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Michael Kruse, FDP-Politiker, Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft

Quelle: Bertold Fabricius

„In dem Maße, wie wir kritisiert werden, erfahren wir auch Unterstützung“

Die Ereignisse in Thüringen beeinflussen auch die Hamburger Bürgerschaftswahl. FDP-Fraktionschef Michael Kruse über seine Erlebnisse in der Stadt, seine Zuversicht bezüglich des Wahlergebnisses und die Zukunft des Hafens.

Michael Kruse gehörte in der ablaufenden Legislaturperiode zu den auffälligsten Abgeordneten der Bürgerschaft. Vor allem in wirtschaftspolitischen Debatten meldete sich der 36-Jährige immer wieder zu Wort, nach dem Wechsel Katja Sudings nach Berlin wurde der studierte Volkswirt gemeinsam mit Anna von Treuenfels an die Fraktionsspitze seiner Partei gewählt.

Sollten die Liberalen, die zuletzt bei Umfragen bei 4,5 und fünf Prozent lagen, am 23. Februar erneut in das Landesparlament gewählt werden, könnte in einer Deutschland-Koalition sogar ein Senatorenposten möglich sein. Aber zunächst einmal gilt es, nach der Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten in Thüringen wieder Vertrauen zurückzugewinnen.

WELT: Nach den Auswirkungen der Vorgänge in Thüringen auch auf die Hamburger FDP – wie schwierig ist es, jetzt noch Wahlkampf zu machen, was erleben Sie?

Michael Kruse: Ich bin in der ganzen Stadt unterwegs. Es gibt bei den Menschen den Wunsch, sich rückzuversichern, dass wir anders sind als das Image, das uns in den letzten Tagen versucht wurde überzustülpen. Thüringen war ein Hallo-wach-Moment: In dem Maße, wie wir kritisiert werden, erfahren wir auch Unterstützung, weil viele Menschen wissen, dass wir gerade hier in Hamburg für Toleranz, Vielfalt und Weltoffenheit stehen. Manche Menschen, mit denen ich gesprochen habe, wollen uns jetzt gerade ihre Stimme geben, um ein Zeichen zu setzen. Das schönste Erlebnis war ein Mitglied einer anderen demokratischen Partei, das mir Hilfe bei der Reparatur meiner zerstörten Plakate angeboten hat.

WELT: Sie hatten ursprünglich das ohnehin ambitionierte Wahlziel von mindestens zehn Prozent der Stimmen ausgegeben. Stand jetzt wären Sie vermutlich froh, überhaupt in der Bürgerschaft vertreten zu sein, oder?

Kruse: Wir werden in der Schlussphase massiv mobilisieren. Lange Zeit hat sich vieles auf das Duell um das Bürgermeisteramt konzentriert, das ändert sich gerade, denn das Duell ist entschieden. Wir haben für die verbleibenden Tage bis zur Wahl noch viele Aktionen geplant, mit denen wir unsere liberalen Inhalte in den Vordergrund stellen. Wir stehen für das, was der Senat in vielen Dingen vermissen lässt: Mut, Optimismus, Gestaltungswillen für die immensen Chancen Hamburgs! Damit wollen wir Hamburgs Wachstumspotenziale heben.

WELT: Könnte die Hamburger FDP – sollte sie es denn in die Bürgerschaft schaffen – als Koalitionspartner ausfallen, weil SPD und CDU die Proteste ihrer Mitglieder und Wähler fürchten müssen?

Kruse: Nein. Und natürlich schaffen wir es in die Bürgerschaft und sind bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen. In bürgerlichen Kreisen wurde eine Zeit lang überlegt, ob man jetzt nicht SPD wählen müsse, um eine grüne Bürgermeisterin zu verhindern. Nachdem sich SPD und Grüne in Umfragen deutlich voneinander getrennt haben, verpuffen diese Gedankenspiele, und unsere Wählerschaft versammelt sich hinter uns. In jeder Krise steckt eine Chance, und wir werden diese Chance nutzen.

WELT: Sie selbst haben sich in den vergangenen Jahren mit der Wirtschaftspolitik beschäftigt, insbesondere mit Energie- und Hafenthemen. Was würde die FDP als Teil einer Regierung denn hier anders machen?

Kruse: Hafen ist Zukunft, deswegen darf der Hafen nicht weiter aus dem Senat heraus bekämpft werden. Wir haben es bei der Elbvertiefung gesehen, und wir sehen es bei Infrastrukturprojekten wie der A26-Ost und der Köhlbrandquerung: Wann immer der Hafen weiterentwickelt werden soll, sind die Grünen dagegen. Der Senat muss sich zum Hafen bekennen, denn dort findet die Wirtschaft der Zukunft statt. In den vergangenen neun Jahren ist der Hafen nicht vom Fleck gekommen. Bei der Elbvertiefung sehen wir es ganz konkret. Die hat noch gar nicht begonnen, da ist schon wieder die erste Verzögerung da. Wichtige Themen lässt der rot-grüne Senat liegen: Jedes Jahr werden 80 bis 100 Millionen Euro für die Kreislaufbaggerei ausgegeben – da brauchen wir ein nachhaltiges Konzept inklusive Koordinierung mit dem Bund. Wir wollen eine proaktive Ansiedlungspolitik, denn innovative Unternehmen wie Tesla konnten nicht für Hamburg gewonnen werden, weil Rot-Grün die Flächenentwicklung vernachlässigt hat.

