Dortmunds Defensivabteilung fehlt die Kernkompetenz
32 Gegentore hat der BVB kassiert. Die löchrige Defensive wird dem Team von Lucien Favre wohl die Meisterschaft kosten. Vor dem Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt nimmt der Druck auf den Trainer zu.
Die Stärke von Lucien Favre ist die Analyse. In der Hinrunde der vergangenen Saison, als Borussia Dortmund mit offensivem Fußball die Bundesliga dominiert hatte, gab es keine zwei Meinungen darüber, warum alles viel besser funktioniert als noch in der Spielzeit zuvor.
Favre sei jemand, der anhand von konkreten Beispielen sehr plastisch verdeutlichen kann, wo Spieler Fehler machen, und der ihnen kompetent erklären kann, wie sie die abstellen können. Er sei „fachlich und menschlich der beste Trainer, den ich je hatte“, sagte Marco Reus: „Er zeigt dir, wie du verteidigen sollst, wo du richtig stehst, welchen Fuß des Mitspielers du anspielen musst.“
Mit der gleichen Akribie und Detailversessenheit arbeitet Favre seit Monaten daran, die anhaltenden Defensivschwäche der Dortmunder in den Griff zu kriegen. Der 62-Jährige hält Sitzungen ab und führt Gespräche mit Spielern, denen Fehler unterlaufen sind.
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Favre zeigt ihnen bei der Videoanalyse auf, wo sie falsch gestanden oder eine falsche Entscheidung getroffen haben. Er erklärt ihnen, wie sie es besser machen können. Allein: Es stellt sich keine Besserung ein. Denn beim nächsten Spiel sind es dann häufig wieder ganz andere Spieler, die ganz andere Fehler begehen.
Der BVB kassiert über zwei Gegentore pro Spiel
Elf Tore hat der BVB in den vergangenen fünf Pflichtspielen geschluckt, hinzu kommen fünf Gegentore aus den letzten beiden Spielen vor der Winterpause. Sollte der Trend nicht schnell gestoppt werden, ist es wahrscheinlich, dass das erklärte Saisonziel, der Gewinn der Deutschen Meisterschaft, schon bald zu den Akten gelegt werden muss.
Der Druck vor dem Heimspiel an diesem Freitagabend gegen Eintracht Frankfurt (20.30 Uhr, im Sport-Ticker der WELT) ist groß. „Wir bringen uns um den Lohn unserer Arbeit. Viele Spiele, in denen wir das Gefühl hatten, sie gewinnen zu können, haben wir durch zu einfache Fehler nicht gewonnen“, sagte Sportdirektor Michael Zorc.
Tatsächlich haben die Borussen in der laufenden Saison bereits sechsmal eine Führung aus der Hand gegeben. Zorc stellte klar, wo das Problem liegt: „Tore schießen wir genug.“ Doch defensive Stabilität und Dortmund – das scheint einfach nicht zusammenzupassen.
Zu viele individuelle Schwächen
„Wir müssen weiter an diesen Sachen arbeiten. Das ist die einzige Lösung, ich sehe keine andere als Arbeit, Arbeit, Arbeit“, sagte Favre. Auch in den vergangenen Tagen hat er wieder so ziemlich jedes Szenario, das auf eine Mannschaft im Verteidigungsmodus zukommen kann, trainieren lassen. „Eins-gegen-eins-Situationen, zwei gegen zwei, fünf gegen sechs und so weiter“, erklärte er.
Zudem stellte er erneut Gedanken an, welche taktische Formation besser passe. Auch diese Frage ist nicht leicht beantworten. Weder mit drei Innenverteidigern noch mit einer Viererkette wirkt Dortmund sicher. Zuletzt beim 3:4 in Leverkusen hatte Favre wieder auf ein Duo in der Zentrale gesetzt – ohne Erfolg.
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Die Probleme sind zu vielschichtig, um sie allein durch taktische Maßnahmen beheben zu können. Es gibt individuelle Formschwächen sowohl in der Innen- als auch in der Außenverteidigung. Keiner der drei Kandidaten für die Zentrale – Mats Hummels, Manuel Akanji und Dan-Axel Zagadou – spielt fehlerfrei.
Favre fordert bessere Risikoabwägung
Für Lukasz Piszczek, Achraf Hakimi, Raphael Guerreiro und Nico Schulz, die für die rechte oder linke Außenverteidigerposition infrage kommen, gilt Ähnliches. Es ist auffällig, dass fast alle Abwehrspieler ihre Kernkompetenz im Spielaufbau haben – das erfolgreiche Bestreiten von Zweikämpfen ist jedoch schwierig, wenn zu viele Spieler zu offensiv denken.
Die größte Schwierigkeit liegt jedoch darin, dass die Abwehr von den Offensivspielern zu häufig im Stich gelassen wird. Es gelingt nur selten, nach Ballverlusten ein konsequentes Pressing aufzuziehen. Die Abwehrspieler sind vor allem bei schnellen Tempogegenstößen gezwungen, hohes Risiko zu gehen. Von einer grundsätzlich tieferen Staffelung hält Favre jedoch nichts. „Die Tore, die wir bekommen haben, sind immer auf verschiedene Arten entstanden“, sagte er.
Für Favre liegt der Schlüssel in Fehlervermeidung und einer besseren Risikoabwägung. Dies wird beim BVB jedoch auch teilweise anders bewertet. „Nach dem Rückstand haben wir uns zu passiv angestellt“, hatte Lizenzspielerleiter Sebastian Kehl in Leverkusen gesagt.
Spieler sollen Zähne zeigen
Hummels sieht dies ähnlich. „Nach einer Führung werden wir passiv. Es ist wichtig, dass wir aktiv bleiben und nicht den Gegner stark machen.“ Diesen Thesen widersprach Favre. „Das hat nichts mit Passivität zu tun. Wir müssen reifer sein und das Spiel mehr kontrollieren, wenn wir führen. Wir müssen geduldig sein“, hatte er entgegnet.
Daraus einen grundsätzlichen Dissens zu konstruieren, wäre übertrieben. Fakt ist jedoch: Je länger eine überzeugende Problemlösung ausbleibt, desto größer werden die Selbstzweifel und geringer das Vertrauen in die Lösungsansätze, die der Trainer vorgibt.
Dessen sind sich in Dortmund alle bewusst. „Wir brauchen bei jedem einzelnen Spieler das Bewusstsein, das eigene Tor mehr zu schützen“, appellierte Michael Zorc vor den wichtigen Spielen gegen die Frankfurter und dann am kommenden Dienstag in der Champions League gegen Paris St. Germain an das Team. Auch taktische Fouls seien „in manchen Situationen das Mittel der Wahl.“ Die Mannschaft müsse endliche Zähne zeigen.
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