Das grösste Kunstwerk von Bern
Am ehemaligen Swisscom-Hochhaus prangt eine 40 Meter lange Keramikarbeit der Schweizer Künstlerin Shirana Shahbazi. Es gibt nur einen Haken.
by Marina BolzliWo versteckt sich dieses grosse Kunstwerk nur? Wenn man sich von der Strasse her dem ehemaligen Swisscom-Hochhaus an der Ostermundigenstrasse in Bern nähert, sieht man nichts. Nur Grau in Grau und leiser Nieselregen. Autos brausen vorbei, am Tankstellenshop nebenan herrscht reger Verkehr. Der Parkplatz hinter dem Hochhaus ist mit grossen Gittern abgesperrt, hier soll keiner einfach so reinfahren. Zufällig vorbei kam bisher auch niemand.
Dabei gibt es seit dieser Woche viel zu sehen. Auf der 40 Meter breiten Hochhauswand hinter dem Parkplatz hat die Künstlerin Shirana Shahbazi eine monumentale Keramikarbeit geschaffen. Es sind gefärbte Keramikplatten, zu Farbblöcken geordnet, deren Perfektion durch wie zufällig hingeworfene Farbschlieren unterbrochen wird. «A bigger wall» nennt sich das Auftragswerk, grösstenteils finanziert von der Eigentümerin des Hochhauses, einer Firma der Gruppe Reinvest Capital in Genf.
Sie wird voraussichtlich in der zweiten Hälfte dieses Jahres mit dem Umbau des Hochhauses beginnen, es sollen Wohnungen entstehen. Bis dahin und seit rund zwei Jahren gibt es eine kulturelle Zwischennutzung, in deren Rahmen auch die Kunst-am-Bau-Arbeit von Shahbazi entstand.
Mit Eimern werfen
Die Iranerin Shirana Shahbazi lebt seit langer Zeit in Zürich, sie kennt das graue Wetter, hat sich warm angezogen und mit einem SCL-Tigers-Schal dagegen gerüstet. «Mein Mann ist Berner, es ist sein Schal, er ist total Fan der Tigers», sagt Shahbazi. Sie wirkt herrlich unkompliziert, begrüsst den Chef der Bauplanungsfirma, die die Keramikplatten in langwieriger Kleinarbeit an der Wand zusammengesetzt hat, mit einer warmen Umarmung. Es ist die erste Keramikarbeit der 45-jährigen Künstlerin. An diesem Material fasziniert sie die «Outdoor-Festigkeit» und die grosse Farbpalette.
Für das Kunstwerk hat sie mit einer traditionellen Keramikfirma in Portugal zusammengearbeitet. Die Farbschlieren hat sie in Portugal mit einem Eimer an die bereits gebrannten Platten geworfen, worauf sie ein weiteres Mal gebrannt wurden. «Mir gefällt dieses Momenthafte. Auf den Keramikplatten ist nun ein kurzer Augenblick eingebrannt: der des Werfens des Eimers.» Zuvor hatte Shahbazi das Werfen geübt. «Aber da erreicht man natürlich nicht absolute Präzision.» Sie lacht.
Foto: Beat Mathys
Shahbazis Arbeiten gehen immer aus von der Fotografie, sie will Bilder in andere Dimensionen übertragen, sich dabei aber nicht auf eine Technik oder ein Material festlegen. In der Vergangenheit hat sie bereits mit Plakatmalerei, mit Siebdruck oder Stoffen gearbeitet. Für ihre unverwechselbare Bildsprache und den Umgang mit den verschiedenen Facetten der Fotografie wurde sie letztes Jahr als jüngste Preisträgerin überhaupt mit dem Prix Meret Oppenheim geehrt. Viel mehr Ruhm kann es für Schweizer Künstler nicht geben.
Mit Keramikbänken
«A bigger wall» ist auch Shirana Shahbazis monumentalstes Werk. Als sie vor einem Jahr dafür angefragt wurde, ging sie davon aus, dass es mit dem geplanten Umbau zerstört werden würde. Im Lauf des Arbeitsprozesses wurde aber klar: Die Eigentümerin des Hochhauses möchte Shahbazis Arbeit erhalten. Und so prangt das Kunstwerk zwar am Fusse des Hochhauses, kann aber dank einem ausgeklügelten Unterbau in seine Bestandteile demontiert und wieder zusammengebaut werden. Vielleicht gar an einem Ort, der nicht mehr unwirtlicher Parkplatz ist, sondern zum Flanieren einlädt. In die Arbeit eingebaut sind nämlich sogar Keramikbänke. Auch wenn man sich auf denen momentan noch den Po abfriert.
«A bigger wall» ist ab sofort frei zugänglich, Ostermundigenstrasse 93, Bern. Das Kunstwerk befindet sich hinter dem Hochhaus. Foto: Beat Mathys