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Am 7. Februar in Ulm: das Marmen Quartet. © Foto: Marco Borggreve

klassisch! Konzerte: Marmen Quartet spielt im Stadthaus Ulm

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Nur alle drei Jahre findet im kanadischen Banff der internationale Streichquartett-Wettbewerb statt. Welche Qualität die Gewinner besitzen, hat das Publikum der „klassisch!“-Konzerte schon erlebt. Nach dem Rolston String Quartet und zuletzt dem Dover Quartet ist jetzt am 7. Februar, 20 Uhr, einer der beiden aktuellen Banff-Sieger im Stadthaus zu Gast: das Marmen Quartet aus London. Ein Gespräch mit dem Namensgeber, dem Geiger Johannes Marmen.

Was bedeutet der Gewinn des Banff-Wettbewerbs 2019 für Ihr Ensemble?

Johannes Marmen: Das ist weltweit einer der prestigeträchtigsten Wettbewerbe für Streichquartette. Dazu kommt, dass dieser Preis eine weltweite Medienaufmerksamkeit auf sich zieht. Dieser Aspekt ist fast das Wichtigste, der Gewinn ermöglicht es uns auch, in vielen Ländern und Städten spielen zu können.

Welches Werk haben Sie beim Wettbewerb gespielt?

In der Finalrunde war es Beethovens spätes Streichquartett op. 131 – ein unglaubliches Werk von einer fast schon philosophischen Tiefe. Wenn du es auf der Bühne vorträgst, fühlst du dich selbst ziemlich verletzlich, und so waren wir sehr glücklich über diesen Ausgang des Wettbewerbs.

Seit wann gibt es das Marmen Quartet?

Wir haben unser Ensemble im Jahr 2013 am Royal College of Music in London gegründet. Das Wort Marmen hat keine besondere inhaltliche Bedeutung, es handelt sich schlicht um meinen Nachnamen, und ich fungiere im Quartett eben als Primarius. Ursprünglich haben meine Vorfahren das Wort Marmen von dem gleichnamigen See in Mittelschweden zugedacht bekommen. Meine Familie hat ihre Wurzeln in Schweden.

Wir lieben die Freiheit

Wie ist die Situation für Sie als Musiker angesichts des Brexit?

Als Musiker sind wir natürlich sehr freiheitsliebend und gegen das Errichten und Schließen von Grenzen. Wir wollen im Gegenteil den Austausch mit möglichst vielen Kulturen, und so steht diese ganze Situation völlig quer zu unseren Gefühlen. Momentan können wir noch nicht genau abschätzen, wie uns der weitere Verlauf des Brexit betreffen wird, wir fürchten aber viele bürokratischen Hürden. Außerdem fürchte ich, dass die Bürger der EU sich nach dem Brexit nicht mehr so willkommen fühlen werden in Großbritannien.

Was macht Ihren Erfolg aus?

Das ist schwer zu sagen. Jedes Quartett hat etwas anderes, was es einzigartig macht. Ich denke, ein Grund, warum Leute sich von unserem Spiel angezogen fühlen, ist, dass wir sehr hart an der Interpretation arbeiten. Wir tauchen tief in die Werke ein und schauen sehr genau auf die innere Struktur und Besonderheiten der jeweiligen Quartette. Um die Gefühle und Emotionen einer Komposition zum Ausdruck bringen zu können, braucht man zunächst einmal das akademische Handwerkszeug.

Wie entsteht die Interpretation eines Werks?

Ein Streichquartett ist kein Ausstellungsstück fürs Museum, sondern ein Organismus, der erst zu leben beginnt, wenn das Werk gespielt wird. Wir betrachten es als unsere Pflicht, so viel wie möglich in die Interpretation eines Werkes mit einfließen zu lassen, um seinen inneren Gehalt so gut wie möglich zum Ausdruck zu können.

Lassen Sie uns über die Werke sprechen, die Sie in Ulm spielen werden. Es beginnt mit Haydns Opus 50 Nr. 1.

Man muss sich immer wieder ins Gedächtnis rufen: Joseph Haydns Quartette waren damals Avantgarde, ziemlich verrückt für ihre Zeit (lacht), genau wie später in noch extremerer Form bei Beethoven. Das erste Quartett aus seinem Opus 50 ist nicht ganz so explosiv, lebendig und dynamisch wie Haydns vorherige Quartette, sondern es präsentiert sich ein bisschen subtiler. Haydn spielt, nachdem er zu diesem Zeitpunkt ja bereits viele andere Quartette komponiert hatte, mit den Begrenzungen; er setzt sich strenge Regeln – und schöpft genau daraus eine sehr subtile und wahrhaft geniale Musik.

Reinster Schabernack

Dann folgt mit „Métamorphoses nocturnes“ das 1. Streichquartett von György Ligeti.

Auch wenn der Titel vielleicht zunächst etwas anderes nahelegt, muss man unbedingt sagen, dass „Métamorphoses nocturnes“ ein unglaublich witziges Quartett ist. Ligeti beweist hier auf versteckte Weise seinen großen Sinn für Humor. Er spielt mit Formen der Albernheit, des Sarkasmus und sogar der Dummheit. Dabei präsentiert es sich sehr ernst, fast schon philosophisch, aber von einer Sekunde auf die andere kippt das für ganz kurze Augenblicke in den reinsten Schabernack. Für uns ist das ein wirklich großartiges Werk – sehr doppelbödig.

Mit Felix Mendelssohns Streichquartett in f-Moll op. 80 spielen Sie dann nach der Pause ein sehr düsteres Spätwerk des romantischen Meisters. Was bedeutet Ihnen dieses Quartett?

Dieses Werk empfinde ich als sehr schwierig. Auf den ersten Blick scheinen dem Quartett die Kontraste zu fehlen, denn drei der vier Sätze stehen in f-Moll. Man muss die verschiedenen Charakterzüge suchen, sie verstecken sich eher, als dass sie sich leichtherzig präsentieren. Es ist ein Werk der Schattierungen und Details, die man als Interpret sehr genau beachten muss, um das Werk nicht falsch zu verstehen – was leider ziemlich oft passiert. Die Trauer über den Verlust seiner Schwester Fanny verarbeitet Mendelssohn auf eine überaus fragile Weise – mit vielen leisen Untertönen.

Werke von Haydn, Ligeti und Mendelssohn

Am 7. Februar, Freitag, 20 Uhr, spielt das Marmen Quartet aus London im Ulmer Stadthaus: Es ist ein Konzert der „klassisch!“-Reihe in Kooperation mit dem internationalen Streichquartett-Wettbewerb von Banff. Auf dem Programm: Werke von  Haydn, Ligeti und Mendelssohn Bartholdy. Eintrittskarten bei der SÜDWEST PRESSE und auf südwestpress.de/ticketshop (Schüler zahlen nur 8 Euro)