Das Kaltstart-Dilemma der Autos mit Hybridantrieb
Bei Hybridautos und Plug-in-Hybriden kommt es häufiger zu Kaltstarts als bei normalen Verbrennungsmotoren - wenn der Verbrennungsmotor ausgeht und der Elektromotor das Auto durch die Stadt schiebt. Wie schnell lässt sich der Katalysator vorwärmen, damit er Abgase dennoch gut reinigen kann?
by Rainer KloseIm vergangenen Jahr wurden in Deutschland fast eine Viertelmillion Pkw mit Hybridantrieb neu zugelassen - 83,7 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Und die starke Nachfrage nach dieser Antriebsform, ist, befeuert durch steuerliche Fördermaßnahmen und ein wachsendes Modellangebot, weiterhin sehr groß. Denn diese Autos können einige Kilometer weit rein elektrisch durch die Stadt fahren, so dass sie im Alltag deutlich weniger Kraftstoff benötigen. Das gilt erst recht für die so genannten Plugin-Hybride - Teilzeitstromer, bei denen der Akku an einer Steckdose wieder aufgeladen werden kann. Sie bewegen sich bis zu 50 Kilometer weit elektrisch durch die Stadt. Der Verbrennungsmotor springt hier erst an, wenn das Auto auf der Autobahn oder der Landstraße beschleunigt wird.
Das Problem dabei: Der Motor legt dabei jedes Mal einen Kaltstart hin, bei hoher Drehzahl und Motorlast - ganz anders als bislang üblich. Kann die Abgasreinigung da mithalten? Sind die Katalysatoren, die wir seit den 1980er-Jahren einsetzen, für solche Fälle geeignet? Viola Papetti und Panayotis Dimopoulos Eggenschwiler von der Empa, der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt, haben dies mit einem speziell entwickelten mathematischen Modell nachgerechnet. Und sie geben Empfehlungen, wie Katalysatoren in Zukunft vorgewärmt werden könnten, um optimal zu funktionieren.
Nur ein warmer Kat ist ein guter Kat
Bei einem Kaltstart bläst der Motor heiße Verbrennungsgase in den kalten Katalysator. Dieser muss sich sukzessive aufwärmen, um seine chemische Reinigungswirkung zu entfalten. Solange er kalt ist, entweichen Kohlenmonoxid (CO), Stickoxide (NOx) und unverbrannte Kohlenwasserstoffe ungehindert an die Außenluft. Die guten Emissionswerte moderner Euro-6-Fahrzeuge werden erst bei warmem Katalysator erreicht. Die Unterschiede zwischen warm und kalt sind allerdings drastisch: In den ersten drei Minuten nach dem Kaltstart emittiert ein Fahrzeug mehr Schadstoffe als bei einer 1000 Kilometer langen Fahrt mit einem betriebswarmen Motor.
Für ihre Modellrechnungen wählten die Forscher aus der Schweiz einen typischen Katalysator eines 2,0-Liter-Benzinmotors. Mithilfe von eigens entwickelten Programmen auf Basis der Open-Source-Softwareplattform OpenFOAM berechneten sie, wie die heißen Auspuffgase die Keramikwaben des Katalysators und die katalytische Reinigungsschicht, genannt "Washcoat", aufheizen. Zunächst wird der Kat durch die heißen Gase nur "warmgeföhnt", dann durchdringt die Hitze allmählich die Keramik und die Blechhülle des Katalysators. Etwas später setzen die ersten chemischen Reaktionen im vorderen Teil des Katalysators ein: Die Schadstoffe werden am Washcoat zunächst teilweise chemisch zerlegt. Das sorgt für zusätzliche Wärme, die zur Aufheizung des restlichen Katalysators ausreicht.
Minuten vergehen ohne Abgasreinigung
Die Modellrechnung der Forscher startet an einem Wintertag bei minus 13 Grad Celsius. In den ersten 30 Sekunden der Autofahrt passiert im Katalysator ... gar nichts. Dann beginnt sich das erste Viertel des Katalysators zu erwärmen. Nach einer Minute beginnt die Erwärmung im zweiten Viertel; erst zwei Minuten nach Motorstart wird das dritte Viertel warm. Es dauert insgesamt dreieinhalb Minuten, bis der Katalysator zu drei Viertel durchgeheizt ist und bei 140 Grad Celsius Betriebstemperatur einen guten Teil der Abgase reinigen kann.
