Sind Hummels, Bürki und Co. nicht titeltauglich?

Mit einem aufgemotzten Kader, riesigen Vorschusslorbeeren und dem Ziel Meisterschaft startete Borussia Dortmund in die Bundesliga-Saison. Doch die Euphorie ist längst verflogen. Vor allem die anhaltenden Defensivprobleme machen dem BVB zu schaffen - und wecken Zweifel an der Titeltauglichkeit der Abwehrspieler und des Torwarts.

32 Gegentore nach 21 Spieltagen - eine derart schlechte Defensiv-Bilanz wies der BVB zuletzt vor zwölf Jahren auf. Damals landete Dortmund am Ende der Saison auf Tabellenplatz 13.

Doch in der aktuellen Spielzeit sind die Ambitionen ganz andere. Die Borussia sieht sich selbst als Titelkandidat und rief die Meisterschaft auch öffentlich als Saisonziel aus.

Im Angriff wird der BVB diesen Ansprüchen gerecht. 59 eigene Treffer sind der Spitzenwert der Liga. Doch die teils dilettantische Leistungen beim Toreverhindern bereitet Verantwortlichen und Spielern Kopfzerbrechen.

"Das begleitet uns schon ein bisschen länger. Wir sind in den entscheidenden Momenten zu passiv und kriegen zu viele Gegentore. Deshalb stehen wir aktuell nicht besser da", kritisierte Sportdirektor Michael Zorc zuletzt.

Lucien Favre wirkt rat- und hilflos

Die nackten Zahlen sind tatsächlich alarmierend. In der laufenden Saison hat das Team von Trainer Lucien Favre bereits sechs Mal eine Führung verspielt, 14 Punkte gingen dadurch verloren. Acht Mal kassierte der BVB drei oder mehr Gegentore.

Allein in der Rückrunde klingelte es bis dato schon elf Mal im Kasten der Borussia. Selbst das Tabellenschlusslicht aus Paderborn kassierte in diesem Zeitraum zwei Treffer weniger.

Mit seinen 32 Gegentoren stellt der BVB wenig verwunderlich die mit Abstand schlechteste Abwehr der Top-Klubs der Liga. Sogar unter den ersten elf Teams der Tabelle ist keins defensivschwächer als die Borussia.

"Seitdem ich Trainer bin, hatte ich selten eine Mannschaft, die solche Schwierigkeiten hat", kommentierte Favre bei "Sport1" das Spiel seiner Schützlinge gegen den Ball - eine Aussage, die verdeutlicht, dass der Schweizer zunehmend hilflos wirkt.

Bitter für den BVB und Favre: Seine Wechsel zwischen Dreier- und Viererkette sowie Umstellungen in der defensiven Mittelfeldzentrale von zwei zu einem Sechser verpufften wirkungslos.

Chaos statt Stabilität beim BVB

Fehlerfrei präsentierte sich in dieser Saison zudem kein Abwehrspieler des BVB: Manuel Akanji wirkt häufig völlig von der Rolle und orientierungslos, Mats Hummels kann seine Mitspieler augenscheinlich nicht so mitreißen, wie es von ihm erwartet wird.

Lukasz Piszczek, Dan-Axel Zagadou und Nico Schulz unterlaufen immer wieder kleinere Patzer, die nicht selten schwerwiegende Folgen haben. Achraf Hakimi zeigt zwar offensiv überragende Leistungen, muss hinten aber noch zulegen. Leonardo Balerdi und Mateu Morey sind in Favres Augen noch nicht so weit, um Einsatzzeiten zu bekommen.

"Wir können eine internationale Topmannschaft sein, aber das sind wir nicht, wenn wir dem Gegner jedes Mal wieder das Spiel überlassen", zürnte Hummels nach der 3:4-Pleite gegen Bayer Leverkusen bei "Sky".

Nach Führungen agiert der BVB oft viel zu passiv und lässt sich in der eigenen Hälfte einschnüren. "Wir wissen, dass das so ist, aber bekommen es leider nicht abgestellt", bemängelte Hummels.

Erschreckend: 91 Prozent seiner Gegentore kassierte der Revierklub aus dem Spiel heraus, ließ sich also vom Gegner ausspielen.

Horror-Saison für Roman Bürki

Doch nicht nur die Abwehr wird den Ansprüchen nicht gerecht. Auch Torhüter Roman Bürki spielt eine schwache Saison. 50 Prozent der Schüsse auf sein Tor wehrt der Schweizer lediglich ab. Der Liga-Durchschnitt der Keeper liegt bei 68 Prozent.

Zum Vergleich: Bester Schlussmann im deutschen Oberhaus ist in dieser Statistik aktuell Rafal Gikiewicz (71,7 Prozent) von Union Berlin, gefolgt von Leverkusens Lukas Hradecky (70,3) und Manuel Neuer (68,9).

Warum der BVB derzeit zur Schießbude der Bundesliga avanciert, kann sich aber auch Bürki nicht wirklich erklären, "letztlich liegt es aber wohl am unbedingten Willen, das Tor zu beschützen und zu verteidigen", sagte er gegenüber "Spox".

Dem BVB läuft die Zeit davon

Genau dort sieht auch Zorc das Problem. Der Sportdirektor fordert von den Spieler mehr Zweikampfhärte. "Das ist in manchen Situationen das Mittel der Wahl. Was fehlt, ist das Bewusstsein, das eigene Tor zu beschützen. Wir reden immer über das Gleiche", so Zorc.

Auch Neuzugang Emre Can legte den Teamkollegen nach seinem Startelf-Debüt gegen Leverkusen eine "dreckigere" Spielweise nahe.

Viel Zeit haben die Dortmunder nicht, um ihre Probleme zu lösen. Der Rückstand auf Tabellenführer FC Bayern beträgt inzwischen bereits vier Punkte. Von hinten macht Leverkusen Druck auf den BVB.

Sollte die Qualifikation für die Champions League in Gefahr geraten, könnte Favre sogar noch während der laufenden Saison seinen Job verlieren, heißt es. Dann müsste sich ein anderer Trainer um die historisch schlechte Defensive kümmern.

Lissy Beckonert