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Laszlo Molnar, der Karateka: Shiko-Dachi heisst diese Abwehrstellung, in welcher er im Kamfsportzentrum Goju Kan posiert.

Ein Leben für den Kampfsport

Laszlo Molnar blickt auf ein bewegtes Leben zurück. Als Flüchtlingskind kam der gebürtige Ungar in die Schweiz. Halt gab dem heute 73-Jährigen stets der Kampfsport.

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Ein Donnerstagmittag im Goju Kan Bern. Es ist ruhig im Zentrum für Kampfkunst und Gesundheit. Einzig im Kraftraum stemmt ein Mann unermüdlich Gewichte: Laszlo Molnar.

Seine 73 Jahre sind dem gebürtigen Ungarn nicht anzusehen. Kein Wunder, seit einem halben Jahrhundert ist der Ueberstorfer dem Kampfsport verfallen, trainiert auch heute noch viermal pro Woche.

Die Flucht aus Ungarn

Bereits mit zwei Jahren lernt Laszlo Molnar spielerisch von seinem Vater, die Faust zu machen, die Kampfstellung eines Boxers einzunehmen. Lernen vom Besten. Als zweifacher ungarischer Landesmeister ist sein Vater eine bekannte Sportgrösse. Dass er in Budapest ein grosses Unternehmen leitet, erhöht seinen Bekanntheitsgrad. Das wird ihm im Oktober 1956, als die bürgerlich-demokratische Revolution ausbricht, zum Verhängnis.

«Politiker wollten ihn zwingen, als Aushängeschild in ihre Partei einzutreten. Dagegen hat er sich vehement gewehrt. Deshalb erschien sein Name auf der schwarzen Liste.» Laszlo Molnars Vater droht deportiert zu werden. Die Familie flüchtet nach Österreich. Laszlo Molnar ist gerade mal zehn Jahre alt.

Geblieben sind traumatische Erinnerungen. «Es war November, kalt, wir marschierten bei Nacht viele Kilometer. Ich hatte grosse Angst.» Viele seiner Landsleute wurden auf der Flucht gefangen genommen, deportiert, erschossen. Molnars haben Glück im Unglück, schaffen es über die Grenze nach Österreich, landen schliesslich in der Schweiz. «Ich hatte damals keine Ahnung, dass es die Schweiz gibt.»

Die Anfänge in Bern

Am 27. März 1957 kommen Molnars nach Bern. Die ersten paar Monate leben sie in einer Kaserne. Der Vater (als Hilfsarbeiter bei der Post) und die Mutter (als Reinigungskraft) finden schnell eine Arbeit, können eine eigene, kleine Wohnung beziehen. Und Laszlo Molnar? Der wird nach sechs Monaten in der Schweiz eingeschult. In Budapest hatte er die vierte Klasse besucht, nun muss er wegen mangelnder Sprachkenntnisse in der dritten Klasse einsteigen.

Molnar arbeitet sich von ganz unten nach oben. Schnell lernt er Schweizerdeutsch, schafft den Sprung in die Sekundarschule, macht eine Ausbildung zum Ingenieur Hochbau und später zum Bauführer. Wegen fehlender kaufmännischer Kenntnisse absolviert er die Handelsschule, damit er noch Betriebswirtschaft studieren kann.

Sein Leben bietet Stoff für zwei Bücher. Allein aus der Zeit, als er als Dressman arbeitete und in Kontakt mit der High Society kam, könnte er ein Kapitel füllen. Berufstätig ist Molnar auch heute noch. Er ist an zwei global tätigen Firmen beteiligt, die im Bereich Kryptowährung tätig sind.

Auf Umwegen zum Karate

Molnars ständige Begleiter: seine Frau, mit der er seit 41 Jahren verheiratet ist - und der Kampfsport. Kaum in der Schweiz angekommen nämlich, trainiert er auf Wunsch seines Vaters im Keller der Berner Boxlegende Charly Bühler. Jedoch nur für kurze Zeit. «Ich war zu jähzornig, wurde vom Training ausgeschlossen.» Fortan versucht er sich während zehn Jahren als Fechter. Beim Fechtclub Bern fällt er durch seinen aggressiven Stil auf. Aber auch durch seine Erfolge.