Die Forscher wiederholten anschließend die Modellrechnung für ein Hybridauto. Angenommen, der Katalysator war schon einmal warm und ist nun im Stop-and-Go-Verkehr abgekühlt, weil der Wagen eine ganze Weile nur mit seinem Elektromotor unterwegs war. Der "abgekühlte" Kat hat zwar immer noch knapp 90 Grad Rest-Temperatur; doch auch in diesem Fall ist er erst nach drei Minuten völlig durchgeheizt. Allerdings verläuft das Aufheizen auf einem höheren Temperaturniveau, was günstiger für das Einsetzen der ersten chemischen Reinigungs-Reaktionen ist.
Kaltstart auf der Beschleunigungsspur
Schließlich simulierten die Forscher einen Kaltstart auf der Autobahnauffahrt - ein typisches Szenario für Plugin-Hybride, die mit Batteriestrom bis zum Stadtrand fahren können und dann kräftig Gas geben. In diesem Fall ist der Katalysator minus 13 Grad kalt, doch es fließt die doppelte Menge an heißen Auspuffgasen durch. Beim Plug-in-Hybrid ist der Katalysator bereits nach 90 Sekunden warm genug, um alle Abgase zu reinigen - der stärkere Abgasstrom "föhnt" den Katalysator schneller warm; die chemischen Reaktionen setzen früher und stärker ein.
Doch die schlechte Nachricht dabei lautet: Auch modernste Plugin-Hybride stoßen bei jedem Kaltstart noch minutenlang giftige Schadstoffe aus. Das könnte in den nächsten Jahren zum Problem werden, wenn die EU die Abgasvorschriften noch weiter verschärfen wird. Das Problem lässt sich nur lösen, wenn der Katalysator ganz gezielt aufgeheizt wird, sobald der Verbrennungsmotor anspringt. Oder noch besser: bevor er anspringt. Wie könnte das gehen?
"Ich sehe da drei Möglichkeiten", sagt Empa-Forscher Dimopoulos Eggenschwiler. "Man könnte den Motor heißere Abgase produzieren lassen - das kostet allerdings zusätzlich Treibstoff. Man könnte die Batterie der Hybridautos nutzen, um die Abgase elektrisch vorzuwärmen. Und man könnte den Washcoat des Katalysators mithilfe von Mikrowellenstrahlung vorheizen - eine hier an der Empa entstandene Idee, die sich in Entwicklung zur Serienreife befindet."
Bleibt die Frage: Mit welcher Methode lassen sich Schadstoffe am effizientesten vermeiden? Und welche kostet am wenigsten Energie?
Auch das haben die Forscher durchgerechnet: Beim Kaltstart in der Stadt ist es am günstigsten, nur die Abgase vorzuheizen. Beim Kaltstart auf der Autobahn würde das wegen der großen Abgasmenge zu viel Energie kosten. Hier lohnt es sich, den Washcoat direkt vorzuwärmen. "Am Ende bringt nur eine Kombination aus allen Methoden die besten Ergebnisse", sagt Viola Papetti, die die Simulationsrechnungen durchführte.
Software hilft auch Elektroautos
"Da wäre noch eine weitere interessante Sache", sagt Panayotis Dimopoulos Eggenschwiler am Ende des Gesprächs. "Schon seit einiger Zeit wenden wir unsere Berechnungsmethode auch bei Elektroautos an." Das Simulationsprogramm der Empa-Forscher kann tatsächlich nicht nur die Wärmeverteilung im Abgas-Trakt eines Verbrennungsmotors berechnen, sondern ebenso gut die Erwärmung einer Lithium-Ionen-Batterie. Damit eignet sich das Tool perfekt, um die Kühltechnik in Elektroautos zu optimieren - aber auch die Kühlung einer Ladestationen, an der das Auto Strom aufnimmt. Eine nicht ganz unwesentliche Zweitnutzung der Software, denn: Nur mit einer optimalen Temperaturüberwachung und Kühlung sind effiziente Schnellladesysteme realisierbar.