Gastbeitrag von Ulrich Kelber: "Klarnamenpflicht im Netz vertreibt nicht den Hass, sondern unsere Freiheit"
by FOCUS OnlineDas Internet ist voll von Hasskommentaren. Das ruft immer wieder Befürworter einer Klarnamenpflicht auf den Plan. Die Argumentation: Mit dem echten Namen würden Hass und Hetze im Netz nachlassen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte spricht sich gegen eine solche Pflicht aus - und sieht darin sogar eine große Hürde für die freie Meinungsäußerung.
Gastbeitrag des Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber
Im Internet kann man nie wissen, wer wirklich am anderen Ende sitzt. Ein großes Glück, denn so können wir unabhängig von Geschlecht, Alter, Religion, Sexualität und politischen Ansichten unsere Meinung äußern. Ohne Angst vor Repressionen. Das ist die positive Seite der Anonymität im Internet. Beleidigungen, Drohungen und Hass werden verdächtigt, die dunkle Kehrseite dieser Freiheit zu sein.
Durch die Weiterentwicklung der sozialen Medien ist digitale Kommunikation jetzt unser Alltag. Kein Thema bleibt unkommentiert, keine Nachricht ungeteilt. Alles befindet sich im hitzigen Dauerdiskurs. In der öffentlichen Wahrnehmung wird der Ton im Internet rauer. In Kommentarspalten und sozialen Netzwerken wird nicht mehr sachlich diskutiert. Die künstliche Empörung schaukelt sich schnell hoch.
Von dort ist es nur noch ein kleiner Schritt zu Beleidigungen und Drohungen. Für einige gibt es zur Lösung dieses Problems ein Allheilmittel: die Klarnamenpflicht. Denn wenn man die Übeltäter zumindest beim Namen nennen könne, verzichteten diese vielleicht auf Hass und Hetze. Das ist einerseits naiv, weil Beleidigungen und Feindseligkeit durchaus zunehmend mit Klarnamen veröffentlicht werden. Und gefährlich, weil im Tausch für ein wenig gefühlte zusätzliche Sicherheit einer der Eckpfeiler unser Grundgesetzes gefährdet wird.
Der Gesetzgeber hat sich nämlich bewusst dafür entschieden, dass Internetangebote weitgehend anonym genutzt werden dürfen. Die Meinungsfreiheit ist eines der wichtigsten Grundrechte unserer Demokratie, sagt das Bundesverfassungsgericht.
Klarnamenpflicht: Hürde für freie Meinungsäußerung
Eine Klarnamenpflicht schafft Hürden für denjenigen, der unerkannt eine sachliche Meinung äußern möchte. Hierfür kann es viele Gründe geben. Zum Beispiel den Beruf: Stellen wir uns vor, ein Mitarbeiter eines Flughafens fordert aus ökologischen Gründen weniger Inlandsflüge. Würde er dies öffentlich äußern, wenn sein Name darunter stände? Eher nicht. Der Chef könnte es ja lesen. Und jeder zukünftige Chef genauso.
Auch der Austausch über sensible Themen wäre erschwert: Würden wir uns in Internet-Foren über den Umgang mit Spielschulden unterhalten, wenn wir Angst haben müssten, dass Vermieter und Nachbarn uns erkennen?
Klarname im Netz: Chef, Vermieter oder Bekannte lesen mit
Können wir über Urlaubsziele diskutieren, wenn unsere Namen unter den Beiträgen stehen? Denn das wäre doch eine Einladung für jeden Einbrecher, dass unsere Wohnung bald für einige Zeit unbewacht ist. Und nicht zuletzt: Wäre es nicht deutlich schwerer, uns im Internet gegen Hass und Hetze zu stellen, wenn wir befürchten müssen, dass die Täter uns erkennen? Diejenigen von uns, deren Profile aufgrund Ihrer Funktion oder Bekanntheit schon heute eindeutig zuzuordnen sind, wissen was passiert: Die Gewalt folgt in die reale Welt.
Selbst die schwächste Form einer Klarnamenpflicht – der Anbieter speichert den Namen nicht öffentlich sichtbar – macht es nicht besser. Für jedes soziale Netzwerk wäre dies ein Grund zur Freude. Endlich kann man den gesammelten persönlichen Daten einen Namen zuordnen und noch genauere Nutzerprofile erstellen. Die Folgen einer Klarnamenpflicht wären auch nicht gleichmäßig verteilt. Ein „Jürgen Müller“ kann sich hinter tausenden Namensvettern verstecken. Bei „Ulrich Kelber“ wird es da schon schwieriger.
Mehr zum Thema: Gegen Hass im Netz: Schäuble fordert Klarnamenpflicht für Internetnutzer
Debatte darüber, weshalb bestehende Gesetze nicht angewandt werden
Statt neue Regeln zu fordern, sollte analysiert werden, warum bestehende Gesetze nicht durchgesetzt werden. Beleidigungen und Bedrohungen sind bereits jetzt strafbar. Und viele dieser Straftaten werden unter Nennung des Namens begangen oder ließen sich leicht zuordnen. Angesichts der knappen Personaldecke bei Polizei und Justiz haben allzu oft andere Fälle Vorrang.
Vor diesem Hintergrund sehe ich es kritisch, wenn derzeit zusätzliche Melde- und Berichtspflichten an das Bundeskriminalamt geplant werden. Mehr Daten bedeuten nicht automatisch bessere Rechtsdurchsetzung. Ich habe erhebliche Zweifel, ob überhaupt genügend Personal zur sorgfältigen Auswertung der Meldungen zur Verfügung steht.
Facebook und Co. bei Kampf gegen Hass und Hetze in der Pflicht
Darüber hinaus sehe ich auch die Betreiber von Plattformen, wie etwa sozialen Netzwerken, in der Verantwortung. Wer ein solches Medium eröffnet, muss sich auch um die negativen Auswüchse kümmern. Eine ausgewogene Moderation und redaktionelle Betreuung kann hier Präventionsarbeit leisten.
Der erste Schritt sollte eine Bestandsaufnahme sein. Welche Regeln bestehen bereits? Und wie effektiv werden diese derzeit durchgesetzt? Eine Klarnamenpflicht vertreibt nicht den Hass aus dem Internet, sondern unsere Freiheit.
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