Erfinder der modernen Malerei

Warum die Ausstellung zu Jan van Eyck eine Sensation ist

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Köln - Jan van Eyck wird zuweilen als „König der Maler“ bezeichnet. Aber ist dieser Ehrentitel überhaupt hoch genug angesiedelt? Denn nachdem der flämische Meister am Kunsthimmel erschienen war, an der Wende von der Spätgotik zur Renaissance, blieb nichts mehr wie es war. Da darf man doch, wie es jetzt Cathérine Verleysen und Johan de Smet vom Museum der Schönen Künste in Gent tun, daran erinnern, dass der Künstler zuweilen mit einem Kometen verglichen wurde: Ein helles Licht jagt aus der Dunkelheit heran – und dann schlägt’s ein. Ab und an schrieb Jan van Eyck auf die Bilderrahmen sein Motto: „Als ich can“ - So gut ich kann. Und er konnte, was er tat, überragend gut.

Jetzt feiert ihn die Stadt Gent in Belgien mit einem Themenjahr, dessen Titel auf der Höhe der Zeit ist: „OMG! Van Eyck war hier.“ Zum Oh-my-God-Angebot zählen vor allem „die größte Van-Eyck-Ausstellung aller Zeiten“ und im Herbst die Eröffnung eines neuen Besucherzentrums für den Genter Altar, der dann in der zentralen Kapelle des Chores untergebracht sein wird. Auch die Uraufführung einer Komposition des Esten Arvo Pärt und ein Licht-und-Ton-Spektakel im Kirchenschiff von St. Nikolas stehen auf dem Programm. Hinzu kommen unter anderem ein vergleichsweise leichtes OMG-Bier, knuffige Opferlamm-Kissen und Edel-Pralinen im Geiste von Van Eyck. Ein kalendarischer Anlass lässt sich für all das nicht finden. Aber wen schert das schon, wenn man einen Kometen feiern kann.

Das belgische Gent feiert den Maler ein ganzes Jahr

Jan van Eyck wurde um 1390 geboren, vielleicht in Maaseik bei Maastricht, wo man einen Dialekt spricht, der dem Kölschen ähnlich sein soll, und er starb in Brügge im Jahr 1441. Doch weder sind Ort und Tag seiner Geburt gesichert noch das Todesdatum und seine Grabstätte. Aber dass er zunächst am Hof von Den Haag gewirkt hat, bis der dort amtierende Herzog Johann von Bayern 1425 einen Giftanschlag nicht überlebte, wissen wir schon. Und besser noch ist belegt, dass er für Philipp den Guten tätig war.

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Porträt von Margareta van EyckFoto: Groeningemuseum

Der mächtige Herzog von Burgund, der aus vielen kleinen Territorien die Burgundischen Niederlande formte, schätzte in Jan van Eyck nicht nur den Hofmaler. Auch schickte er ihn als Kammerherrn, als „valet de chambre“, auf diplomatische Missionen. Berühmt ist die Reise nach Portugal im Jahre 1428, als Jan für seinen Herrn um die Hand der Königstochter Isabella warb. Zwei Porträts von ihr schickte er seinem Herrscher zur Ansicht – eines auf dem Land-, das andere auf dem Seeweg. Man weiß ja, wie heikel die Zustellung zuweilen ist.

Der Künstler wirkte in Den Haag, in Lille und in Brügge, doch sein Hauptwerk steht in der St.-Bavo-Kathedrale in Gent: „Die Anbetung des Lamm Gottes“. Auf dem Rahmen des Altarbildes steht auf Lateinisch geschrieben, dass Hubert van Eyck das monumentale Werk begonnen habe, angeblich ein Künstler, „der von niemandem übertroffen wurde“. Und dass Jan van Eyck, „in der Kunst der zweite“, es im Mai 1432 vollendet habe. Allerdings – über Hubert weiß die Forschung noch viel weniger als über Jan. Welchen Anteil der ältere Bruder tatsächlich an der Attraktion gehabt hat, könnten womöglich Untersuchungen ergeben, für welche die Genter Restauratorin Hélène Dubois aktuell noch Geldgeber sucht: „Wir brauchen gar nicht so viel dafür.“

Das Rätsel des Ursprungs passt zu einem staunenswerten Flügelaltar, dessen Thema die Anbetung des Lamm Gottes gemäß der Offenbarung des Johannes ist. Die 20 Tafeln sind im Laufe der Jahrhunderte mehrfach getrennt, zu 70 Prozent übermalt, meist unzureichend ausgebessert, 1829 in Berlin sogar zersägt, nach dem Ersten Weltkrieg in Belgien wieder zusammengefügt und später von den Nazis versteckt worden. Ein 1934 geraubter Seitenflügel ist bis heute nicht mehr aufgetaucht und nur als Rekonstruktion zu sehen. Ansonsten erstrahlt dieses Polyptychon mehr und mehr im neuen alten Glanz.

