CDU-Politiker im Interview
Günther Oettinger: „Zu viele Bürger wissen nicht mehr, wofür die CDU steht“
Der frühere EU-Kommissar spricht im Interview über die Fehler der scheidenden CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer und über die Chancen für ihre möglichen Nachfolger.
by Thomas Sigmund, Jan HildebrandBerlin. Der frühere CDU-Ministerpräsident aus Baden-Württemberg und ehemalige EU-Kommissar Günther Oettinger stellt hohe Anforderungen an den neuen Parteivorsitzenden. „Er muss die Partei wieder unverwechselbar machen. Es gibt zu viele Bürger, die nicht mehr wissen, wofür die CDU steht“, sagte Oettinger im Interview mit dem Handelsblatt.
Die CDU habe bei verschiedenen Themenfeldern wie etwa der Wirtschaftspolitik an Profil eingebüßt. „Der künftige Parteichef muss die CDU in seiner Person verkörpern und ein modernes konservatives Leitbild abgeben. Dann stellt die CDU auch den nächsten Kanzler“, sagte er.
Oettinger forderte die Kandidaten zu Einigkeit auf. „Ich plädiere sehr dafür, den Parteivorsitzend und damit den Kanzlerkandidaten nicht wieder in einem derart offenen Wettstreit auszumachen“. Armin Laschet, Friedrich Merz und Jens Spahn sollten gemeinsam eine schnelle Einigung herbeiführen“, sagte Oettinger, der alle drei für „kanzlerfähig“ hält.
Oettinger schlug vor, dass die Führungsgremien jetzt einen Zeitplan für die Wahl eines oder einer neuen Parteivorsitzenden festlegen. „Die Entscheidung sollte vor der parlamentarischen Sommerpause erfolgen. Im Juni sollten wir wissen, mit wem wir bei der Bundestagswahl antreten“, sagt er.
Friedrich Merz traut er zu, mit einem klaren konservativen Profil den Stimmenanteil der AfD halbieren. „Das halte ich für möglich. Mit einer klaren Führung und einem modernen konservativen Kurs kann die CDU hier gegenhalten“, sagte er. Oettinger wollte sich aber nicht auf Merz festlegen. „Das könnte übrigens auch Armin Laschet. Er ist ein starker Ministerpräsident und hat bewiesen, wie man so ein großes Bundesland erfolgreich regieren kann“.
Lesen Sie hier das komplette Interview:
Ist der Rückzug von Annegret Kramp-Karrenbauer vom CDU-Vorsitz und der Kanzlerkandidatur richtig?
Der Rückzug war nicht zwingend notwendig. Aber er ist meines Erachtens sehr konsequent und verdient vollen Respekt.
Ist Kramp-Karrenbauer über eigene Fehler gestolpert, oder fehlte es ihr an Unterstützung aus den eigenen Reihen?
Zu Beginn ihrer Amtszeit hat Frau Kramp-Karrenbauer eher kleinere Fehler oder unkluge Äußerungen gemacht. Das allein rechtfertigt keine so weitreichende Entscheidung. Mit Blick auf die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen hat Frau Kramp-Karrenbauer dann aber die notwendige Autorität gefehlt.
Was meinen Sie damit konkret?
Die Bewertung der Vorgänge in Thüringen durch die Bundeskanzlerin war derart klar ...
... Sie hat die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten durch die Stimmen von CDU und AfD als „unverzeihlichen Vorgang“ bezeichnet.
Genau, danach verblasste aber jede Vorgehensweise von Frau Kramp-Karrenbauer. Hier hätte man sich gewünscht, dass die CDU-Parteivorsitzende Klartext spricht und die Angelegenheit klärt.
War das ein Fehler der Kanzlerin? Hat sie damit die CDU-Chefin demontiert?
Die Kanzlerin ist ja nicht aus der Welt, selbst wenn sie auf Auslandsreise ist. Dass sie sich zu solchen Fragen äußert, ist doch nachvollziehbar. Zumal sich auch die SPD-Spitze und die CSU durch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ohne Zögern eindeutig positioniert haben. Es war der Fehler von Frau Kramp-Karrenbauer, dass sie nicht vor Angela Merkel in gleicher Weise Klartext gesprochen hat.
Wie sollte die CDU denn jetzt weiter verfahren?
Die Führungsgremien sollten jetzt einen Zeitplan für die Wahl eines oder einer neuen Parteivorsitzenden festlegen. Die Entscheidung sollte vor der parlamentarischen Sommerpause erfolgen. Im Juni sollten wir wissen, mit wem wir bei der Bundestagswahl antreten.
Günther Oettinger – Vita
Der CDU-Mann
Der Jurist und Volkswirt startete seine politische Karriere in der Jungen Union, arbeitete sich dann auch in der CDU nach oben. Von 2005 bis 2010 war er Ministerpräsident von Baden-Württemberg.