Am 1.Februar 1970 absolviert der damals 23-Jährige einen Anfängerkurs im Karate Club Bern. Und siehe da: Laszlo Molnar findet seine Passion. Sechs Jahre später ist er bereits stolzer Träger des schwarzen Gurts (1. Dan). Einige Jahre später absolviert er sogar die Prüfung zum Sempai (2. Dan).

So ganz ausleben kann er seine Aggressivität indes auch hier nicht. «Beim Karate wird der Schlag kontrolliert, um den Niederschlag des Gegners zu vermeiden», sagt Molnar. Er fängt deshalb parallel mit Kickboxen an - und startet auch da durch. Sechs Jahre boxt er im Halbschwergewicht in der Vollkontaktvariante.

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Laszlo Molnar, der Kickboxer: Mit Fäusten und Füssen traktiert der 73-Jährige einen Boxsack.

Einen Kopfschutz trägt man damals noch nicht - und geboxt wird mit 8-Unzen-Handschuhen. Das ist über kurz oder lang gesundheitsschädigend. Erfolgreich ist er dank seines Ehrgeizes und seiner Selbstdisziplin. «Meine Herkunft, meine strenge Erziehung haben meinen Charakter geprägt. Ich wollte immer aufs Podest, ein vierter Platz zählte für mich nichts.» Er eifert seinem Vorbild, der Schweizer Kampfsportlegende Andy Hug nach, die er später persönlich kennen lernt und verehrt.

Eine zweite Familie

Am 13.Oktober 2006 hängt Laszlo Molnar seine Handschuhe nach dreissig Jahren Kickboxen an den Nagel. Aus Selbstschutz. Im Training hatte er nach einer unsportlichen Aktion des Gegners seine Aggressionen nicht unter Kontrolle, verletzte diesen ziemlich schwer. «Ich hatte zwei Jahre mit Entzugserscheinungen zu kämpfen», erinnert er sich. Karate hilft ihm in dieser für ihn schweren Zeit. Wobei Molnar sagt: «Karate ist nicht nur ein Sport, Karate ist eine Lebensschule.»

Eine Schule, die ihn lehrt, seinem Gegenüber immer auf Augenhöhe zu begegnen. Zu diesem Zeitpunkt trainiert Molnar - zuvor während 34 Jahren dem Shotokan-Karate verschrieben - bereits seit über zwei Jahren im Goju Kan an der Gutenbergstrasse in Bern. Erik Golowin, zusammen mit seiner Frau Inhaber und Leiter des Zentrums für Kampfkunst und Gesundheit, sagt über das älteste Clubmitglied: «Vor seiner Trainingsdisziplin habe ich Achtung. In unserer Schule ist er ein Vorbild für die Jungen.

Nicht nur wegen seines Alters, auch weil er ihnen vorlebt, wie Kampfsport den Charakter stärkt.» Früher fixiert auf Siege, sagt Molnar heute: «Worte, schöner als jeder Podestplatz.» Und er schwärmt von seiner «zweiten Familie», wie er das Goju Kan nennt. «Ich habe hier wunderbare Menschen kennen gelernt.»

Viermal pro Woche Training

Rund 300 Schülerinnen und Schüler trainieren derzeit in sechs verschiedenen Kampfsportdisziplinen im Goju Kan. Neben dem wöchentlichen Krafttraining ist Laszlo Molnar auch zweimal pro Woche im Freibad Weyerli anzutreffen, wo der überzeugte Nichtraucher pro Einheit 1,25 Kilometer schwimmt. Dazu kommt eine wöchentliche Karateeinheit.

«Es ist eindrücklich, dass er mit seinen 73 Jahren immer noch in einer Klasse mittrainiert, in welcher der Altersdurchschnitt bei rund 35 Jahren liegt - und dies mit der gleichen Trainingsintensität wie alle übrigen Teilnehmer», sagt Erik Golowin über seinen Schützling. «Ich hoffe, dass er uns noch lange erhalten bleibt.» Der Kraftraum wäre sonst leer am Donnerstagmittag.