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Luise Scherf wusste viel aus ihrer sogenannten Greisen-Kommune zu berichten. Foto: Heidrun Meyer
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„Man muss Distanz halten“

Luise Scherf erzählt im Punkt-Sieben-Gottesdienst

Sittensen Die Menschen werden immer älter – und fühlen sich immer jünger dabei. Manche zählen sich mit 60 schon zum alten Eisen, für andere fängt nach der Pension das Leben nochmal neu an. Welche Möglichkeiten und Perspektiven es im dritten Lebensabschnitt gibt und wie man diesen rechtzeitig plant, um ein glückliches und sinnvolles Leben zu führen, wusste Luise Scherf aus Bremen den Besuchern des Punkt-Sieben-Gottesdienstes zu erzählen.

Die Ehefrau des ehemaligen Bremer Bürgermeisters Henning Scherf beschloss mit ihrem Mann und mehreren Freunden mit Anfang 50, gemeinsam alt zu werden. Jetzt, 30 Jahre später, gibt es diese Hausgemeinschaft immer noch. Dem Moderator des Abends, Jörg Miesner, gab sie ausführlich Einblick in diese Lebensform und schilderte auch ihren eigenen Werdegang. Sich selbst beschreibt die studierte Musikpädagogin als „überzeugte Norddeutsche“, der irgendwann nach der Geburt der drei Kinder „die Eintönigkeit des Hausfrauendaseins gegen den Strich ging“, so dass sie in den Beruf als Lehrerin zurückkehrte. Ihr Appell: Immer über den Tellerrand gucken, auch als Frau und Mutter. Als die Kinder aus dem Haus waren, engagierte sie sich ehrenamtlich bei Amnesty International, ging für ein Jahr nach Managua, der Hauptstadt von Nicaragua, um dort ein Musikprojekt für arme Kinder aufzubauen. Überhaupt ist sie ehrenamtlich sehr aktiv, Musik spielt immer eine wichtige Rolle. „Ohne Musik wäre das Leben ein Missverständnis“, sagt die knapp 82-Jährige und plädiert dafür, dass Menschen Musik machen sollen, stimmlich, instrumental oder mit Tanz und Bewegung.

Nachdem der Entschluss feststand, gemeinsam alt zu werden, kaufte die Gruppe in der Bremer Bahnhofsvorstadt ein großes Haus und baute es barrierefrei um. Damit betrat die Gruppe in den 1980-er Jahren Neuland.

Auf die Frage des Moderators, welche Ziele sie sich für das Zusammenleben gegeben hätten, antwortet Scherf: „Es ist wichtig, dass es möglichst viele Ähnlichkeiten und Vorlieben gibt, auch wenn jeder Mensch natürlich unterschiedlich ist.“ Den Alltag zusammen meistern, aber in getrennten Wohnungen, lautet die Devise. „Man kann jede Tür zumachen und Abstand halten. Man findet sich ja auch mal bekloppt“, gibt sie unumwunden zu. „Wir sind keine WG, sondern eine Hausgemeinschaft“, betont Scherf, die diesem Modell den Namen „Greisen-Kommune“ gegeben hat. Trotzdem gibt es genügend Platz für Begegnung in dem großen Haus, das nach ihren Worten in vier Eigentumseinheiten über zwei Etagen barrierefrei umgebaut wurde. Keiner der Bewohner habe die Entscheidung bereut.

„Wir haben uns gegenseitig versprochen, auf freundschaftlicher Basis miteinander zu leben. Und wenn jemand krank wird, hilft der andere, soweit es möglich ist.“ Der Fall trat schnell ein. Nach kurzer Zeit erkrankte eine Mitbewohnerin mit 54 Jahren an Krebs. Sie wollte bleiben und gepflegt werden. Nach ihrem Tod erkrankte auch deren Sohn an Krebs und starb mit 29 Jahren. Auch er blieb in der Hausgemeinschaft und wurde gepflegt. Die Krebsbegleitung bis zum Sterben war prägend. „Ich habe danach gesagt, dass die nächsten 20 Jahre nicht mehr gestorben wird. Und es hat geklappt“, lässt die agile Bremerin wissen. Dass es in einer Lebensgemeinschaft auch zu Problemen kommen kann, beschönigt Scherf nicht. Ihr Rezept: „Erst einmal darüber schlafen, dann miteinander reden. Es ist wie in einer Partnerschaft, man muss sich in den anderen hineinversetzen. Die Chemie muss grundsätzlich stimmen, dann hat man eine gute Basis.“ Auf das Älterwerden müsse man sich vorbereiten, rechtzeitig, am besten, wenn man noch berufstätig sei: „Es erwischt alle. Man muss es für sich akzeptieren, dass man ein alter Mensch wird.“ Ist die Entscheidung gefallen, zusammen alt zu werden, rät sie dazu, das Projekt auf Distanz anzulegen. „Jeder muss wieder wegkönnen. Dann kann man auch Nähe zulassen.“

Den Impuls hielt Pastor Andreas Hannemann. Alt werden sei ein Segen, in der Bibel werde das Alter ebenso als ein Segen verstanden. Es bedeute aber auch Last. „Alt sein braucht Fürsorge. So ist das vierte Gebot für die alten Eltern geschrieben“, so Hannemann.

Gebete, Lieder und Musik umrahmten den Gottesdienst.