Der EU-Kommissar
Dreimal war Oettinger EU-Kommissar, fünf Jahre lang für Energie, zwei Jahre für digitale Wirtschaft. Von 2017 bis November 2019 verwaltete er den EU-Haushalt in Brüssel.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt bezeichnet ein Abwarten bis zum Sommer als abwegig. Ihre Schwesterpartei hätte das gern viel schneller. In Bayern stehen Mitte März wichtige Kommunalwahlen an.
Das kann ich verstehen. Die Kommunalwahlen sollten aber kein Grund sein, so wichtige Entscheidungen überstürzt zu fällen. Ich glaube, es wird noch einige Wochen dauern, bis wir überhaupt wissen, wer kandidieren will.
Die Partei ist seit der Wahl von Kramp-Karrenbauer zur CDU-Vorsitzenden im Dezember 2018 nie zur Ruhe gekommen. Woran lag das?
Wir hatten eine instabile Koalition im Bund mit einer SPD, die lange Zeit brauchte, um eine neue Parteispitze zu wählen.
Und in der CDU?
Nach der knappen Wahl von Frau Kramp-Karrenbauer war schon eine gewisse Spaltung der Partei spürbar. Zusätzlich sorgte die Trennung von Parteivorsitz und Kanzleramt für weitere Instabilität.
Diese instabile Konstruktion gilt nun aber auch für den Nachfolger von Frau Kramp-Karrenbauer. Die Kanzlerin bleibt ja im Amt.
Wenn wir im Juni einen Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten haben, dann wird der ab dem ersten Tag die Autorität haben, das Profil und das Bild der CDU zu prägen. Er wird vermutlich auch nicht Mitglied der Bundesregierung unter Führung der Kanzlerin sein. Dann könnte er eine Kompetenzmannschaft aus Frauen und Männern für die Bundestagswahl aufstellen und das Wahlprogramm ausarbeiten.
Ich halte alle drei für kanzlerfähig.
Nach dem Rücktritt von Angela Merkel vom CDU-Vorsitz gab es im Herbst 2018 einen Wettbewerb zwischen Kramp-Karrenbauer, Merz und Spahn. Wie sollte nun der neue Parteichef gefunden werden? Merz hat bereits verlauten lassen, dass er kandidieren will.
Ich plädiere sehr dafür, den Kanzlerkandidaten und damit den Parteivorsitzenden nicht wieder in einem derart offenen Wettstreit auszumachen. Armin Laschet, Friedrich Merz und Jens Spahn sollten gemeinsam eine schnelle Einigung herbeiführen. Ich halte alle drei für kanzlerfähig.
Die Kanzlerin selbst sagt ja, die Trennung von Parteivorsitz und Kanzleramt sei eine Belastung für die Partei. Wieso macht Sie nicht den Weg frei?
Ein entscheidender Faktor ist, dass die SPD nicht bereit sein wird, einen CDU-Kandidaten mitten in der Legislaturperiode zum neuen Kanzler zu machen und ihm damit einen Kanzlerbonus vor den nächsten Bundestagswahlen zu verschaffen. Und eines muss man auch bedenken: Deutschland übernimmt im zweiten Halbjahr die EU-Ratspräsidentschaft. Die Kanzlerin ist hier mit ihrer ganzen Erfahrung und internationalen Anerkennung gefragt.
Halten Sie vorgezogene Neuwahlen für ausgeschlossen?
Der Wähler akzeptiert Neuwahlen nur als Ultima Ratio. Je näher wir dem regulären Wahltag im Jahr 2021 kommen, desto weniger Verständnis hätten die Bürger für Neuwahlen. Ich baue darauf, dass diese Bundesregierung ihre Arbeit macht und das Mandat bis zum Ende der Legislaturperiode erfüllt.
Wie wird sich denn die CDU verändern, wenn Merkel nicht mehr Kanzlerin ist?
Das ist schwer zu sagen. Die CDU sollte jedenfalls wieder mehr ihre Wirtschaftskompetenz betonen. Die wirtschaftliche Lage hat sich eingetrübt. Deshalb sollte die CDU die Wachstumskräfte wieder entfesseln. Dazu gehören Steuersenkungen, Bürokratieabbau oder niedrigere Strompreise.
Friedrich Merz sagt, er könne mit einem klaren konservativen Profil den Stimmenanteil der AfD halbieren. Halten Sie das für möglich?
Das halte ich für möglich. Mit einer klaren Führung und einem modernen konservativen Kurs kann die CDU hier gegenhalten. Das könnte übrigens auch Armin Laschet. Er ist ein starker Ministerpräsident und hat bewiesen, wie man so ein großes Bundesland erfolgreich regieren kann.
Aus welchem Holz muss denn der künftige CDU-Chef geschnitzt sein?
Er muss die Partei wieder unverwechselbar machen. Die CDU hat bei verschiedenen Themenfeldern wie etwa der Wirtschaftspolitik an Profil eingebüßt. Es gibt zu viele Bürger, die nicht mehr wissen, wofür die CDU steht. Der künftige Parteichef muss die CDU in seiner Person verkörpern und ein modernes konservatives Leitbild abgeben. Dann stellt die CDU auch den nächsten Kanzler.
Herr Oettinger, vielen Dank für das Gespräch.
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