Denn seit 2012 wird die originale Schicht freigelegt. So blickt uns nicht nur das Lamm endlich wieder wie – ja - wie ein Mensch an und hört nur noch mit zwei statt mit vier Ohren. Auch verlieren die Farben ihren Gelbstich, erhalten die Kleiderfalten ihre gebirgigen Verwerfungen zurück, sind Wände begradigt und ragen Stadtlandschaften im Hintergrund aufs Neue auf. Vieles ist schon restauriert worden. Allerdings wird die aufwändige Arbeit erst 2024 abgeschlossen sein.

Es geht von einem Highlight zum nächsten

Während das zentrale Bildnis mit dem Lamm Gottes in der Kathedrale zu besichtigen ist, sind zehn Tafeln des Großwerks nun in der Ausstellung „Van Eyck – Eine optische Revolution“ im Museum der Schönen Künste zu sehen. Das älteste Kunstmuseum Belgiens stellt auch die Räume für die öffentlich einsehbare Restaurierung zur Verfügung.

Neben den Altarbildern werden weitere Werke des Meisters präsentiert, ausgeliehen unter anderem in Berlin, London, Wien, Brügge und den USA. Zum Stil-Vergleich sind überdies Arbeiten von Zeitgenossen aus Italien (Fra Angelico, Pisanello, Masaccio u.a.) integriert. Van Eycks Werke stehen nicht am Ende des Rundgangs, sondern sind über die 13 thematisch gegliederten, luftig bestückten Räume verteilt. So eilt der Besucher nicht einem furiosen Finale zu, sondern flaniert von einem staunenswerten Highlight zum nächsten.

Drei große Neuerungen schreibt Maximiliaan Martens, einer der Kuratoren der Ausstellung, dem Künstler zu. Erstens: Van Eyck fand einen Weg, die Trocknungszeit der Ölfarben zu verkürzen, wodurch das Malen mit ihnen populär wurde. Zweitens: Er entfaltete in seinen Porträts einen einzigartigen Detailreichtum. Man muss nur nahe genug an die Bilder herantreten, um zu erkennen, wie beinahe fotorealistisch die Haare des Adam, die Tropfen am Springbrunnen, die Früchte in den Bäumen oder die Warze auf der Wange des Freundes Baudouin de Lanoy gemalt sind. Fantastisch. Gerne hätte man da ein Mikroskop zur Hand – was immerhin im Netz möglich ist auf der Seite „closer to van eyck“.

Drittens und insbesondere hebt Martens die kenntnisreiche und bedeutungsvolle Darstellung des Lichts hervor. Tatsächlich gibt es ein Funkeln in vielen Perlen, eine Reflektion auf der Rüstung, eine Brechung im Juwel. Zuweilen hat sich der Künstler in einer Spiegelung sogar selbst ins Bild gerückt. Am bekanntesten ist sein Auftritt im Wölbspiegel des Arnolfini-Doppelporträts, das leider nicht aus London ausgeliehen werden konnte.

Vollends entschlüsselt sind diese Werke bis heute nicht

Ja, dieser Jan van Eyck versteckte sich nicht in der Anonymität. So signierte er seine Gemälde, was damals keineswegs üblich war. Die Individualität findet in seiner Kunst einen starken Fürsprecher. In jeder Hinsicht. Er malte nicht nur Heilige, sondern auch „wirkliche“ Menschen. Die von ihm porträtierten Personen zeigen Gefühle, verströmen Liebreiz, Keckheit und Melancholie.

Doch der Augenschein, das Staunen über Form und Farbe, ist nicht alles. Wer mehr erfahren will über die komplexe Bildsprache, dieses dichte Netz aus Zeichen und Symbolen, bekommt in der Ausstellung nur wenig Unterstützung. Beistand liefern jedoch Kurzführer und Begleitbuch. Deutlich wird allemal: Vollends entschlüsselt sind die Werke dieses sehr gebildeten, weltgewandten Mannes längst noch nicht. Ob der Genter Altar nun Ausdruck einer Gottessuche ist oder eine Feier der Erlösung zeigt, ist selbst unter den Verantwortlichen in Gent umstritten. Auch das macht einen Teil der Faszination des Jan van Eyck aus.

Umso mehr begeistert, dass nun 13 seiner rund 20 überlieferten Gemälde zu sehen sind. Dem Museum der Schönen Künste ist es gelungen, einen prächtigen Schatz zusammenzutragen, der die Reise ins Nachbarland lohnt. Für 90 Tage sind die Lichtspiele des Jan van Eyck zu erleben. Die Schau ist kein Komet, aber ganz gewiss einer der hellsten Sterne am europäischen Ausstellungshimmel.

Daten zur Schau
Die Ausstellung „Van Eyck – Eine optische Revolution“ im Museum der Schönen Künste in Gent (Belgien) wird an diesem Samstag eröffnet und ist bis zum 30. April zu sehen. Täglich von 9.30 Uhr bis 19 Uhr, Mo., Fr. und Sa. bis 23 Uhr. Das Ticket kostet im VVK 25 Euro, in der Ausstellung 28 Euro.
Der Kurzführer kostet 15 Euro. Ein grundlegender Band zur Ausstellung erscheint auf Deutsch im Belser-Verlag und kostet im Buchhandel 69 Euro.