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Blondierter Fußball-Oldie: Claudio Pizarro, hier agil im Training, spielt bei Werder Bremen bisher in dieser Saison kaum eine Rolle.
(Foto: imago images/Nordphoto)

Werder greift zu ungewöhnlichen Maßnahmen

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Womöglich fällt es Claudio Pizarro, 41, immer schwerer, kein entscheidender Faktor mehr zu sein bei seinem Lieblingsklub Werder Bremen, zu dem er fünf Mal in seiner Laufbahn gewechselt ist. Dass der Peruaner zu Jahresbeginn zum Rapport musste, weil er ein Foto veröffentlicht hatte, auf dem er im Thailand-Urlaub gut gelaunt ein Bier trank, obwohl sein Verein gerade um den Erhalt der Bundesliga kämpft, hat ihn offenbar kaum berührt - der Schnappschuss ist weiterhin auf seinem Instagram-Account zu sehen.

Nach dem 0:2 gegen Union Berlin am Samstag hat der seit kurzem blondierte Routinier nun die nächste kleine Sünde begangen. Während seine Kollegen wie üblich auf dem Rasen den Kreis mit Trainer Florian Kohfeldt bildeten und danach zu den enttäuschten Fans gingen, war der diesmal für 15 Minuten eingewechselte Stürmer Pizarro lieber in die Kabine getrottet.

Aber auch dieses Foul am Gemeinschaftssinn zog keine Strafe nach sich, nur ein "kritisches Gespräch" (Geschäftsführer Frank Baumann), in dem der Klub Pizarro auf die fatale Außenwirkung hinwies. "Die Sache ist wahrlich nicht unser größtes Problem momentan", betonte Trainer Kohfeldt. Pizarro ist, anders als noch in der vergangenen Saison, immer seltener eine sportliche Hilfe. In der Rückrunde hat er erst 21 Minuten gespielt, zu seinen 197 Bundesligatoren hat er in dieser Saison keines hinzugefügt. Und doch sind seine kleinen Vergehen mehr, als Kohfeldt zugeben mag. Denn bisher galt Pizarro als einer, zu dem die jüngeren Spieler aufschauen konnten. Immerhin ist der 41-Jährige, was die "Stressresistenz" angeht, laut Kohfeldt noch immer ein Vorbild, denn diese Eigenschaft strahle Pizarro weiterhin aus.

Aber reicht das, um am Saisonende einen ehrenvollen Abschied zu feiern und dem SV Werder die Klasse zu retten?

Die Diskussion um den Trainer geht weiter

Die große sportliche Krise, die nach der fünften Heimniederlage in Serie mit 1:13 Toren und der schlechtesten Bremer Zwischenbilanz der Bundesliga-Historie herrscht, hat jedenfalls zu ungewöhnlichen Maßnahmen geführt. Noch nie hat Werder im Februar ein dreitägiges Trainingslager anberaumt wie nun vor der Partie beim Liga-Zweiten RB Leipzig am Samstag. Seit Mittwochabend beziehen die Bremer ein Fünf-Sterne-Quartier in der Messestadt. Die Übungseinheiten auf der Anlange des Regionalligisten Chemie Leipzig sind nicht öffentlich, Pressegespräche gibt es nicht - man schließt das Volk also aus, um "alle Störfaktoren", wie es hieß, zu beseitigen. Schließlich ist die Gefahr, zum zweiten Mal nach 1980 aus der Bundesliga abzusteigen, für den Tabellensiebzehnten noch größer als in den vergangenen Jahren, als es auch einige Male knapp war.

Zwei Experten sollen in Einzel- und Gruppengesprächen die Spieler auf einen anderen Umgang mit der heiklen Situation einstellen: der Psychologe Andreas Marlovits, der selten dabei ist - und der frühere Kapitän Clemens Fritz, der solche Phasen öfter durchgemacht hat. Von Fritz, derzeit Leiter der Scoutingabteilung, den Kohfeldt zu seiner Zeit als Co-Trainer von Viktor Skripnik im Team hatte, hält der Coach besonders viel. Fritz, sagt er, sei sehr eloquent und spreche Dinge klar an. Die Co-Trainer Tim Borowski und Thomas Horsch sowie Manager Baumann werden ebenfalls bei den Sitzungen eingebunden.

Auch Davie Selke, Werders neue Sturmhoffnung, hat trotz seiner Gelbsperre am Samstag die Busreise nach Leipzig mit angetreten. "Davie ist für die Gesamtkonstellation in der Rückrunde ein ganz wichtiger Spieler", erklärte Kohfeldt. Werder will in diesem schweren Moment das Gemeinschaftsgefühl stärken - daher auch der frühe Zeitpunkt dieses Camps: "Wir wollen sehr klar signalisieren, dass wir auf nichts warten wollen", so der Trainer, man habe den Ernst der Lage erkannt und wolle Bequemlichkeiten "im Keim ersticken". Zudem will Kohfeldt seinen verunsicherten Profis konkrete Handlungsanweisungen geben, was sie nach Gegentoren oder anderen Rückschlägen tun sollen.

Die Diskussion um den Trainer selbst geht dennoch weiter. Wegen der langfristigen Ziele will die Vereinsführung den nach ihrer Ansicht idealen Werder-Coach nicht verlieren. Geht es um kurzzeitige Effekte, könnte aber vielleicht eher ein anderer Impuls zum Klassenerhalt führen. Allerdings gibt es auch eine Menge Gegenbeispiele: In der vergangenen Saison haben alle Personalwechsel beim Nordrivalen Hannover 96 nichts gebracht, ein Jahr zuvor haben vier Trainer den Erzrivalen Hamburger SV nicht gerettet. Beide spielen jetzt in Liga zwei.

© SZ vom 13.02.2020/schm
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