichtet.
Ich habe dem Mädchen dann eine Binde besorgt und mit ihr Schokolade gegessen. In der Pause haben sie dann ihre Freundinnen in den Arm genommen, da ging es ihr dann wieder besser. Dieses Mädchen habe ich danach gemeinsam mit meinem Mann in einem Einkaufszentrum getroffen und sie hat mich umarmt.
Man lässt aber auch nicht alle Schüler so nahe an sich heran. Aber zu manchen Kindern kennt man eben die Hintergrund-Geschichte und weiß, dass es vielleicht einfach mal eine Umarmung braucht.
Wie erlebst du die Eltern deiner Schüler?
Ich würde die Eltern eher als desinteressiert bezeichnen, natürlich nicht alle. Selbstverständlich gibt es auch Eltern, die ihre Kinder liebevoll begleiten und unterstützen.
Es gibt aber auch viele Eltern, denen man ewig hinterher telefoniert und mit denen man Termine vereinbart, zu denen dann keiner kommt. Manche Eltern sagen mir auch, dass ich einfach härter durchgreifen soll, wenn ein Schüler Probleme macht. Abgesehen davon, dass ich nicht härter durchgreifen will, sehe ich meine Aufgabe nicht darin Schüler*innen zu bestrafen, damit sie etwas machen. Das sehe ich übrigens auch nicht als Aufgabe der Eltern. Da sollte viel miteinander gesprochen werden, damit das Kind versteht, wieso es etwas machen soll oder wieso eine gewisse Handlung unangebracht war.
Auch wenn es traurig ist – glaubst du, dass einige Schüler gar keine wirkliche Chance haben, ihr Leben in geregelten Bahnen verlaufen zu lassen?
Ich muss diese Frage leider mit ja beantworten. Manche Dinge kann man als Lehrerin abfangen, aber nicht alles.
Wenn du sofort etwas an deinem Schulalltag ändern könntest – was wäre das dann?
Wenn ich etwas ändern könnte, dann würde die Schule frühestens um 9 beginnen. Die erste Stunde ist für alle eine Zumutung. Es ist zwar sehr ruhig in der Klasse, ich glaube aber nicht, dass die Schüler*innen sehr viel mit mitnehmen aus dieser Stunde.
Dieser Artikel erschien zuerst bei Stadtlandmama.de
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