WELT: Das Stichwort dabei ist immer der sogenannte Hafenentwicklungsplan. Ist ein solcher Plan in der Form, wie man ihn vielleicht vor zehn Jahren gemacht hat, überhaupt noch realistisch? Die politischen Verschiebungen auf der Welt, von denen der Hafen als Umschlagplatz abhängig ist, sind doch kaum noch berechenbar.

Kruse: Ja, denn ein Hafenentwicklungsplan soll nicht nur Container zählen, die von und nach Hamburg kommen und gehen. Der Hafenentwicklungsplan zeigt Wachstumspotenziale auf. Ich habe das Thema Industrieansiedlung erwähnt und dass da Chancen liegen bleiben. Energiepolitik ist heute das zentrale Thema für die produzierenden Unternehmen. Außer einem überteuerten Netzrückkauf, der viel Zeit gekostet hat, gibt es bei diesem Senat keine energiepolitische Vision. Wir sagen: Energie ist so wichtig für die Wirtschaft, dass die Zuständigkeit dafür in Zukunft wieder bei der Wirtschaftsbehörde liegen muss. Und natürlich wird die anstehende Transformation im Energiebereich im Hafen passieren. Auch deshalb ist der Hafenentwicklungsplan so wichtig.

WELT: Gerade erst gab es die Meldung, dass verschiedene Reedereien bestimmte Ladungsströme nicht mehr nach Hamburg leiten, sondern woandershin. Ist das noch normales Umschichten von Handelsketten oder ein Alarmsignal?

Kruse: Das ist alarmierend. Die großen Containerreedereien, die mit einigen Jahren Vorlauf ihre Umläufe planen, haben immer noch keine Sicherheit, wann sie denn mit einer breiteren und tieferen Elbe rechnen können. Hamburgs Politik muss Planungssicherheit schaffen, nur dann investieren Unternehmen auch. Wenn wir das nicht tun, wird der Hafen weiter Ladung verlieren. Und wenn die Ladung weggeht, dann schwächt das die Wettbewerbsfähigkeit der Metropolregion Hamburg, denn der Hafen hat eine Zubringerfunktion. Stärken wir also den Zubringer, denn damit stärken wir die Hamburger Wirtschaft insgesamt.

WELT: Der Hafen ist auch ein großes Klimathema. Schiffe sind oft noch Dreckschleudern.

Kruse: Zunächst einmal kann der Hamburger Hafen durch seine Lage viel zur CO2-Einsparung beitragen: Er liegt am weitesten von allen Nordrange-Häfen im Binnenland, und bezogen auf den CO2-Ausstoß pro Tonnenkilometer ist es vorteilhaft, die Ladung möglichst lange auf dem Schiff zu transportieren. Gerade wenn man auf den CO2-Footprint schaut, müsste eigentlich möglichst viel Ladung per Schiff nach Hamburg gebracht werden, um dann auf der Schiene weitertransportiert zu werden, wo Hamburg besonders stark ist. Der Hamburger Hafen ist Innovationstreiber bei ökologischen Themen. Um den Hafen sauberer zu bekommen, müssen viele Themen auf internationaler Ebene geklärt werden, etwa die Standardisierung von Schiffsanschlüssen an Landstromanlagen, damit am Ende nicht nur Kreuzfahrtschiffe, sondern auch Containerschiffe regelhaft Landstrom beziehen.

WELT: Sie erwähnten schon die Energieproduktion in Hamburg, die ja örtlich eng mit der Elbe verbunden ist. Wo zeigt sich hier eine besondere FDP-Idee?

Kruse: Rot-Grün hat kein Konzept für die Energiewende. Unser Plan sieht vor, das dreckigste Kraftwerk, das wir hier haben, nämlich das in Wedel, schnellstmöglich abzuschalten. Das Kraftwerk Moorburg, das im Moment noch läuft und absehbar noch etwa zehn bis 15 Jahre laufen wird, soll Wedel ersetzen. Denn Moorburg sichert aktuell den Hamburger Strombedarf. Es ist sinnvoll, die ohnehin anfallende Abwärme dieses Kraftwerkes zu nutzen. Das Gleiche gilt für die Industrie: Wir wollen Abwärme, die entsteht, nicht in Elbe und Luft leiten, sondern sie optimal nutzen. Das ist günstig und umweltfreundlich. Es ist eine ökologische und ökonomische Katastrophe, dass Rot-Grün jetzt plant, neben das bestehende Kohlekraftwerk noch ein Gaskraftwerk zu bauen, um dort weitere fossile Energie zu verfeuern und weiteres CO2 zu produzieren. Das zeigt, wie absurd der rot-grüne Klimaplan ist.

WELT: Sollte die FDP zunächst in das Parlament und dann tatsächlich in Regierungsverantwortung kommen – wäre das Wirtschaftsressort eine interessante Behörde für Ihre Partei?

Kruse: Das Wirtschaftsressort ist immer ein interessantes Ressort für die Freien Demokraten. Und dass wir in diesem Bereich gut aufgestellt sind, ist in Hamburg bekannt.


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